Название: Schauer der Vorwelt
Автор: Tobias Bachmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783969447406
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»Es ist wie die Sache mit der Krähe«, fuhr er unbeeindruckt und mit monotoner Stimmlage fort. »Einerseits ist sie Symbol für Weisheit und Prophezeiungen. Ebenso symbolisieren sie jedoch das Böse, da Krähen bekannt dafür sind, Aas zu fressen. Sie warten auf den Tod des Gehenkten, um dann Fleischstücke aus dem Körper zu picken. Eine trostlose Vorstellung. Finden Sie nicht?«
Wortlos nippte ich von meinem Martini.
»Die Wahrheit aber ist«, führte Carter weiter aus, »dass ich gar nicht gerne von Träumen spreche. In Wirklichkeit ist es nämlich so, dass ich gar nicht träume.«
»Aber soeben sagten Sie doch … «
»Ganz recht«, unterbrach er mich. »Und natürlich treffen Sie mit Ihrem Einwand voll ins Schwarze. Aber bedenken Sie: Wenn ich einschlafe, träume ich mich in eine andere Welt. Diese ist real. Insofern kann von einem Traum nicht mehr die Rede sein.«
Auf diese Art und Weise füllten Carters Worte meinen Abend, der sich ansonsten wohl bedeutend langweiliger gestaltet hätte. Die philosophische Exegese des Traumreisenden zog mich in seinen Bann, dem ich mich alsbald nicht mehr entziehen konnte. Deutlicher Höhepunkt des Abends war das Fundstück, das er aus dem ihm nunmehr wohlbekannten Kadath mitgebracht hatte.
Zunächst erwähnte er es eher beiläufig, als er sich darüber erging, die Ebenen, die dem unbekannten Kadath vorausliegen, zu beschreiben.
»Ich stand also in dieser Einöde«, sagte er, »und sah in weiter Ferne jenen gewaltigen Koloss von Berg, der mich magisch zu sich rief. Immer näher eilte ich zu ihm, doch er schien unentwegt gleich weit entfernt zu sein. Ich erinnere mich, dass ich auf einer Anhöhe stolperte und zu Boden fiel. Als ich nachforschte, was mich zu Fall gebracht hatte, entdeckte ich einen schwarzen Stein, den ich mitnahm. Ich rappelte mich wieder auf und lief weiter, dem unbekannten Kadath entgegen.«
»Ist dieser Stein noch in Ihrem Besitz?«, fragte ich.
Carter musterte mich sichtlich irritiert.
Lag es daran, dass ich mein Schweigen brach, oder hatte der alte Mann meine Gegenwart vergessen gehabt? Vielleicht ist er es gewohnt, sich selbst allabendlich dieselbe Geschichte zu erzählen und nun verstimmt ihn die Gegenwart eines physischen Zuhörers.
Forsch blickte er mich an.
»Sagte ich denn nicht, dass ich ihn mitnahm?«
Ich hatte kaum Gelegenheit zu antworten, da fuhr er mich an: »Selbstverständlich ist der Stein noch in meinem Besitz. Was denken Sie denn? Es ist mit das Wertvollste, das ich habe.«
»Möchten Sie ihn mir zeigen?«
Carters Augen wurden groß, so als wollten sie herausfallen. Wenn ich auch nicht viel sah, ob des schalen Kerzenlichtes, so reflektierte das Weiß in Carters Augen eben dieses auf nahezu erhellende Art.
Seufzend sagte er: »Ich bin mir nicht sicher. Was sollte es bringen, Ihnen den Stein zu zeigen?«
»Ich weiß nicht«, entgegnete ich salopp. »Wirklich. Es war nur so ein Gedanke. Vielleicht hege ich die Hoffnung, auch einmal etwas aus dem Land der Träume erblicken zu können. Selbst werde ich doch nie dorthin gelangen.«
Carter nickte und dachte wohl über mein Ersuchen nach. Seine Stirn hatte sich in grüblerische Runzeln verformt.
Schwermütig trank er von seinem Martiniglas, leerte es und schenkte uns beiden nach.
»Also gut«, willigte er ein. »Ich zeige es Ihnen. Aber bedenken Sie, Fremder. Berühren Sie den Stein nicht. Ganz gleich, wie reizvoll Ihnen der Gedanke vorkommt. Fassen Sie ihn nicht an!«
»Damit habe ich kein Problem«, sagte ich. »Allerdings würde ich gerne über die Gründe Bescheidwissen.«
»Diese sind ganz einfach«, antwortete Carter. »Ich kann keine Garantie darüber erheben, was eine Berührung in Ihnen auslösen wird.«
»Was soll denn schon ausgelöst werden durch die alberne Berührung eines harmlosen Steines?«
»Harmlos?« Er lachte.
Ein bellendes, exzentrisches Lachen.
Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, erhob er sich wankend von seinem Stuhl und schlappte an mir vorüber.
»Dauert ’nen Augenblick«, hörte ich ihn murmeln, während er sich aus dem Raum entfernte und dorthin ging, wo er seinen Einkaufswagen aufbewahrte.
Wie aus weiter Ferne hörte ich es von dort rumpeln.
Einmal mehr blickte ich mich währenddessen in dem Raum um.
Der Schreibtisch vor mir, mit seinen unzähligen Manuskriptseiten, der Schreibmaschine, den Martini-Gläsern und der entsprechenden Flasche war jedoch das Einzige, was mir der Schein der Kerze preisgab.
Carter war noch immer im Hintergrund mit der Bergung seines wertvollsten Schatzes beschäftigt. Gleichzeitig konnte ich der Versuchung nicht widerstehen.
Vorsichtig erhob ich mich und nahm das oberste Blatt Papier von dem gut dreißig Zentimeter hohen Konvolut.
Was ich las, lies mir das Blut in den Adern gefrieren:
DASISTNICHTTOTWASEWIGLIEGT
BISDASDIEZEITDENTODBESIEGT
BISDASDIEZEITDENTODBESIEGT
ISTDASNICHTTOTWASEWIGLIEGT
DASISTNICHTTOTWASEWIGLIEGT
BISDASDIEZEITDENTODBESIEGT
BISDASDIEZEITDENTODBESIEGT
ISTDASNICHTTOTWASEWIGLIEGT
DASISTNICHTTOTWASEWIGLIEGT
BISDASDIEZEITDENTODBESIEGT
BISDASDIEZEITDENTODBESIEGT
ISTDASNICHTTOTWASEWIGLIEGT
Fassungslos hob ich die nächste Manuskriptseite auf. Es war derselbe Inhalt. Ich nahm einen ganzen Stapel und besah mir das nächste aufgedeckte Blatt, das ich zu fassen bekam, nur um festzustellen, dass sie allesamt denselben Inhalt hatten. Nichts als dieses kryptische Zitat, aus dem kein Mensch schlau wurde. Zumindest ich nicht. Nicht hier. Nicht in dieser Situation. Nicht in Carters Welt.
Plötzlich polterte es.
Carter kam zurück.
Rasch sorgte ich dafür, dass die einzelnen Seiten sich wieder an der gewohnten Stelle zu oberst auf dem Manuskriptstapel befanden, setzte mich zurück und trank von meinem Martini. Schweiß stand mir auf der Stirn, wie ich bemerkte.
»So, mein Freund. Hier ist das gute Stück«, sagte Carter und legte auf den Schreibtisch einen schwarzfarbenen Klumpen, von der Größe eines menschlichen Schädels.
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