Der Schreiberling. Patrick J. Grieser
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Название: Der Schreiberling

Автор: Patrick J. Grieser

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Der Primus

isbn: 9783947816040

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СКАЧАТЬ gefiederte Pfeil. Dieser Ort behagte dem Pawnee nicht. Er mochte zwar einen Großteil seines Lebens unter Weißen verbracht haben, aber das Blut seiner Vorfahren rauschte durch seine Adern. Und dieser Tempel war böse!

      Langsam näherte sich der Cowboy dem aufgebahrten Sarg. Er spürte förmlich den Blick des Fremden auf dem Wandfresko, als würden dessen Augen ihm folgen und jeden seiner Schritte beobachten. Mehr als einmal wanderte sein Blick zu dem Fresko. Je näher er dem Sarg kam, umso deutlicher zeichneten sich die Umrisse einer Person darin ab.

      Der Cowboy spuckte in die Hand und wischte über die schmutzige Oberfläche des Sarges. Der Staub blieb in einem schmierigen Film an seinen Händen kleben. Das Glas fühlte sich eiskalt an – als herrschten im Inneren arktische Temperaturen. Diese Vermutung war wahrscheinlich richtig, denn hinter dem Glas hatten sich an einigen Stellen Eiskristalle gebildet.

      »Wow!«, raunte der Cowboy. In dem Sarg lag ein Mann, derjenige, der auf dem Fresko abgebildet war! Sein Blick glitt zwischen dem Sarg und dem Wandfresko hin und her. Es war eindeutig der Mann auf dem Wandbild! Schläft der Mann in dem Sarg? Nein, seine Brust bewegt sich nicht. Wo habe ich ihn schon einmal gesehen?, fragte sich der Cowboy. Etwas Vertrautes ging von dem Toten aus. Doch an so einen Menschen (wenn es denn überhaupt ein Mensch war) hätte er sich mit Sicherheit erinnert: Die Haut war vollkommen rot, als habe man ihn geschminkt. Doch dafür war der Farbton zu eben und gleichförmig. Es gab keine Schattierungen oder Nuancen. Es war einfach ein leuchtendes Rot, das von blauschwarzen Haaren umrahmt wurde.

      Der Primus!, schoss es dem Cowboy durch den Kopf. Leonhard Hoyer hatte dieselbe Haarfarbe. Gab es eine Verbindung zwischen den beiden?

      »Schöner Anzug!«, bemerkte der Cowboy, während seine Augen über das schwarze Jackett und die Stoffhose fuhren. Der Anzug war bestimmt maßgeschneidert und passte dem Toten wie eine zweite Haut. Die Kleidung irritierte ihn. Es war kein Anzug wie ihn die Männer im Wilden Westen trugen. Es war ein klassischer Tweed-Anzug der Moderne, dem Stoff nach zu urteilen ein englisches Fabrikat von einem renommierten Schneider. Solche Kleidungsstücke waren den Männern des 20. Jahrhunderts vorbehalten gewesen.

      »Was ist das?«, hauchte Morgan Elroy ehrfürchtig, als er neben den Sarg trat. »Ein Dämon?«

      »Bei den Göttern, nein!«, erklang eine amüsierte Stimme hinter ihnen. Beide Männer fuhren erschrocken herum … und schauten in das grinsende Gesicht des Mannes, den sie beide im Sarg liegen sahen. Der Krieger in Morgan Elroy erwachte und richtete instinktiv den Bogen auf die Gestalt vor ihnen. Er war es nicht gewohnt, dass sich jemand unbemerkt an ihn heranschlich. Der Cowboy blickte unsicher zwischen dem Sarg und dem Fremden hin und her, als wolle er sich überzeugen, dass der Fremde sich nicht aus dem gläsernen Sarg herausteleportiert hatte.

      »Ruhig, ruhig!«, sagte der Cowboy und legte beschwichtigend eine Hand auf die Schulter des Pawnees. Er wusste, dass sie beide tot wären, wenn der Indianer die angespannte Bogensehne losließe. Etwas Übernatürliches ging von dem Mann aus. Ein Gefühl absoluter Macht. In Gegenwart dieses Fremden waren die beiden Weggefährten nur winzige Insekten, die der Fremde, ohne mit der Wimper zu zucken, mit seinem Absatz zermalmen könnte.

      Der Cowboy richtete seinen Finger auf den Mann. »Du! Ich kenne dich …!«

      Dessen Grinsen wurde breiter, strahlend weiße Zähne wurden sichtbar. »Ganz recht, Rainer Mehnert! Wir kennen uns!«

      Der Cowboy fuhr zusammen, als der Mann ihn mit seinem Namen ansprach.

      »Aber woher?«, flüsterte er.

      »Erinnerst du dich an jene Nacht?«

      »An welche?«

      »An die Nacht, in der deine Frau dich betrogen hat?«, erwiderte der Mann mit der feuerroten Haut und sein Grinsen war innerhalb eines Wimpernschlages verschwunden. Er wurde ernst.

      Der Cowboy trat vor den Fremden; sie standen sich jetzt direkt gegenüber. Der Blick des Fremden war von solcher Intensität, dass eine geradezu hypnotische Wirkung von ihm ausging. Der Cowboy musste mehrere Male blinzeln, weil er glaubte, der Boden risse ihm unter seinen Füßen weg. Die Augen schienen die Farbe zu wechseln. Mal waren sie kristallklar wie das Schmelzwasser in den Bergen und dann wieder so dunkel wie der tiefe Grund eines stillen Sees.

      »Hab keine Angst, Rainer Mehnert!«, sagte der Mann. »Ich zeige dir, wer ich bin!« Und noch ehe er etwas sagen, geschweige denn reagieren konnte, schlossen sich die beiden Hände des Fremden um seinen Kopf und die Zeigefinger schienen mit seinen Schläfen zu verschmelzen. Der Druck auf seinen Kopf nahm zu – wie bei einem kochenden Teekessel, den keiner von der glühenden Herdplatte nimmt. Jedenfalls fühlte es sich so an. Wie flüssige Butter drangen die Finger immer weiter in seinen Kopf hinein, tauchten durch die Gehirnwindungen bis sie auf jene Teile stießen, die den Kern seiner Persönlichkeit ausmachten und sein Erfahrungswissen beinhalteten. Und dann explodierte alles um ihn herum in einem bunten Regenbogen.

      Es begann von Neuem. Ein ewiger Kreislauf. Die Szene war dem Cowboy wohlbekannt. In diesem Leben war er Rainer Mehnert und noch kein Westmann.

       Gedämpfte Stimmen drangen an sein Ohr und er verstummte schlagartig. Die Decke über ihm knarrte leise. Jemand war im zweiten Stock. Angestrengt lauschte er, doch er vernahm nur das einschläfernde Ticken der alten Wanduhr. Langsam drehte Rainer Mehnert sich um und marschierte zurück in den Flur. Sein Blick glitt zu der Holztreppe, die nach oben in den zweiten Stock des Hauses führte. Eine unheilvolle Vorahnung packte ihn. Er wusste, dass da oben etwas war, was er auf gar keinen Fall sehen wollte. Er durfte jetzt nicht hochgehen. Nicht noch einmal!

      Erneut hörte er die Frau im Obergeschoss lachen. Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Das Ticken der Wanduhr benebelte seine Sinne, ließ ihn wegdriften … weg von diesem Ort, der sein Schicksal für immer verändert hatte.

      Er atmete tief die abgestandene Luft im Flur ein. Als er die Augen wieder öffnete, hatte er bereits mit der rechten Hand das Geländer umfasst.

      »Ich will weg von hier!« Sehnsuchtsvoll blickte er zu der verschlossenen Haustür. Doch er stieg die Treppen hinauf, setzte einen Fuß vor den anderen. Eine unbekannte Macht schien ihn nach oben zu ziehen und er konnte sich nicht dagegen wehren.

      Die Stufen waren alt, doch sie gaben keinen einzigen Laut von sich, als sie sein Gewicht trugen. Oben angekommen, bemerkte er als Erstes den Lichtstrahl, der aus der halb geöffneten Tür des Schlafzimmers drang.

      »Es ist noch nicht zu spät, die Beine in die Hand zu nehmen und davonzulaufen. Tu dir das nicht an!«, dachte Rainer Mehnert verzweifelt. Er wollte die Treppe wieder hinunter, doch sein Körper schien ihm nicht zu gehorchen. Wie in Trance näherte er sich der Schlafzimmertür.

      Er stieß die Tür auf und hielt den Atem an. Vor ihm räkelten sich zwei Menschen in einem wilden Wust aus Bettlaken. Ihre nackten Körper glänzten schweißüberströmt.

      Durch einen Tränenschleier sah er, wie die Frau den Mann an sich zog, ihren Unterleib gegen ihn presste. Sie schrie voller Verzückung auf und begann, sich im Rhythmus zu seinen Hüften zu bewegen.

      Jemand trat neben Rainer Mehnert und legte ihm die Hand auf die Schulter. Es war der fremde Junge mit den langen pechschwarzen Haaren. Leonhard Hoyer, der Primus, der nun lächelnd auf die zuckenden Körper schaute.

      »Was hat das zu bedeuten? Warum zeigst du mir das?«, schrie Rainer Mehnert fassungslos.

      »Sieh hin und verstehe!«, forderte ihn der Primus auf.

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