Название: Schauer der Vorwelt
Автор: Tobias Bachmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783969447406
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An einer Kreuzung blieb ich kurz stehen. Hektisch begutachtete ich alle vier abgehenden Straßenzüge. Doch das Licht der Straßenlampen war dunstig und trüb. Man konnte nicht weit genug sehen und so riskierte ich es weiterzulaufen. Ich hatte keine Ahnung, in welcher Richtung sich mein Hotel befand.
Dann plötzlich ein scharrendes Geräusch, das mir aus der Dunkelheit vor mir entgegenschlug. Meine Augen weiteten sich, konnten aber noch immer nichts ausmachen. Ein weiteres Geräusch, dicht hinter mir. Ganz nah schon.
Ich wirbelte herum und floh in irgendeine Richtung. Ganz egal. Nur weg von den Dingen, die dort in der Nacht lauerten. Ich rannte über schwarzen Asphalt. Nur nicht stehen bleiben. Das Flattern und Schmatzen hinter mir wurde lauter. Ich konzentrierte mich auf meine Geschwindigkeit. Nicht aus dem Tempo kommen. Immer weiter. Nur fort.
Doch einen Ausgang aus Kingsport gab es nicht. Nicht bei Nacht. Die Stadt unterteilte sich in sieben Stadtteile, wobei eines labyrinthischer erschien als das andere. Und ich hatte ohnehin keine Ahnung, wo genau ich mich derzeit befand.
Irgendwann bog ich rechts ab und erreichte einen stinkenden Hinterhof. Dabei wollte ich Sackgassen tunlichst vermeiden. Mein Blick eilte gehetzt über die brüchigen Gebäudefassaden und blieb an einem schwarzbraunen Schuppen hängen.
Mit letzter Kraft rannte ich dort hinüber, zog das quietschende Holztor auf. Ich spürte, wie sich ein Spreißel tief in einen meiner Finger schob, ignorierte aber den Schmerz. Rasch, die Türe zugezogen.
Dunkel. Schwarz. Undurchdringlich.
Ich kauerte mich in eine Ecke, ein Astloch ermöglichte mir die Sicht nach draußen. Nur nicht zu laut keuchen, ermahnte ich mich. Bloß keinen Lärm.
Schon sah ich, wie meine Verfolger den Hinterhof erreichten. Die Geschöpfe der Nacht mit ihren feucht schmatzenden Tretern, die glänzende Schlieren auf dem schwarzen Asphalt hinterließen. Augenlose Fühler durchsuchten den Hinterhof, tasteten sich mit schleimigen Schnauzen an Mauervorsprüngen entlang und wanden sich über Pflastersteine.
Ich hielt die Luft an. Lauschte der gottlosen Geräuschkulisse jener namenlosen Kreaturen dort draußen.
Bildete ich mir das nur ein? Oder waren jene wimmelnden und sich übereinander windenden Scheußlichkeiten realer Bestandteil dieser Welt?
Ich versuchte mich an den Kirchturm zu erinnern, an den ich vor gut einer halben Stunde vorbeigeschritten war. Dort, wo ich das erste Mal festgestellt hatte, dass ich verfolgt wurde. Hatte ich auf das Ziffernblatt gesehen? Wenn ja, wie viel Uhr war es gewesen? Wie lange würde es noch dauern, bis die Sonne aufgeht? Bis die Dinger dort draußen sich in die Schatten zurückzogen, oder wo auch immer sie herkommen mochten.
Plötzlich wurde das Guckloch, durch das ich mit einem Auge angestrengt nach draußen starrte, schwarz. Spielerisch neckte mich etwas an meinem Augenlid. Tastete sich leckend voran. Hauchfein und speichelsanft erforschte es mein Gesicht, während ich versuchte, davor zurückzuweichen.
Einem dünnen Etwas gelang der Einlass durch das Astloch und ertastete, was sich hinter dem Loch verbarg. Das nackte Grauen überkam mich ob dieser Erkenntnis und ich konnte nicht mehr an mich halten.
Lautstark schrie ich los. Angst und Entsetzen machten sich in einem wirren Kreischen Luft.
Irritiert erkannte ich unverzüglich meinen Fehler, als ich spürte, wie sich die Fühler in meine aufgerissene Mundhöhle schoben. In einem Anfall panischer Hysterie biss ich zu.
Saft spritzte, und glibberig rann etwas an meinen Mundwinkeln hinab. In mir selbst machte sich ein erstickend fahler Geschmack breit, den ich kaum zuordnen konnte. Ekel überkam mich, ich würgte und spuckte, bis auch noch mein Magen kapitulierte und ich mich in der Dunkelheit des Schuppens auf den Boden erbrach. Es roch nach Magensäure und Pestilenz. Irgendetwas klatschte in der Pfütze vor mir herum. Ich hatte eine Vision von zappelnden Fischen. Hastig wandte ich mich ab und kroch in entgegengesetzter Richtung durch die Hütte. Mehrmals stieß ich mit dem Kopf gegen Inventar und musste die Richtung ändern. Orientieren konnte ich mich in der absoluten Dunkelheit überhaupt nicht. Das Einzige, was meine Fluchtrichtung bestimmte, waren die zappelnden, knackenden und saugend-schmatzenden Geräusche, die sich irgendwo hinter mir im Schuppen ausbreiteten. Wieder rempelte ich gegen irgendetwas in der Dunkelheit. Es schepperte und etwas stürzte um. Laut krachend entkam ich nur knapp dem Tod durch Erschlagen. Doch ein solcher wäre besser gewesen, als dem wuselnden Grauen ausgeliefert zu sein, dass sich den Geräuschen nach zu urteilen zunehmend im Inneren des Schuppens ausbreitete. Weiter krabbelte ich, auf allen vieren durch das Dunkel, bis mich etwas packte und ich fortgerissen wurde. Irgendetwas oder -jemand zog mich über den feuchten Dielenbretterboden. Die Geschwindigkeit nahm spürbar zu. Nur sehen konnte ich nichts. Dann tat sich etwas auf und Licht flutete mir entgegen, umgab mich und doch sah ich nichts, da es viel zu hell war für meine, nunmehr an das Dunkel gewohnten Augen. Mit einem letzten Lidflackern blickte ich zurück in den Schuppen, in dem ich mich befunden hatte, und erkannte, vor was ich davon gekrochen war. Mit der Erkenntnis traf mich die Ohnmacht wie ein kalter Schlag, der mir die Besinnung raubte.
Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in meinem Hotelzimmer. Jemand musste mich noch in der Nacht hierher gebracht, mich entkleidet und ins Bett gelegt haben. Nur wer? Carter? Ich wusste es nicht, und dass es der Alte war, der mich gerettet hatte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Ich fühlte mich leicht benommen und betastete meine Wunden. Viele gab es zu meiner Überraschung nicht. Der Spreißel in meinem Zeigefinger steckte noch immer fest in meinem Fleisch. Hinzu kamen einige blaue Flecke und eine schmerzende Beule am Hinterkopf. Als ich wenig später mit einer Pinzette beschäftigt war, den Spreißel zu ziehen, fiel mir ein, dass dieser an genau derselben Stelle steckte, wo ich jenen Stein aus Kadath berührt hatte.
War es diese Berührung gewesen, die die schrecklichen Begebenheiten der vergangenen Nacht heraufbeschworen hatte?
Vom Zimmerservice ließ ich mir warme Suppe und Tee bringen und verbrachte die übrige Zeit des Tages auf dem Zimmer, um über die Rätsel der vergangenen Ereignisse nachzugrübeln. Nachts ließ ich die Lichter brennen und träumte einen traumlosen Schlaf, wie ich meinte.
Am nächsten Tag suchte ich Carters Wohnung auf, in der Absicht, ihn zur Rede zu stellen. Doch er war nicht da. Dabei war ich mir sicher, dass mir der alte Mann etwas in den Martini gemixt hatte. Anders konnte ich mir die schrecklichen Halluzinationen nicht erklären.
Und mein anonymer Retter? Auch ihn fand ich nicht. Weder erhielt ich einen Hinweis, noch fand ich den Hinterhof mit seinem Schuppen wieder, um vor Ort auf Spurensuche zu gehen. Was war also dran, an Carters Geschichte über Kadath, an dem Stein, den ich berührt hatte, an der Synchronizität zu Lovecrafts Schriften, deren Erforschung mich ja erst hierher, an diesen grauenvollen Ort geführt hatte? Kingsport wirkte bei Tageslicht unverändert. Es war ein Ort, wie jeder andere.
Nur was die Pflastersteine anging, war ich mir nicht sicher. Sie waren schwarz. Mir drängte sich die Erkenntnis auf, dass die schwarzen Pflastersteine aus demselben Material sein könnten, wie der Stein, den Carter mir zeigte. Und damit einhergehend plagte ich mich mit weiteren Überlegungen. Etwa der, dass es in Kingsport gar keinen Weg in die Traumlande gab. Jedoch musste Carter einen Weg gefunden haben, die Welt der Träume nach Kingsport zu holen. Kingsport verwandelt sich.
Kingsport ist Kadath!
Als ich meine Koffer packte, die offenen Rechnungen beglich und Kingsport verlassen СКАЧАТЬ