Название: Wiener Wohnwunder
Автор: Anatol Vitouch
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783710604997
isbn:
ELLA-LINGENS-HOF
Steinergasse 36
1230 Wien
Errichtet 1997–1999
491 Wohnungen
Geplant von Atelier Geiswinkler und Geiswinkler, Roland Hagmüller, Architekturbüro Henke und Schreieck, Architekturbüro Hermann & Valentiny, Peter Nigst, Hugo Potyka
SIEVERINGER STRASSE
„Chillen und das Leben genießen“
Die engagierte Betreuerin im Jugendzentrum Ju19teen, das sich mitten im Gemeindebau in der Sieveringer Straße 25 befindet, hat viel zu erzählen: von der sozialen Heterogenität des 19. Bezirks, der Bedeutung von Rückzugsorten für Jugendliche oder dem ganz unterschiedlichen Ausbildungs-Background ihrer Kolleginnen und Kollegen, die in dem gemütlichen, an eine WG erinnernden Jugendzentrum als Betreuerinnen und Betreuer tätig sind.
„Unser Standort hat viel mit der Gemeindebaunähe zu tun, weil wir zu 99 Prozent mit Kids aus den Gemeindebauten arbeiten. Solche Einrichtungen werden im Idealfall dort errichtet, wo am meisten Bedarf da ist. Man könnte glauben, im 19. Bezirk gibt’s viele gut situierte Familien, da braucht man das nicht. Mit denen arbeiten wir natürlich auch nicht. Aber die Stadt Wien hat die Standorte der Gemeindebauten so konzipiert, dass es eine soziale Durchmischung gibt, und hier in diesem Eck gibt es viele Gemeindebauten.
Wenn man Kindern und Jugendlichen einen Raum bietet, dann öffnen sie sich auch für Themen, die ihnen wichtig sind. Hier sind sie keinem Druck ausgesetzt, sie müssen nichts leisten, haben keine Voraussetzungen zu erfüllen, sondern können so sein, wie sie eben sind. Die Themen in der Arbeit mit den Jugendlichen sind unterschiedlich. Das Thema Freizeitgestaltung ist zum Beispiel wichtig für Kinder, deren Eltern nicht alles bezahlen können. Da schafft es dann Teilhabe an der Normalität der Gesellschaft für die Kinder, wenn wir mit ihnen Ausflüge machen, sie Kinofilme sehen können et cetera.
Die allermeisten Kinder, die zu uns kommen, stammen aus Familien mit Migrationshintergrund, viele sind aber hier geboren. Vor zwei Jahren hat das Zentrum geöffnet, und damals gab es hier auch eine Einrichtung vom Georg-Danzer-Haus für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Manche Kids von dort docken jetzt immer noch hier an.“
Die Jugendlichen, die an diesem Nachmittag nach und nach in kleinen Grüppchen in das Zentrum tröpfeln, sind anfangs ein bisschen wortkarg, tauen aber rasch auf, als sie erfahren, dass sie gerne auch anonym von ihrem Leben erzählen können:
„Wir dürfen uns falsche Namen ausdenken? Dann heiße ich Manfred!“
Auf die Frage nach der Lebensqualität im Gemeindebau sind Manfred und seine anonymen Freunde sich einig: „Uns geht’s gut hier.“
Und was ließe sich noch verbessern?
„Man könnte in den Höfen zumindest einen Trinkbrunnen einbauen. Sonst muss man zum Wassertrinken immer nach Hause gehen.“
Probleme mit älteren, lärmempfindlichen Mieterinnen und Mietern? Ja, die gebe es tatsächlich, bestätigt Manfred: „Zuerst informieren sie unsere Eltern, wenn wir zu laut sind. Und wenn wir dann immer noch draußen sind, rufen sie die Polizei. Zum Beispiel, wenn wir im Park Fußball spielen. Aber ich finde, die Leute müssen das doch mitbedenken, wenn sie neben einem Park wohnen wollen.“
Sie alle besuchen die Mittelschule Pirkergasse gleich ums Eck; Berufswünsche sind vorhanden und werden klar artikuliert:
„Ärztin!“ „Ingenieur!“ „Architekt!“
Und wie würde der angehende Architekt einen Gemeindebau konzipieren?
„Es sollte auf alle Fälle ein Lift da sein für Leute, die es schwer haben, Treppen zu gehen. Und er muss viele Fenster haben, das ist auch ökologisch hilfreich, das Licht tagsüber von der Sonne zu bekommen“, lautet die eloquente Auskunft.
An diesem Nachmittag sind vielleicht ein Dutzend Jugendliche da, insgesamt sollen es aber um die 25 sein, die regelmäßig kommen. Was lockt sie hierher? Die Antwort ist einfach:
„Hier kann man chillen und das Leben genießen. Zu Hause geht das nicht.“
„Und es gibt WLAN, das ist auch wichtig.“
Gibt es vielleicht noch etwas, was in der Geschichte über das Jugendzentrum Ju19teen auf keinen Fall fehlen darf?
„Ich heiße Manfred. Mein Name muss dabei sein.“
GRENZACKERSTRASSE
Das, was man selber angreift
Beatrix Vasicek und Sabina Schneider leben seit 2002 im Gemeindebau in der Grenzackerstraße zwischen Wienerberg und Laaer Berg in Favoriten. Das Paar zog damals mit ganzen sieben Kindern hier ein: zwei leiblichen und fünf Pflegekindern: „Es war sehr schwierig am Anfang. Schon die ersten Blicke, als wir eingezogen sind, waren nicht angenehm.“
Zu dem Zeitpunkt, erzählen die beiden Frauen, hätten sie noch als Schwestern gegolten, bald habe sich das aber geändert. „Die Kinder haben einen guten Beitrag geleistet, dass wir anerkannt wurden, weil wir großen Wert auf gute Erziehung sowie Freundlichkeit und Höflichkeit der Kinder gelegt haben.“ Dadurch habe sich die Atmosphäre hier nach und nach zu einem sehr guten und angenehmen Wohngefühl für die Familie entwickelt. Auch die Buben von Hausbesorger Wolfgang Mayer hätten sich gut mit ihren Kindern verstanden, was einen wesentlichen Beitrag zur Integration in der Anlage geleistet habe.
Herr Mayer selbst hat einen angenehm pragmatischen Zugang zur Lösung nachbarschaftlicher Probleme: „I hob mit kan Mieter do irgend a Problem. Und wenn’s wos geben hot, hob is immer söwa greglt.“
Mayer, der selbst seit dem Jahr 2000 hier lebt, erinnert sich an die Veränderungen in der Grenzackerstraße in den vergangenen zwei Jahrzehnten: „Damals ham wir ja noch Hasen hier gehabt, die sind bis zum Fenster gekommen.“ Der Umbau des Verteilerkreises habe sie dann vertrieben, aber: „Jetzt hamma noch Enten, Igel, Hamster und Marder.“
Auch nicht so übel! „Du bist mitten in der Stadt und trotzdem am Land und in der Natur, das is wunderbar“, bestätigt Mayer.
Was Herrn Mayer, Frau Vasicek und Frau Schneider im Rückblick immer noch überrascht, ist die positive Entwicklung des nachbarschaftlichen Klimas in der Grenzackerstraße, seit die drei ihren gemeinsamen Plan in die Tat umgesetzt und ein Gemeindebaufest veranstaltet haben. Wolfgang Mayer erzählt: „Viele haben Kuchen gebacken und mitgebracht, jeder hat was beigetragen. Es sind 283 Leute gekommen, viel mehr, als ich geglaubt hätte. Zwei Tage vorher hab ich mir noch gedacht, warum tu ich mir das an, weil’s wirklich viel Arbeit war. Aber am Tag des Festes hab ich gewusst: Dafür hab ich’s gemacht und das mach ich jederzeit wieder.“