Название: Culturstudien
Автор: Wilhelm Heinrich Riehl
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783849633912
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Aus den Thierkreiszeichen, welche die einzelnen Monate charakterisiren, weissagt man den Charakter der im Monat Geborenen, aus planetarischen Constellationen den Gesundheitszustand des kommenden Jahres. Die Staatsprognostica aber werden eben so gut wie das Wetter nach den Mondwechseln berechnet, und dieses Zusammenwerfen des Wetters und der Politik hat gewiß eine tiefe humoristische Wahrheit für eine Zeit, wo das Staatsregiment noch wie eine andere göttliche Weltordnung über den Häuptern der Unterthanen stand. Die Staatsprognostica sind meist in delphischem Doppelsinn abgefaßt: Epigramme und Sinnsprüche, die man damals von Lessing bis zu den Kalenderschreibern herab viel selbständiger kultivirte als heutzutage, dazu aber auch allegorische Räthselspiele in Holzschnitten, die mit mythologischen Figuren, Wappen und Devisen überdeckt sind. Letzteres deutet auf das siebzehnte Jahrhundert zurück, wo nicht nur der Gelehrte, sondern auch der schlichte Bürger sich an derlei harten Nüssen gern die Zähne ausbrach. Auf den zahllosen fliegenden Blättern dieser früheren Zeit ist die politische Satyre fast immer in allegorischen Gestalten versteckt, und selbst der Handwerker muß in den Tagen des dreißigjährigen Krieges oft mehr Mythologie im Gedächtniß gehabt haben, als gegenwärtig mancher litterarisch Gebildete. Auch jene Einblattdrucke fanden also ihre letzte Zuflucht in den Volkskalendern, wie denn überhaupt das fliegende Blatt des siebzehnten Jahrhunderts aufgegangen ist zum Theil in der Zeitung, zum Theil im Kalender des achtzehnten. In unsern Tagen hat endlich die letzte Siegerin, die Journalistik, auch die Publicistische Hälfte der alten Kalender in ihrem allverschlingenden Vorrathshause geborgen.
Ganz eigenthümlich sind die »Beschreibungen der Gewitter« im alten Hauskalender gewesen. In diese Vorherverkündigungen aller einzelnen Gewitter des Jahres und die daran geknüpfte Deutung spielt noch das altdeutsche Heidenthum herüber, welches so mancherlei Bezüge des Cultus und der Weissagung im Gewitter fand und den rothbärtigen Donnar nicht blos als einen donnernden Jupiter verehrte, sondern auch als einen Gott des Landmannes und des Ackerbaus. Kein Volk macht sich wohl in Spruch und Fluch so viel mit Donner und Wetter zu schaffen, wie das germanische, und ein Kalender, welcher in den Sommermonaten nicht wenigstens jede Woche ein Donnerwetter aufziehen läßt, wäre vor hundert Jahren gar kein ächter Volkskalender gewesen.
Wollte ein Germanist der Geschichte des Kalenders Schritt für Schritt folgen, so könnte er damit aufs natürlichste eine systematische Darstellung des ganzen deutschen Volksaberglaubens und eines guten Stückes der Volkssitten verbinden. Für eine Zeit, wo man es noch nicht der Mühe werth hielt, über solche Dinge Buch zu führen, ist der Kalender geradezu ein Quellenwerk zur Entwicklungsgeschichte der Volksphantasie.
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Sollten die Titel der alten Kalender effektvoll sein, dann mußten sie entweder recht martialisch und grauselig klingen, wie etwa der »Kriegs-, Mord- und Tod-, Jammer- und Nothkalender,« oder mysteriös wie »die klugen Sibyllen, ein Zeit- und Wunderkalender« und »die neuen schwedischen Glücks- und Unglückssterne,« oder bombastisch anspruchsvoll wie »der verbesserte und neue europäische Geschichts-, Haus- und Staatskalender,« seltener volksthümlich gemüthlich, wie »der lustige Bauer,« »der hinkende Bote« u. s. w.
In den ehedem so beliebten »Türkenkalendern« ward die Phantasie des deutschen Volkes, welche seit alten Tagen träumt, daß von Osten her ein neuer Völkersturm der Barbaren die abendländische alte Welt in Trümmer stürzen werde, mit unerhörten Gräuel- und Bluthistorien aus den Türkenkriegen gesättigt und aufgeregt. Der gemeine Mann hatte noch starke Nerven, und wo man sie erschüttern wollte, bedurfte es starker Mittel. Ein gemüthlicher Hauskalender ohne Mord- und Todtschlag wäre eine Suppe ohne Salz gewesen. Auf den Titelkupfern durfte es an einer Sonnenfinsterniß und einem langschwänzigen Kometen nicht fehlen, deren unheimlicher Schein etwa im Vordergrund eine Landschaft beleuchtete, und im Hintergrund eine Seeschlacht, zur Rechten eine brennende Stadt und zur Linken ein auffliegendes Schiff. Vielleicht ist hierbei die Wahrnehmung nicht ganz uninteressant, daß die Räuber- und Verbrechergeschichten, welche in der späteren Volkslitteratur eine so große Rolle spielen, vor der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts kaum in den Kalendern vorkommen; man schwelgte damals vielmehr noch in dem Gräuel der Verwüstung durch Krieg und Naturereignisse. Erst nachdem die Ritter- und Räuberabenteuer in der vornehmeren Litteratur der Sturm- und Drangperiode sich eingebürgert hatten, wurden sie allmählig auch in den Kalendern Mode.
Der alte Kalender als Hausbuch wurde erst vollständig durch die fortlaufende Mittheilung der Zeitgeschichte. Unsere Urgroßväter, die doch noch sehr selten eine Zeitung zu Gesicht bekamen, wären in ihrer Kenntniß der gleichzeitigen Weltläufte lediglich auf Gerüchte und örtliche Ueberlieferungen beschränkt gewesen, wenn sie nicht in den besseren Kalendern die politischen Annalen des abgelaufenen Jahres erhalten hätten. Schon aus dieser Aufgabe erhellt übrigens, daß der damalige Volkskalender viel mehr noch auf die große Masse des Bürgerstandes als der Bauern zielte. So spiegelt uns der alte Kalender auch nicht sowohl die Gesittung des Bauern als des Kleinbürgers, und erst in unserer Zeit, wo das Bürgerthum zu einer so viel höheren Stellung aufgestiegen ist, denkt man bei einem Volkskalender zunächst an einen Bauernkalender. Durch ihren historisch-politischen Theil waren nun die Kalender des achtzehnten Jahrhunderts dem Mittelstände dasselbe, was ihm im neunzehnten die Tagespresse geworden ist. Unsere geduldigeren Vorfahren begnügten sich dabei freilich, den Zusammenhang der Weltbegebenheiten erst ein Jahr nachdem selbige vorgefallen waren, zu erfahren, brauchten sich dann aber auch um so weniger mit der Conjecturalpolitik zu plagen. So ging es ganz vortrefflich vor der französischen Revolution; als aber von da an die Geschichte rascher zu schreiten und das Blut auch des gemeinen Mannes wilder zu pulsen begann, konnte der hinkende Bote des Kalenders mit seiner Jahresrundschau nicht mehr nachkommen, und gab Politik und Zeitgeschichte an die Journalistik ab. Dafür nahm er jetzt vom vornehmen Almanach bis zum Dorfkalender herab jenen bunten Kram von Erzählungen und Anekdoten, Gedichten und Räthseln auf, den ihm nach einem Menschenalter abermals die Zeitung, als Feuilleton und Unterhaltungsblatt, streitig machen sollte. So überall um sein Monopol gebracht, hat er heutigen Tages das frühere culturgeschichtliche Interesse fast ganz verloren.
Wenn ich übrigens von dem politischen Inhalt der alten Kalender rede, so ist dabei natürlich nur an den trockensten Bericht der Staatsbegebenheiten, nicht an irgend eine Beurtheilung derselben oder gar an eine tendenziöse Einwirkung auf das Volk zu denken. Auch in dieser Hinsicht hält die Geschichte des Kalenders Schritt mit der Geschichte der Journalistik. An der Stelle, wo jetzt unsere Zeitungen Wahlsprüche führen, wie »Für Freiheit und Gesetz,« »Mit Gott für König und Vaterland« u. s. w., führte der deutsche »Reichspostreiter« damals ja auch nur sein gemüthliches » Relata refero.« Die Art, wie die Zeitgeschichte in den alten Volkskalendern berichtet wird, ist dann freilich oft originell genug, ein redendes Zeugniß für die politische Naivetät selbst der mittleren Bürgerklassen und zugleich für deren Beschränktheit und Kleinigkeitskrämerei. Als sich der zweite schlesische Krieg nach Böhmen gewälzt hatte, kann der Kalenderschreiber nur bedauern, daß dadurch die böhmischen Fasanen in den deutschen Hofküchen sehr rar geworden, da die preußischen Husaren nicht gar säuberlich mit diesem vornehmen Federvieh umgegangen seien. Die mit Holzschnitten illustrirten breiten Schilderungen von Krönungs-, Vermählungs- und Leichenfeierlichkeiten großer und kleiner Potentaten sind klassische Sittenbilder einer Zeit, wo die Idee von Volk und Staat dem Volke selbst nur leibhaftig wurde in der Erscheinung des Fürsten und seines Hofes. Beim Abschluß des Hubertsburger Friedens stellt darum der Kalenderschreiber alle weiteren Betrachtungen über die politische Bedeutung dieses weltgeschichtlichen Ereignisses, wie billig, bei Seite, um für die Schilderung des Umzugs, den der Friedensherold sammt Gefolge in Berlin gehalten, Raum zu gewinnen. Der Herold aber trug einen römischen Helm, einen Küraß mit darüber geworfenem Tigerfell, kurze Hosen, und wie der Kalender wörtlich berichtet, »saubere« weiße Strümpfe. Ein Holzschnitt in einem andern Kalender zeigt uns das Schloß Hubertsburg, aus dessen Thoren zwölf Postillone lustig blasend in die verödete Landschaft hinaussprengen, um den Frieden in alle Welt zu verkündigen, darüber СКАЧАТЬ