Culturstudien. Wilhelm Heinrich Riehl
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Название: Culturstudien

Автор: Wilhelm Heinrich Riehl

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783849633912

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СКАЧАТЬ mit Fremdwörtern ganz durchspickte, aber doch bündige und verständige Sprache der kaufmännischen Briefmuster erst das eigentliche reine Deutsch sei. Man sieht ein, wie nothwendig die Verwälschung der deutschen Sprache war, damit sie aus diesem Schlammbad nicht blos rein, sondern auch gekräftigt wieder hervorgehe. So mußte die deutsche Musik des achtzehnten Jahrhunderts ihren Durchgang durch die italienische nehmen, auf daß sie nicht vor der Zeit steif und verknöchert würde im contrapunktischen Scholasticismus.

      Beim Anblick der schwindelerregend unerschöpflichen modernen Bücherproduction mag uns wohl der Gedanke beschleichen, als sei das doch noch eine idyllische, eine wahrhaft arkadische Zeit gewesen, wo ein Briefsteller noch eine Encyklopädie von einem halben Dutzend Wissenschaften war, wo Marpergers »allzeit fertiger Handelscorrespondent« im Vorbeigehen die ganze Nationalökonomie, Finanz- und Handelswissenschaft als Zugabe zu den Briefformularien tractirte, wo man den König David noch als ältesten Classiker des Briefstyls hinstellte, weil er den Uriasbrief geschrieben, und dann eine Geschichte der Epistolographie von David bis auf die Gegenwart noch auf zwei bis drei Octavseiten abzuhandeln pflegte. Die gemeinnützige Litteratur der Haus- und Handbücher, die jetzt eine so ungeheure Ausdehnung gewonnen hat, war zu unserer Urgroßväter Zeiten in drei bis vier Bücher keimartig zusammengedrängt. Aus dem Kalender brachen die Lokalzeitungen hervor zusammt dem Heer der tagesgeschichtlichen Flugschriften; aus dem Briefsteller stiegen Geschäftshandbücher aller Art auf, Staatskalender und genealogische Taschenbücher, Sprachlehren und Encyklopädien, und nur als Hefe blieb der moderne Briefsteller zurück. Wo jetzt der Mann des gebildeten Mittelstandes eine bändereiche »Weltgeschichte für's deutsche Volk« in seiner Hausbibliothek aufstellt, da begnügte sich der Urahn mit der einzigen Acerra philologica, dem merkwürdigen Schatzkästlein »nützlicher, lustiger und denkwürdiger Historien,« welches noch in Goethe's Jugenderinnerungen eine Rolle spielt, und fast durch ein Jahrhundert als eines der gelesensten Hausbücher vorgehalten hat. Wo gegenwärtig hundert gemeinnützige Schriften erscheinen, da erschien vordem kaum eine, ward aber bei gutem Glück hundert Jahre gangbar, während von jenen hundert Büchern ein Theil nur wenige Jahre geht, die andere Hälfte aber überhaupt niemals gehen lernt. Trotz dem schützenden Privilegium kaiserlicher Majestät griffen auch die Nachdrucker fleißig zu bei den alten Hausbüchern. Der mangelnde Rechtsschutz förderte die Concentrirung dieser Litteratur. Schon Luther mußte wider den Nachdruck seiner Schriften eifern. Der Verleger der Acerra philologica, stellt den Teufel als Executor der gerechten Strafe des Nachdrucks unmittelbar hinter das kaiserliche Privilegium, gleichsam als einen Succurs für die in der Execution säumigen Juristen, indem er die Vision Philanders von Sittewald aushebt, der in der Hölle einem Buchdrucker begegnet, welchem ein nachgedrucktes Buch feuerglühend im Halse steckt, daran er fort und fort in alle Ewigkeit würgen muß, und kann es niemals hinunterschlucken.

      Als die Hausbücher noch so compact waren, daß der Briefsteller allein eine ganze Encyklopädie von allerlei Wissenschaften darbot, waren auch die Persönlichkeiten compacter als gegenwärtig. Sie lebten sich ein in ihre wenigen, oft sehr naiven und rohen Bücher, behielten dabei aber auch Sammlung, sich in sich selber einzuleben. So hängt ein Stück des eigentlichen Seelenlebens vergangener Geschlechter an jenen für sich vielleicht ganz bedeutungslosen alten Scharteken, und nicht ohne Rührung, ja nicht ohne Ehrfurcht kann man manche dieser Noth-Hülfsbücher betrachten, aus denen unsere Vorfahren manchmal durch hundert Jahre sich den bescheidenen Schatz ihrer Kenntnisse sammelten, um sich dann im Vertrauen auf Gott und ihren Mutterwitz im praktischen Leben oft weiter zu bringen, als wir mit unserer bändereichen Gelehrsamkeit.

      Volkskalender im achtzehnten Jahrhundert.

      1852.

      Volkslitteratur ist heutigen Tages eine vornehme Liebhaberei geworden, und der Kalendermacher ist nicht mehr sprüchwörtlich der letzte unter den Bücherschreibern: litterarische Aristokraten schreiben Kalender, und Volksbildungsvereine von reichen Leuten geben Kalender für die Armen heraus. Vor hundert Jahren war es anders, und unsere heutigen Kalender dürfen nicht ahnenstolz sein auf ihre löschpapiernen Vorfahren. Dafür sind aber die letzteren doch wenigstens in ihrer Wirksamkeit wahre Volkskalender gewesen und getreue Spiegel der damaligen Volksbildung und Volkssitte. Die meisten der heutigen Volkskalender zeigen, was die gebildete Welt aus dem Volk machen möchte, die alten, was das Volk damals wirklich war.

      Das deutsche Volkskalenderwesen des achtzehnten Jahrhunderts theilt sich, entsprechend dem letzten Satze, in zwei Perioden. Die erste reicht beiläufig bis zu den achtziger Jahren. Bis dahin war der Kalender in der Regel ein historisches Volksbuch, welches in seinen Monatstafeln die Geschicke des künftigen Jahres prophezeite, in dem gegenüberstehenden fortlaufenden Texte aber einen Geschichtsabriß des vorigen Jahres gab. Auf dem Standpunkte der bildungslosen Masse selber stehend, befriedigte also der Kalender wesentlich deren Aberglauben und Neugierde. Mit den achtziger Jahren aber bringt die Tendenz der Aufklärung und Volksbelehrung einen merklichen Umschwung in diese Kalenderlitteratur. Statt der zeitgeschichtlichen Berichte sind jetzt die Blätter mit moralischen Anekdoten und nützlichen Belehrungen, statt der astronomischen Zeichen und Verse, statt der Wetterregeln und »Erwählungen« mit altklugen, gemachten Sittensprüchen erfüllt, und während die Tafel des Aderlaßmännleins bis dahin den Kalender beschloß, beschließt ihn nun das große Einmaleins und die Zinstabelle. Der Kalendermacher hatte vordem mitten im Volk gestanden als ein Herold seines Aberglaubens, als sein Prophet, als sein Hof- und Leibhistoriograph. Jetzt tritt er vor und über das Volk und wird sein gestempelter und privilegirter litterarischer Schulmeister. Früher hatten wir darum nur Eine Art des Volkskalenders, entsprechend der in den großen Zügen gleichartigen Physiognomie der bildungslosen Masse; jetzt haben wir deren unzählige, denn jeder Litterat will nach seiner Individualität diese Masse bilden.

      Die volksbildenden Kalender, wie sie gegen Ende des vorigen Jahrhunderts aufkamen, schufen allmählig einen Ablagerungsplatz für einen ungeheuren Lehr- und Agitationsapparat, den wir jetzt kaum mehr an den Mann zu bringen wüßten, wenn uns plötzlich die Kalender ausgingen. Aber erst als man die Bedeutung der in jeder Volksgruppe ruhenden politischen und socialen Macht zu ahnen begann, konnte man es der Mühe werth halten, durch Kalender auf sonst literarisch unzugängliche Kreise zu wirken. Was lag der ächten Rococo- und Zopfzeit daran, ob dem gemeinen Mann auch noch außerhalb der Kirche und Schule Bildungsstoffe zugeführt würden! er war ja nur eine ruhende Potenz, die man darum getrost auf sich beruhen und für sich selber sorgen ließ. Die gänzliche Umgestaltung der Volkskalender seit länger als einem halben Jahrhundert ist ein Siegeszeichen der socialen Politik. Wir haben jetzt Volkskalender der politischen Parteien, mehr noch der kirchlichen; die Regierungen lassen Kalender schreiben, weil sie wissen, daß sie mit ihren officiellen Zeitungen niemals bis zu den Bauern durchdringen können, und die Opposition säumt dann auch nicht, ihrerseits mit Kalendern in's Feld zu rücken. Nationalistische und orthodoxe Kalender werben um Land und Leute; protestantische Traktatengesellschaften lassen aus ihren Traktätchen Volkskalender zusammenstellen, und katholische Kleriker streiten in Kalendern »für Zeit und Ewigkeit« mit dem Eifer und der Derbheit mittelalterlicher Predigermönche für ihren Kirchenglauben. Man schreibt Bauernkalender, die niemals ein Bauer liest, um Dorfgeschichten zu ediren, und illustrirte Kalender, welche Pfennigmagazin und Conversationslexikon zugleich ersetzen sollen; dazu landwirthschaftliche Kalender, statistische Geschäftskalender, Jugendkalender und Gott weiß was sonst noch. Die Geschichte aller dieser Kalender bildet eine wesentliche Ergänzung zur Geschichte der Journalistik.

      Ich bin so glücklich, in mehreren starken Quartbänden eine Sammlung der verschiedenartigsten, in Nürnberg, Frankfurt, Straßburg, Berlin und Wien erschienenen Volkskalender zu besitzen, die irgend ein Kuriositätenliebhaber, vermuthlich in den neunziger Jahren, aus fast allen Jahrzehnten seines Jahrhunderts zusammengetragen hat. Da mein Sammler auch die schlechteste Scharteke nicht verwarf, so bot sich mir hier ein Material, wie man es wohl schwerlich auf einer Bibliothek oder bei einem Antiquar wiederfinden wird, und indem ich seit meinen Jugendjahren mich häufig an der Betrachtung der barbarischen Holzschnitte und der Lektüre СКАЧАТЬ