Culturstudien. Wilhelm Heinrich Riehl
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Culturstudien - Wilhelm Heinrich Riehl страница 7

Название: Culturstudien

Автор: Wilhelm Heinrich Riehl

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783849633912

isbn:

СКАЧАТЬ Revolution gejubelt. Jeglicher spottet über die Titelnarren und doch trägt Jeder auch heute noch immer ein ganz gehöriges Stück von dieser Narrheit in sich.

      Im siebzehnten Jahrhundert war man systemastischer, haarspaltender mit den Titeln verfahren, die Subtilität, mit welcher man sie nach Arten und Unterarten abstufte, erreichte ihren Gipfel. Dagegen nahm man in der folgenden Zeit den Mund noch weit voller mit großtönenden Prädicaten; was quantitativ vereinfacht worden war, wurde qualitativ mit Zinsen wieder eingebracht. Rococozeit und Zopfzeit verwechselten hier ihre Rollen. Denn die erstere hatte ihre Freude am Classificiren der Titel, die letztere an deren willkürlich phantastischer Verschnörkelung. Im siebzehnten Jahrhundert z.B. hütete man sich sehr, einem Doctor der Philosophie oder Medicin denselben Titel zu geben, wie einem Doctor der Rechte. Dieser war Wohledelgeboren, die andern dagegen nur Edelgeboren. Es deutet das zurück auf den alten höhern Rang der Juristen, die schon im fünfzehnten Jahrhundert das Vorrecht erhielten, Wappen und Siegel zu führen, welches sonst nur dem erblichen Adel zugestanden hatte. Selbst bei den Studenten war ein Unterschied zwischen angehenden und älteren im Titel gesetzt. Ein Fuchs wurde blos »Ehrenvester und Gelehrter« angeredet, ein altes Haus dagegen »Ehrenvester, Vorachtbarer und Wohlgelehrter.« Ganz titellos waren nur die Juden. »Als Christi Erz- und Herzfeinde« sollte man sie – wunderlich genug – höchstens »mein Freund« anreden. Das Prädikat des höchsten Vertrauens galt für ein halbes Schimpfwort, lediglich weil es kein Titel war. Den Bauersmann redete man mit hoffärtiger Herablassung schon etwas klangreicher als »ehrbarer, lieber und guter Freund« an.

      Solche subtile Unterschiede schwanden allmählich im folgenden Jahrhundert, die Titel wurden aber im allgemeinen noch weit vollwichtiger. Im siebzehnten Jahrhundert war der Dorfpfarrer noch »Ehrwürden,« im achtzehnten ward er »Hochehrwürden;« der hochwohlgeborene Graf ward hochgeboren, der hochgeborene Erlaucht. Ja unsere Zeit, die sich so bequem lustig macht über das Titel- und Ceremonienwesen der alten Zeit, hat hier in vielen Stücken erst recht den Gipfel der Devotion und Schmeichelei erstiegen. Der Briefsteller des siebzehnten Jahrhunderts schreibt noch vor, daß man in Sendschreiben an Kaiser und Könige »zur Bezeugung unterthäniger Demuth und demüthiger Unterthänigkeit« zwei Daumen breit Raum lasse zwischen der Anrede und dem Anfang des Briefs, bei hohen Staatsbeamten nur anderthalb Finger breit. Heutzutage würde sich aber ein hoher Staatsbeamter sehr beleidigt fühlen, wenn man ihm keinen größern Respectsraum als den weiland kaiserlichen von nur zwei Daumen Breite gönnte.

      Vor mehr als fünfzig Jahren schrieb Herder: »Im geselligen Umgange sogar ist Jemanden bei seinem Namen zu nennen Schimpf; Titel und Würden bei Männern und Weibern dürfen allein genannt werden: dem Ohr wie dem Auge wollen wir nur in der Livrei erscheinen. Wie leicht haben sich andere Nationen dies alte Joch gemacht oder es gar abgeworfen: der Deutsche trägt's geduldig.« Er trägt es auch heute noch. Ja nicht nur von Andern bei unserm bloßen ehrlichen Namen titellos angeredet zu werden, dünkt uns eine halbe Beleidigung: wir schämen uns sogar unsern eigenen Namen ohne Titel selber auszusprechen; es wird uns dabei zu Muthe, als ob wir uns nackt sähen, und wenn wir uns bei dem besten Freunde melden lassen, so halten wir angesichts des meldenden Hausknechtes verschämt das Feigenblatt des Titels vor.

      Doch zurück zu meinen alten Briefstellern.

      In der Zeit da sich Deutschland politisch, social und literarisch am tiefsten unter französischem Einfluß beugte, blühten in Frankreich – wie in Italien und England – classische Muster eines feinen, wohlgeglätteten Briefstyls. Allein bei allem Hang zur Ausländerei ahmte man das Ausland nur in diesem lobenswerthen Punkte nicht nach. Unsere Philologen schrieben damals die zierlichsten lateinischen Briefe, aber deutsche Briefe konnten die Deutschen des siebzehnten Jahrhunderts durchaus nicht schreiben. Man ist wohl in keinem andern Literaturzweig zu selbiger Zeit plumper und unbehülflicher gewesen. Die Schnörkel der Etikette umstrickten und erstickten als wucherndes Schlingkraut jeden Versuch eines gesunden und einfachen Briefstyls. Es ist sehr bedeutsam, daß wir während der ganzen Rococozeit keinen ordentlichen Brief schreiben lernten. Die Deutschen fanden sich am schwersten in die damaligen neuen Formen des gesellschaftlichen und geselligen Lebens, und sind später am leichtesten wieder herausgekommen. Die deutschen Familienbriefe aus dem Zeitalter Ludwigs XIV. sind ein oft wahrhaft rührendes Zeugniß dafür wie hart es uns ankam, den französischen Ton in das Heiligthum des bürgerlichen Hauses aufzunehmen. Trotz allen Modephrasen spricht aus ihnen der Geist des patriarchalischen Hausregiments. Mann und Frau behandelten sich in ihren Briefen noch mit einer altväterlich treuherzigen Etikette, gleich als sei ihre eheliche Stellung mit einer öffentlichen Würde umgeben. In jenen Tagen, wo die eheliche Treue ziemlich rar zu werden begann, war es wenigstens in den deutschen Briefen noch der Brauch, daß der Mann ein Schreiben an seine »hochgeliebte Hausehre« mit den Worten begann: »Eheliche Lieb und Treu zuvor.« Die Frau redete ihren Mann noch an als ihren »vielwerthen Eheherrn,« und die Kinder wagten es nicht, im brieflichen Verkehr ihre Eltern anders als »Herr Vater« und »Frau Mutter« zu nennen. Es waren das Ueberlieferungen einer früheren Zeit, die bis tief in's achtzehnte Jahrhundert hinein ragen. Die Welt der Familie blieb in Deutschland noch lange die alte, als die sociale Welt schon längst eine neue geworden war. Dem feierlichen Ton im Familienverkehr suchte man dann andererseits wieder durch die übertriebensten Zärtlichkeitsworte eine herzlichere Farbe zu geben. Die Meisten würden sich heutzutage schämen, ihre Braut mit so süßen Liebesausdrücken zu überhäufen, wie sie vor zweihundert Jahren der würdevolle Eheherr gleichsam officiell an seine Frau schreiben mußte. Welch wunderliche Mischung von Förmlichkeit und verrücktem Schwulst kam aber dann erst in dem damaligen Briefe eines Bräutigams an die Braut zu Tage, der – laut dem Briefsteller – etwa die Anrede führte: »Hochedelgeborene, großehrenreiche Jungfrau, schönste und hochtugendseligste Nymphe.« – (Man sieht übrigens, diese Anrede hat kein Ausrufezeichen, ist also doch wieder in einem etwas trockeneren Tone gedacht, als wir es jetzt bei Briefüberschriften zu halten pflegen. Das geschriebene Pathos der vielen, wohl gar doppelten und dreifachen, Frage- und Ausrufezeichen ist ein Erbtheil aus dem litterarisch so aufgeregten achtzehnten, nicht aus dem trocken schwülstigen siebzehnten Jahrhundert.)

      Nur die Männer der kosmopolitischen, social ausgleichenden Geldmacht, die Kaufleute, wagten es mitten in der Perücken- und Zopfzeit, sich aller müßigen Titel und Prädikate in ihren Geschäftsbriefen zu enthalten. Sie copirten zuerst den italienischen, dann den holländischen und englischen Briefsteller mit wahrhaft barbarischer Treue. So zeichnete sich der Brief des deutschen Kaufmanns sehr frühe schon durch jene gedrungene Kürze aus, die häufig durch Fremdwörter und allerlei technische Barbarismen erkauft werden muß, und ist sich während der letzten drei Jahrhunderte merkwürdig gleich geblieben. Selbst mancherlei willkürliche Formeln sind hier sehr alten Ursprungs. Es galt z.B. schon vor 250 Jahren die heute noch nicht ganz erloschene Regel, daß man in kaufmännischen Briefen das Datum an den Anfang, in Höflichkeitsbriefen aber an den Schluß des Schreibens setzen solle. Auch die Unsitte, deutsche und in Deutschland laufende Briefe aus Renommage mit französischen Adressen zu versehen, wird schon vor zweihundert Jahren gerügt. Doch soll sie damals vorzugsweise bei Kaufleuten und Gelehrten im Schwange gewesen sein, während sie heutzutage in der Regel nur noch von Frauenzimmern geübt zu werden pflegt.

      Der nach dem dreißigjährigen Krieg erwachte Eifer für Sprachreinigung klingt selbst in den damaligen Briefstellern durch. In solchen Werken des litterarischen Handwerks zeigen sich aber die Tendenzen der Zeit in der Regel weit mehr in ihrer ganzen Naivetät, d.h. auch in ihrer ganzen Schwäche, als in den höheren Erzeugnissen der schriftstellerischen Kunst. Ein durchaus puristischer Briefsteller, welcher mir vorliegt, enthüllt gerade den steifen schulmeisterlichen Zopf der damaligen Sprachreiniger anschaulicher, als es sämmtliche Acten von Zesen's »deutschgesinnter Genossenschaft« zuwege bringen könnten. Während der Geist der Sprache so undeutsch wie nur möglich ist, wird fortwährend über den Glanz der »Haupt- und Heldensprache des auf diesem großen Fußschemel Gottes wallenden Japhetischen Geschlechtes der hochedlen Deutschen« declamirt. Selbst die directe Fehde wider die Gegner der deutschgesinnten Genossenschaft, die höchst zierlich bezeichnet werden als »ihr selbstes Herz abnagende СКАЧАТЬ