Culturstudien. Wilhelm Heinrich Riehl
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Название: Culturstudien

Автор: Wilhelm Heinrich Riehl

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783849633912

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СКАЧАТЬ des Jahrhunderts ließen den fünften Welttheil, den die Holländer gefunden, während wir uns im dreißigjährigen Kriege herumschlugen, jetzt erst in vollen und bestimmten Umrissen vor den staunenden Augen Europa's aus dem Meere aufsteigen. Wer damals in den Volkskalendern, in Unterhaltungsbüchern und Jugendschriften recht interessant werden wollte, der führte die Leser – nicht mit Fabeln wie vordem – sondern mit dürrer geographischer Weisheit – auf irgend eine Insel des stillen Oceans; und in einem ABC-Buch aus Großvaters Zeit wird beim O in rührenden Versen geklagt, daß Cook auf »Owaihi« erschlagen worden.

      Die »Kinderfreunde« und Fibeln der Nationalisten und Philanthropen predigen von der kulturgeschichtlichen Macht des Homannischcn Atlasses. Das Gewicht der geographischen und Reiselitteratur in der Aufklärungsperiode ist vergleichbar dem Einfluß, mit welchem die Naturwissenschaft jetzt den Geist der Zeit zu beherrschen beginnt. Physik und Chemie klopfen bereits an die Thüren der Frauengemächer und sie werden noch weiter dringen. Wie vor siebenzig Jahren die Reisebeschreibung das Kindermährchen, die Robinsonade Fabeln, Sagen und Legenden in Schule und Haus verdrängte, so wird man in dreißig Jahren physikalische Miniaturapparate als Nürnberger Spielzeug verkaufen und chemische Präparate eigens für Experimente in den Puppenküchen der achtjährigen Kinder herrichten.

      Die eigentlichen gelehrten System- und Schulzöpfe schauten vor hundert Jahren die Erdkunde noch ebenso sehr über die Achsel an, wie später ihre Nachfolger die Naturwissenschaften und heute die Volkskunde. Es half aber nichts und wird nichts helfen. In den Encyklopädien ließ man die Erdbeschreibung gar nicht als eine besondere Wissenschaft gelten, man rubricirte sie meist wie einen zufälligen Anhang unter die Geschichte.

      Dieser stillen Verachtung gegenüber beurkundet sich aber der allgemeine geographische Heißhunger unserer Groß- und Urgroßväter um so lauter in dem wunderbaren Eifer, womit man sich plötzlich auf die populäre geographische Litteratur warf.

      Selbst die allgemeinen Bestimmungen der mathematischen Geographie, die wir nach den Schuljahren wieder vergessen wie unsere Schulfreundschaften, fesselten damals durch den Reiz der Neuheit. Unter den Homannischen Karten findet sich eine Planiglobentafel von 1746, worauf die Erdhalbkugeln eigens für den Standpunkt der Nürnberger gezeichnet sind: der Halbkreis der Erdoberfläche, wie er sich ausnimmt, wenn Nürnberg im Mittelpunkte steht, eine eigene Antipodenkarte von Nürnberg und ein hemisphaerium sphaerae obliquae pro horizonte Norimbergensi. Der Nürnberger ließ sich damals seinen Gulden nicht gereuen, um nicht blos im Wort, sondern auch im Bilde zu erfahren, wo eigentlich die Leute zu finden sind, deren Fußsohlen sich genau der St. Lorenzkirche zukehren und die unter seinen eigenen Fußsohlen umherlaufen, wie die Mücken an der Stubendecke.

      Solche chartographische Experimente waren unsern Vorfahren eben so neu und anziehend, wie uns das Verbrennen eines Diamants.

      In dem alten »Antiquarius des Rheinstroms« (von 1740) ist noch bei jedem kleinen Neste dessen geographische Länge und Breite nach Graden und Minuten pflichtlich angegeben. Diese Bestimmungen, die schier bis zu den Dörfern hinabgehen, waren großentheils gewiß nur so auf's Ungefähr gegriffen, ein wohlfeiler gelehrter Hokuspokus. Es gehörte aber einmal zur feinen Bildung, daß ein mit der Perücke gekrönter Stadtbürger wisse, unter wie viel Graden longitudinis et latitudinis sein vaterstädtisches Rathaus liege. Von den Gebildeten in Dachau wird es aber heutzutage wohl kein Einziger mehr an den Fingern herzählen können, wie viel Grade und Minuten Dachau von der Insel Ferro und vom Aequator entfernt ist, und von den Gebildeten in München wissen auch nicht mehr Viele die Lage ihrer Stadt auswendig zu bestimmen. Kämen unsere Urgroßväter aus dem Grabe zurück, sie würden das für einen bedeutenden Rückschritt in der geographischen Volksbildung erklären. Die alten holländischen Kartenzeichner überragten unsern Homann in der Feinheit und wissenschaftlichen Genauigkeit ihrer Platten, und bedeutende Kartenwerke, welche um die Mitte des Jahrhunderts in Paris und London erschienen, kamen jenen klassischen Mustern von Amsterdam sehr nahe. Selbst in Rußland that sich die Staatsindustrie der Akademie von St. Petersburg mit glänzenden chartographischen Thaten hervor, und mit den alten Karten der Berliner Akademie kann der Homannische Atlas ebensowenig nm den Preis wissenschaftlicher Gediegenheit ringen. Aber er ist unvergleichlich in der naiven Universalität seines Gesammtinhaltes. Denn er verbreitete nicht nur die geographische Bildung überall hin, sondern er nahm auch die Mittel dazu höchst ungenirt überall her, wo er sie am besten fand. Da nämlich die Homann'sche Offizin nicht bloß Originalkarten lieferte, sondern auch holländische, französische, englische, russische und selbst italienische Blätter bis auf den Punkt nachstach, so bildet der vollständige Homannische Atlas eine Art Encyklopädie der Kartenzeichnung aller Nationen damaliger Zeit. Die Augsburger Kartenverleger waren dann flugs wieder hinter den Homannischen Blättern her und stachen die Nachsuche noch einmal nach. Oder es traf sich wohl auch umgekehrt, daß sich das Nürnberger Haus die Originalplatten aus dem rivalisirenden Augsburg zu Nutzen machte. Denn die Arbeiten von Seutter, Lotter u. A. in Augsburg konnten mit dem Homann'schen Fabrikat wohl in die Schranken treten, aber sie beherrschten nicht durch ihre Masse den Markt gleich jenen.

      Wir sehen uns eben hier noch einem Culturzustande gegenüber, wo der mangelhafte Schutz des litterarischen Eigenthums nicht verderblich wirkt, sondern fördernd. Je tiefer die Bildung in's Volk dringt, um so strenger muß jenes Eigenthumsrecht begränzt werden. Hätten wir zu Homanns Zeit internationale Verträge zum Schutz des Landkartenverlags besessen, so würde der deutsche Kartenstich, so plump und fehlerhaft, wie er war, noch lange stehen geblieben sein. Währt dann aber diese Schutzlosigkeit noch fort, wenn Kunst und Handel bereits auf den eigenen Beinen steht, dann wird sie beides eben so sicher zerstören, wie sie es früher fördern half. Darum ist es ganz natürlich, daß der Begriff eines litterarischen Eigenthumsrechtes erst spät und bei hochentwickelter Cultur zur klaren Ausbildung kommt.

      Geistliche Fürsten, Grafen, Herren und Städte, deren Gebiet nicht groß genug war, daß der Verleger auf eigenes Wagniß, eine Karte hätte stechen mögen, setzten wohl ein gutes Stück Geld daran, auf daß eine recht große Specialkarte in Folio auch von ihrem Lande in der berühmten Nürnberger Werkstatt entworfen und dem Homannischen Atlas einverleibt werde. Es war das eine Standes- und Ehrenausgabe. Indem der kleine Herr sein kleines Land in gleich großem Format neben den großen Ländern in dem klassischen Atlas prangen sah, hatte er eine Urkunde gestiftet seiner souveränen Herrlichkeit, die wohl im Maß, nicht aber in der Art von jener der großen Herren verschieden war.

      Dadurch ist eine Masse der kleinsten Aufnahmen in die Homann'sche Sammlung gekommen, wie sie die ältere Chartographie wohl keiner anderen Nation aufzuweisen hat. Ja wir finden dort Specialkarten von Ländchen und Stadtgebieten, die wir selbst heute höchstens für eine Amts- ober Gemeinderegistratur, nicht aber für die Öffentlichkeit ausarbeiten würden. Nur der deutsche Particularismus machte es möglich, daß sich die alte Landkartenzeichnung so in's Kleinste und Einzelste ergeben konnte. Allein er stiftete damit ein gutes Wert. Unsere Vorfahren wären gewiß nicht so leidenschaftliche Geographen geworden, hätten die Kartenzeichner nicht dem damaligen dreihundertfältigen Lokalpatriotismus so wohl gethan, indem sie jedes Reichsland, das anderthalb Mann zur Reichsarmee zu stellen hatte, so groß und stattlich mitten unter die Weltkarten setzten.

      Durch ein seltsames Spiel des Zufalls fehlt in meinem Homannischen Atlas trotz der vielen Specialkarten winziger Reichsländer – eine Karte von Deutschland. Statt ihrer ist eingefügt eine französische Karte de l'Empire d'Allemagne, und zwar, wie die Titelvignette sagt, entworfen zum Handgebrauch des Herzogs von Burgund (1787). Diese Karte ist in der That interessanter, als wenn selbst Tobias Mayr's damals weltberühmtes Blatt von Deutschland die Sammlung zierte. Der Pariser Zeichner hat zur Instruktion des französischen Prinzen ein Großdeutschland an den Westgrenzen herausgezeichnet, wie es allerdings hätte sein sollen, wenn man im deutschen – nicht aber im französischen – Geiste des Reiches Vollbestand gewahrt hätte. Ganz Elsaß, Lothringen und die Schweiz erscheint nämlich hier noch mit einbegriffen in der Haute-Allemagne, Holland in der Basse-Allemagne, gewiß nicht um die Macht Deutschlands, sondern vielmehr СКАЧАТЬ