Geisterkind. Christine Millman
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Название: Geisterkind

Автор: Christine Millman

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783947634934

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СКАЧАТЬ zu schmerzen. Unbehaglich rutschte sie auf dem Steinboden herum. Um sich abzulenken, sah sie in den Himmel hinauf und betrachtete die Sterne, die hier, in der klaren Weite Ruttens viel heller leuchteten als in ihrem Heimatdorf. Ihre Gedanken wanderten zu Ban und ihren Geschwistern, die unter demselben Himmelszelt lebten. Der Gedanke hatte etwas Tröstliches. Injas Füße kribbelten unangenehm und der Schmerz in den Knien zog mittlerweile bis in den Rücken hinauf. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte sie, abwechselnd ein Bein zu entlasten, was den Druck auf das andere Knie jedoch um ein Vielfaches erhöhte.

      »Was passiert, wenn ich es nicht schaffe?«, fragte sie an den Wächter gewandt.

      »Du musst«, erwiderte er gelassen.

      »Und wenn nicht?«

      »Wenn du Glück hast, musst du fortan bei den Geißen schlafen und für den Rest deines Lebens niedere Dienste verrichten. Wenn du Pech hast, wirst du nach Amhorst gebracht und auf dem Sklavenmarkt verkauft.«

      Inja schnappte erschrocken nach Luft. Amhorst war ein Sündenpfuhl, den kein Gotländer freiwillig betrat. »Aber ich bin keine Sklavin.«

      »Der Konvent hat dich gekauft, also kann die Erhabene über dich verfügen«, erwiderte der Mann ungerührt. »Wenn du nicht rein wirst, kann sie dich zu einer Sklavin machen.«

      Wieder dachte Inja an Ban. Um seinetwillen musste sie durchhalten, denn wenn man sie nach Amhorst brachte und verkaufte, würde er sie niemals finden und ihre Hoffnung auf Freiheit wäre für immer verloren.

      Die Nacht schritt voran. Der erste Bewacher wurde von einem grimmig dreinblickenden abgelöst, der die Arme vor der Brust verschränkte und Inja jedes Mal argwöhnisch beäugte, sobald sie sich rührte, als befürchtete er, dass sie aufstehen und weglaufen oder die bösen Geister aus ihr herausspringen würden. Mittlerweile spürte sie ihre Füße nicht mehr, ihre Muskeln zitterten unkontrolliert und die Qual in ihren Knien und im Rücken wurde so unerträglich, dass sie sich wünschte, ohnmächtig zu werden. Hunger, Durst, Müdigkeit und Schmerz trugen sie auf dornigen Schwingen durch die Nacht und verscheuchten jeden hoffnungsvollen Gedanken. Die Sterne verschwammen zu bleichen Schemen und die Tür zum Tempel glich mehr und mehr einem riesigen, schwarzen Maul, das sie zu verschlingen drohte.

      »Oh Göttin des Erbarmens steh mir bei«, flehte sie immer wieder. »Hilf mir durch den Schmerz und die Verzweiflung. Gib mir Kraft für einen neuen Morgen.«

      Kurz vor Morgengrauen kippte sie mit einem verzweifelten Schluchzen vornüber und stützte sich auf dem Boden ab. »Helft mir, ich flehe euch an.«

      Ihre Stimme war nur noch ein Wimmern. Ihr Kopf sank auf den Stein. Jeden Augenblick würde sie zur Seite kippen, das spürte sie, doch es war ihr egal. Sollte die Erhabene sie ruhig auf dem Sklavenmarkt verkaufen, es konnte kaum schlimmer sein als an diesem elenden Ort.

      »Steh auf! Sie kommen«, sagte der Bewacher.

      Inja hob den Kopf. »Wer?«

      »Die Gesegneten und die Konventen. Erheb dich!«

      Inja stemmte sich auf alle viere und sah sich um. Die Dunkelheit wurde von Fackeln erhellt, Menschen näherten sich. Der Bewacher griff unter ihre Armbeuge und half ihr, damit sie den Oberkörper aufrichten konnte. »Du hast tapfer gekämpft. Nur Wenige halten die Nacht durch.«

      Inja schluchzte. Jede Bewegung war eine einzige Qual. »Ich kann nicht aufstehen«, wisperte sie.

      »Das musst du auch nicht. Man wird dich zum Wasser tragen.«

      Die Erhabene Eltrud trat auf sie zu, sprach eine Segnung und bedeutete den anderen, sie hochzunehmen. Inja schrie auf, ihre Muskeln waren steif und die Knie fühlten sich an, als hätte sie jemand mit einem Schmiedehammer zertrümmert. Während sie die Stufen hinabgetragen wurde, sangen die Konventen ein Lied über ewiges Leid und die Gnade der Erlösung. Wieder wurde Inja unter Wasser getaucht. Sie begrüßte die Wellen, die über ihr zusammenschlugen, die Stille und die kühle Geborgenheit. Fast wünschte sie sich, niemals wieder aufzutauchen, eins zu werden mit dem endlosen Meer, denn die Welt oberhalb der Schwerelosigkeit war grausam und kalt. Sie starrte auf die Wasseroberfläche, betrachtete das rote Leuchten der aufgehenden Sonne, das wie Fragmente aus gebrochenem Licht über ihr erstrahlte. Sie würde nicht zappeln und nach Atem ringen, sie würde einfach davonschweben. Schicksalsergeben schloss sie die Augen.

      Und plötzlich wurde Inja emporgehoben, hinaus an die kalte Luft. Die Morgensonne begrüßte sie mit einer wärmenden Umarmung. Jemand sprach, sie hörte ihren Namen, doch war sie zu schwach, um darauf zu reagieren. Der Himmel über ihr bewegte sich, wurde zu einer Decke aus Stein, die sich schützend über ihr wölbte. Hände kneteten ihre Muskeln, versuchten, die Beine zu strecken. Schmerzen stachen durch ihre Knie. Jemand schrie. Sie schrie. Gnädige Dunkelheit senkte sich auf sie herab.

      Als Inja die Augen aufschlug, erblickte sie die Decke des Gebetshauses und das Fresko von Huam und Geb, den gotländischen Schutzgöttern, das aus vielen kleinen Steinen und Muscheln darauf verewigt war. Sie lag auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet, die Beine gestreckt und sie fror. Natürlich. Im Gebetshaus war es kalt.

      »Beweg dich nicht«, zischte eine Stimme hinter ihr.

      Inja verdrehte die Augen. Griselle.

      »Hier trink das.« Die Gesegnete hob ihren Kopf und hielt ihr einen Becher an die Lippen. Kühles Wasser floss in Injas Mund. Sie trank es gierig.

      »Den Tag wirst du in dieser Haltung verbringen und dich in das Antlitz unserer höchsten Götter vertiefen, die dir nach der ersten Nacht der Reinigung gestatten, ihren Tempel zu betreten. Du darfst nicht sprechen und nicht einschlafen«, mahnte Griselle. »Ein Beschützer wird über dich wachen.« Sie erhob sich und ging. Erst jetzt bemerkte Inja den Beschützer, der im Hintergrund wartete. Es war einer der Männer, die sie in den Konvent begleitet hatten. Benommen fragte sie sich, wie lange sie ohnmächtig gewesen war.

      Der Tempel hatte keine Fenster, wurde nur von Kerzen erhellt, die auf den Altären und entlang der Wände standen. Der kalte Boden fraß sich wie Säure durch das nasse Untergewand und kroch in ihre Knochen. Tränen brannten in ihren Augen, doch sie verbot sich, auch nur eine zu vergießen.

      Der Tag verging quälend langsam. Der Schmerz in den Beinen wurde abgelöst von Eis. Schlotternd versuchte sie, ihre Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Huam und Geb über ihr schimmerten warm und farbenfroh im Kerzenschein, doch ihre Wärme drang nicht bis zu ihr hinab. Zudem hatte sie schrecklichen Hunger. Wieder fragte sie sich, ob sie nicht mit einem Schlafplatz bei den Geißen oder dem Amhorster Sklavenmarkt vorlieb nehmen sollte, anstatt auch nur einen weiteren Augenblick auf dem kalten Boden zu verbringen.

      Als die Kerzen fast heruntergebrannt waren, betraten die Gesegneten und Konventen den Tempel. Inja hatte jedes Zeitgefühl verloren, sie hätte nicht einmal zu sagen vermocht, ob es Tag war oder Nacht. Die Konventen verteilten sich im Raum, knieten nieder und stimmten ein Gebet an. Inja wurde auf die Füße gestellt. Zwei Konventinnen stützten sie, damit sie nicht zu Boden sackte, und geleiteten sie in die Nacht hinaus. Den Weg zum Strand kannte Inja bereits, aber sie wäre auch mit zu den Klippen oder in die Höhlen gegangen. Ihr war alles egal. Als man sie erneut untertauchte, wartete sie eine Weile und fing dann halbherzig an, zu zappeln. Sie würden sie sowieso nicht unter Wasser lassen, also konnte sie es auch hinter sich bringen. Wenn ich noch einmal knien muss, gebe ich auf, dachte Inja, als sie zum Tempel zurückgeschleppt wurde. Die nasse Kleidung klebte an ihrer kalten Haut. Jede Wärme schien aus ihrem Körper gewichen zu sein.

      »Heute Nacht wirst du stehen«, beschied die Erhabene ungerührt.

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