Название: Ein Schuss kommt selten allein
Автор: Johanna Hofer von Lobenstein
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Jons übernatürliche Fälle
isbn: 9783948457037
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Aha, eine von denen, die glaubten, dass eine Scheidung schlimmer war als eine Affäre. Mir persönlich leuchtete diese Einstellung überhaupt nicht ein, aber ich wusste auch aus erster Hand, wie viel Schaden eine schlechte Ehe anrichten konnte. Scheidung war eindeutig das kleinere Übel. Und natürlich war alles besser als Mord.
»Hat Ihr Mann wirklich gesagt, dass er sich scheiden lassen wollte, um mit David Hardy zusammen sein zu können?«, fragte Borrowman, immer noch in leisem, beruhigendem Ton.
»Er hat gesagt, David macht ihn glücklich«, sagte sie verächtlich. »Ich habe meinen Ohren kaum getraut. Auf einmal klang es so, als sei ich das Problem, obwohl ich überhaupt nichts falsch gemacht hatte!«
»Ist Ihnen da die Hand ausgerutscht?«
»Ich habe ihn geohrfeigt, ja«, gab sie gespielt zerknirscht zu. Ich konnte deutlich sehen, dass sie Genugtuung dabei empfunden hatte, ihm Schmerzen zuzufügen. »Er hat versucht, meine Hand festzuhalten, hat mich angeschrien, ich weiß schon gar nicht mehr, was er geschrien hat, und ich musste alle Kraft aufwenden, um mich loszureißen. Ich wollte nicht, dass er mich anfasst. Es fühlte sich so schmutzig an, dass er mich mit den gleichen Händen angrapschte, mit denen er … auch ihn berührt hatte. Das konnte ich nicht ertragen.«
»So wäre es sicher jeder Frau in Ihrer Lage gegangen. Bestimmt fühlten Sie sich bedroht. Ihr Mann war schließlich viel größer und stärker als Sie. Als er Sie so festgehalten hat, sind Sie vermutlich in Panik geraten. Sie wollten sich losreißen. Aber das konnten Sie ja aus eigener Kraft gar nicht.«
»Nein«, gab sie zu, immer noch in der Erinnerung gefangen, dann erzählte sie automatisch die Geschichte weiter. »Aber ich hatte ja noch die Schere in der Hand, und …« Plötzlich wurde ihr klar, was sie gerade gesagt hatte, und sie verstummte.
»Und dann?« Borrowman machte eine ermutigende Geste. »Sprechen Sie weiter, Mrs Turnbull.«
»Nein.« Sie sah sich um, und plötzlich war ihr wieder bewusst, wo sie sich befand. Schließlich saß sie aus gutem Grund in einem Verhörraum. »Ich möchte einen Anwalt.«
»Natürlich, Sie können gerne einen anrufen. Aber brauchen Sie den wirklich? Können Sie mir nicht einfach sagen, was dann passiert ist?«
»Ich möchte einen Anwalt«, beharrte sie. Jetzt war sie verängstigt. »Ich … ich habe meinen Mann nicht umgebracht, und ich verlange einen Rechtsanwalt.«
Verdammt. Es war immer ärgerlich, wenn Verdächtige so schnell nach Rechtsbeistand riefen. Das zog unweigerlich bergeweise Papierkram nach sich, und dann konnte es Monate dauern, bis wir die Beweise fanden, die wir brauchten, um ihr den Mord nachzuweisen. Die Vorstellung, diese Frau bis dahin auf Kaution freizulassen, gefiel mir ganz und gar nicht. Einer Eingebung folgend bat ich Borrowman: »Fragen Sie, ob sie die Schere vergraben hat.«
»Gut, Mrs Turnbull. Ich gehe Ihnen gleich ein Telefon holen, dann können Sie einen Rechtsanwalt anrufen, in Ordnung? Nur noch eine schnelle Frage: Kann es vielleicht sein, dass Sie die Schere vergraben haben?«
Ihr bereits blasser Teint wurde aschfahl. »Nein.«
»Bingo!«, rief ich, auf den Zehenspitzen wippend. »So war’s!«
»Im Garten?«, hakte Borrowman nach.
»Ich sagte doch, ich hab sie nicht vergraben!«
Ich grinste sie durch den Spiegel an. »Genau dort liegt sie.«
»Vielen Dank, Mrs Turnbull. Ich gehe dann mal das Telefon holen.« Damit stand er auf und verließ den Befragungsraum, um auf meine Seite des Verhörspiegels zu wechseln. Vorsichtig zog ich mich an die Wand zurück. Beim letzten Mal hatte ich versehentlich die elektronische Schließanlage berührt – und was dann passiert war, wollte ich ungern noch mal erleben. Die Haustechniker waren nicht begeistert von mir gewesen.
Borrowman lächelte mich durch den Türspalt an. »Es geht immer so viel schneller, wenn Sie beim Verhör mit dabei sind.«
»Na ja. Ich bin eben mein Geld wert.« Achselzuckend erwiderte ich das Lächeln. »Diese Frau hinter Schloss und Riegel zu bringen, wäre mir eine Freude. Ein echtes Prachtexemplar.«
»Das sag ich Ihnen. Ich denke mal, das war’s für mich. Wenn der Rechtsanwalt erst mal hier ist, darf ich heute sowieso nicht mehr mit ihr sprechen. Fahren Sie ruhig wieder ins Büro. Ich melde mich, wenn ich Sie wieder brauche.«
Es konnte Stunden, Tage oder sogar Wochen dauern, bis Borrowman an dem Fall weiterarbeiten konnte, also stimmte ich zu. »Geht klar.«
»Aufpassen«, sagte er warnend und stieß die Tür weiter auf. »Ich halte die Tür, dann können Sie an mir vorbei.«
Das war keine übertriebene Vorsicht. Irgendetwas im Zusammenhang mit meinen Fähigkeiten als Medium brachte es leider mit sich, dass elektronische Geräte in meiner Anwesenheit verrücktspielten. Wenn ich sie anfasste, ruinierte ich sie komplett. Wenn ich mich dauerhaft im gleichen Raum aufhielt, geschah irgendwann das Gleiche. Für mich war es gelinde gesagt eine ziemliche Herausforderung, in der modernen Welt zwischen den ganzen elektronischen und mobilen Geräten zurechtzukommen.
Ich schob mich also an ihm vorbei, so gut es ging, ohne den Türrahmen zu berühren, und atmete auf, als ich im Flur stand. Gleichzeitig setzte ich meine mittelgraue Sonnenbrille auf. Die hellere benutzte ich, wenn ich jemanden lesen wollte. Mit der dunkleren Brille schirmte ich mich von der Aura größerer Menschenmengen ab.
»Bane.« Borrowman hielt inne und musterte mich besorgt. »Hören Sie, ich weiß, dass schon viele Sie darauf angesprochen haben, und ich will Ihnen auch überhaupt nicht zu nahe treten. Aber Sie brauchen wirklich langsam einen Anker.«
Ich seufzte und sah beiseite. Das wusste ich selbst. Sobald man als Medium ein bestimmtes Level erreicht hatte, war es unerlässlich, einen Anker zu haben. Bei mir war es sogar dringender als bei manch anderem. Aber eben weil ich so hilfsbedürftig war, so viel Zeit und Aufmerksamkeit brauchte, würde es für meinen Anker kein besonderes Vergnügen werden. Früher oder später würde jeder Mensch, der eine Verbindung mit mir einging, durchdrehen. Mit mir würde es nur ein Heiliger aushalten.
»Ach, Borrowman …«, fing ich müde an, und dann wusste ich nicht weiter.
»Es ist ja nicht nur so, dass Ihre Abschirmung völlig unzureichend ist«, bemerkte er ernst. »Ich meine, Sie setzen sich dafür Sonnenbrillen auf, das kann’s ja wohl nicht sein. Oder dass Sie alles Elektronische zugrunde richten. Sie haben nun mal einen gefährlichen Beruf, und wenn Sie wirklich auf jemanden konzentriert sind, nehmen Sie gar nicht mehr wahr, was um Sie herum vorgeht. Ich möchte einfach nicht, dass Sie noch mal angeschossen werden.«
»Es wurde auf mich geschossen«, betonte ich, wie ich es immer tat, wenn jemand darauf zu sprechen kam.
Borrowman winkte ab. »Haarspalterei. Sie wissen doch ganz genau, was ich meine. Dieses Einsamer-Wolf-Dasein ist einfach nicht gut für Sie, Jon.«
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