Название: Ein Schuss kommt selten allein
Автор: Johanna Hofer von Lobenstein
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Jons übernatürliche Fälle
isbn: 9783948457037
isbn:
Jim folgte mir und schloss die Tür, die Hände in die breiten Hüften gestemmt. Er erinnerte an eine Bulldogge, die auf einen Knochen hofft. »Sie haben ihn gelesen. Ist er wirklich so furchteinflößend, wie er rüberkommt?«
»Dieser Mann ist der Hammer«, sagte ich im Brustton der Überzeugung. »Stellen Sie ihn ein.«
Jim fiel die Kinnlade herunter, und er stotterte: »Diesen Kerl, der aussieht wie der Handlanger des Schurken in einem Horrorfilm?«
War es wirklich so schlimm? Vielleicht hätte ich doch einen Blick riskieren sollen. »Jim, vertrauen Sie mir. Das ist der beeindruckendste Mensch, der mir in meinem ganzen Leben je begegnet ist. Sie würden es zutiefst bereuen, wenn Sie ihn nicht einstellen.«
Jim kniff die dunkelbraunen Augen zusammen. Seine defensive Haltung lockerte sich, und er ließ die Schultern sinken. Die Aura meines Chefs leuchtete normalerweise schön gleichmäßig. Jetzt blitzten grüne und violette Wirbel im Weiß auf, Zeichen von neugierigem Interesse. »Was lesen Sie denn bei ihm?«
»So einen gewaltigen Beschützerinstinkt habe ich überhaupt noch nie gesehen – es ist, als würde er ihn umgeben wie ein Magnetfeld. Ein unglaublich gutmütiger Typ. Einer, der kleine Kätzchen von Bäumen rettet, verstehen Sie? Er würde sich für einen wildfremden Menschen eine Kugel einfangen und das Ganze noch als positives Ergebnis für sich verbuchen. Bitte stellen Sie ihn ein.«
Jim hatte in den zwanzig Jahren, die er dieses Unternehmen inzwischen leitete, schon so einige interessante Gestalten kommen und gehen sehen. Er hatte sogar mich eingestellt – einen der anstrengendsten Menschen, die man sich vorstellen kann. Und alles, was er an mir auszusetzen hatte, war, dass ich teuer war. Angeblich hatte er nur meinetwegen graue Haare bekommen – dabei war er schon grau gewesen, als wir uns kennengelernt hatten.
Er antwortete nicht sofort. Mehrere Sekunden lang starrte er mich nachdenklich an, dann schien er sich entschieden zu haben. »Wenn ich ihn einstelle, wird er Ihr neuer Partner.«
Ich zuckte überrascht zurück. »Moment mal, Jim, das ist …«
»Haben Sie nicht gerade selbst gesagt, er ist einer der besten Menschen, die Ihnen je begegnet sind?«, erinnerte er mich mit zusammengekniffenen Augen.
»Na ja, schon. Aber ist es nicht vielleicht ein bisschen viel verlangt, wenn er sich gleich auf mich einstellen muss? Außerdem ist er doch wegen des Kriminalberater-Jobs hier, oder?«
»Er kommt ursprünglich von der Militärpolizei. Ich dachte, das würde ganz gut passen, weil Fort Campbell in der Nähe ist, und wir brauchen einen wie ihn. Was wir aber noch nötiger brauchen, Jon, ist jemand, der für Ihre Sicherheit sorgt.«
Das konnte ich nicht bestreiten. Es war nicht so, dass ich mich absichtlich in Schwierigkeiten brachte, wenn ich an einem Fall arbeitete. Aber die Menschen hassten es einfach, von mir durchschaut zu werden, und hatten die Tendenz, deswegen gewalttätig zu werden. »Das stimmt schon. Aber es ist doch bisher jedes Mal schiefgegangen, wenn Sie mir Partner zugeteilt haben.«
»War auch nur einer von denen wie Donovan Havili?«, setzte Jim nach. Seine Entschlossenheit war deutlich zu spüren, und seine Meridianlinien spiegelten eine seltsame Mischung aus Hoffnung, freudiger Erwartung und Erleichterung wider. Das ärgerte mich etwas – schließlich hatte ich ja noch gar nicht zugestimmt.
Aber es schien ganz so, als wäre das nur eine Frage der Zeit. »Noch nicht mal ansatzweise«, gab ich mit einem Seufzer zu. »Ich will ja gar nichts gegen ihn sagen. Aber ich bin nun mal schwer auszuhalten, vor allem über einen längeren Zeitraum. Wollen Sie wirklich riskieren, dass er gleich wieder kündigt, indem Sie ihn als Erstes mit mir zusammenstecken?«
»Jon. Sie arbeiten gerade an mehreren Fällen gleichzeitig. Sie haben mehr und mehr Einsätze bei der Polizei. Und die Hälfte der Leute, gegen die Sie ermitteln, sind Mörder oder Serienkiller. Ich möchte nicht, dass Sie wieder im Dienst verletzt werden.« Er fuhr sich mit der Hand durch die grau gesprenkelten Haare. »Aber Sie haben auch nicht unrecht. Probieren Sie es einen Monat aus. Und wenn es nicht funktionieren sollte, gebe ich ihm eben den Job, auf den er sich eigentlich beworben hat.«
»Einverstanden«, stimmte ich ohne Zögern zu. Ob ich mit dem Neuen zurechtkommen würde oder nicht, musste sich zeigen, aber dass man so jemanden nicht einfach ziehen lassen durfte, war offensichtlich. Wir brauchten gute Leute. Die nötigen Qualifikationen schien er zu haben, sonst hätte Jim ihn gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch gebeten.
Nickend öffnete Jim die Tür und trat hinaus. »Na, dann wollen wir mal.«
Ich war hin- und hergerissen zwischen Überschwang und Nervosität. Wenn sich die anderen erst mal an ihn gewöhnt hatten, würde er gut in die »Psy« passen. Ich wollte aber keinesfalls der Grund dafür sein, dass er schon nach kurzer Zeit alles wieder hinwarf. Also. Ruhig Blut. Professionell sein. Ich rückte meine Weste gerade und folgte Jim in sein Büro. Und dann sah ich mir den Mann, der in Kürze mein Partner werden würde, zum ersten Mal richtig an.
Ah, jetzt verstand ich, warum die anderen ihn ein bisschen unheimlich fanden.
Von außen betrachtet war er ein echtes Raubein. Er hatte zum Vorstellungsgespräch ein langärmeliges Hemd und ordentliche Jeans angezogen, ganz offensichtlich um einen professionellen Eindruck bemüht. Aber unter seinem Kragen und an den Handgelenken blitzten rote und schwarze Tattoos hervor. Nein, Moment. Das waren keine Tätowierungen. Das waren Narben. Ich sah die Energielinien des zerstörten Gewebes und zuckte zusammen. Das waren Säureverätzungen.
Wer zum Teufel kippt bitte schön einem anderen Menschen Säure über den Körper?
Abgesehen von den Narben hatte er breite Schultern und eine Statur wie ein Gewichtheber. Er war locker doppelt so breit wie ich und hatte kein Gramm Fett am Leib. Selbst ein Sumoringer würde bei seinem Anblick ins Grübeln kommen. Seine Hautfarbe ließ auf hawaiianische Vorfahren schließen, und seine Meridianlinien gingen auf jeden Fall auf diese Herkunft zurück. Sein Körperbau dagegen sah mehr nach Tonga aus. Ethnische Zugehörigkeiten zu erkennen, war nicht meine Stärke, aber ich war ziemlich sicher, dass ich seine richtig gedeutet hatte.
»Donovan Havili, Jonathan Bane«, stellte Jim uns vor.
Ich gab ihm die Hand und konnte mir ein breites Lächeln nicht verkneifen. »Freut mich sehr.«
»Ganz meinerseits«, antwortete er leicht verdutzt und schüttelte mir die Hand. Er war nicht der Typ für einen zu festen oder dominanten Händedruck, aber seine Stärke war spürbar.
»Sie fragen sich bestimmt, wer ich bin und wieso ich hier so einfach hereinplatze. Lassen Sie es mich erklären.« Ich nahm neben ihm Platz und wandte mich ihm zu. Dann überlegte ich es mir noch mal anders: Taten statt Worte. »Nein, noch besser ist, ich demonstriere es Ihnen und erkläre dann. Also: Sie sind 34 Jahre alt, waren fünfzehn Jahre lang beim Militär, davon eines im … Krankenhaus? Rehazentrum? Wegen des Säureangriffs. Es tut mir wirklich leid, das muss die Hölle gewesen sein. Sie sind hauptsächlich hawaiianischer Abstammung, haben aber auch afroamerikanische Wurzeln. Sie sind Single und kinderlos, haben aber ein sehr enges Verhältnis zu … Ihren Eltern, Ihrem Bruder und Ihrer Schwester? Ich bin nicht ganz sicher, ob sie Ihre Schwester oder Ihre Schwägerin ist, aber es ist klar, dass Sie sie als Schwester betrachten. Heute Morgen haben Sie noch nichts gegessen. Vielleicht waren Sie nervös wegen des Vorstellungsgesprächs? Darüber hinaus sind Sie einer der beeindruckendsten Menschen, die mir je begegnet sind, und Sie haben einen Beschützerinstinkt, bei dem Captain America blass werden würde.«
Seine goldbraunen Augen in dem kastanienbraunen Gesicht СКАЧАТЬ