Название: Geisterkind
Автор: Christine Millman
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783947634934
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»Auf dem steinigen Boden wächst nicht viel, doch es reicht, um uns zu nähren«, erklärte Griselle beim Gehen.
Nach dem Feld führte die Gesegnete sie eine Treppe hinab zu einem schmalen Strand, der nur über die ausgetretenen Stufen erreicht werden konnte. An mehreren Stellen ragten Pfosten aus dem Wasser, zwischen denen Netze gespannt waren.
»Das sind unsere Fischnetze. Einmal täglich holen wir den Fang ein«, erklärte Griselle. »Diese Aufgabe ist bei den Konventen nicht besonders beliebt. Die Strömung ist unberechenbar und der Strand wird hin und wieder von großen Wellen überspült, die jeden mit sich reißen und auf das offene Meer hinaustragen. Kraft und die Fähigkeit, lange unter Wasser zu bleiben ist von Vorteil.«
Obwohl Griselle vor den Gefahren gewarnt hatte, wusste Inja sofort, dass sie diese Aufgabe gerne übernehmen würde, ganz im Gegensatz zu Lykke, die die Netze beäugte wie eine Giftschlange. Inja liebte das Wasser und konnte länger die Luft anhalten als jeder andere. Zudem erschien ihr der einsame Strand wie ein Stückchen Freiheit, ein Ort, an dem sie unbehelligt von den Blicken der anderen ihre Arbeit verrichten könnte.
»Da oben liegen die Höhlen.« Griselle deutete auf die Klippen über ihnen. »Täglich klettern fünf Konventen hinein, um nach Steinen zu graben, die wir dann zu Schmuck verarbeiten.«
Vom Strand aus sah es hoch und gefährlich aus und Inja hoffte, dass sie nicht gerade zum Edelsteinschürfen eingeteilt werden würde. Weder wollte sie in dunklen Höhlen herumkriechen, noch an Steilhängen entlang klettern. Bestimmt stürzten immer wieder Konventen in die Tiefe.
Als Griselle sie die Stufen wieder hinaufführte, knurrte Injas Magen vernehmlich. Seit dem Buchweizenbrei am Morgen hatte sie nichts mehr gegessen. »Wann speisen die Konventen, Gesegnete?«, wagte sie zu fragen.
»Ihr bekommt am Morgen und am Abend eine Mahlzeit. Die Konventinnen, die im Garten, im Stall und in den Höhlen arbeiten bekommen zusätzlich eine Scheibe Graubrot für zwischendurch. Wir essen, um zu überleben und meiden Völlerei«, erwiderte Griselle. »Ihr beiden bekommt jetzt allerdings nichts mehr, da ihr heute gereinigt werdet.«
Inja runzelte die Stirn. »Was bedeutet das?«
»Ihr werdet fasten, beten und baden. Üblicherweise ist die Zeremonie von kurzer Dauer. Nach der Reinigung im Salzmeer muss die neue Konventin einen Tag und eine Nacht lang fasten«, sie wandte sich Inja zu. »Da du aber ein Winterkind bist, wirst du zwei Nächte und zwei Tage lang deinen Leib zu einem Ort machen, den kein böser Geist freiwillig heimsucht.«
Inja schluckte. Zwei lange Tage ohne Essen, wo sie doch jetzt schon schrecklichen Hunger hatte.
Am Abend versammelten sich die Konventen und Gesegneten auf dem Platz im Hof, um Injas und Lykkes Reinigung zu zelebrieren. Die rote Sonne versank hinter dem Horizont und tauchte die Mauern des Konvents in flammendes Licht. Die Erhabene Eltrud führte sie die Steinstufen hinab an den Strand, wo sie bis auf das Untergewand entkleidet und von zwei Gesegneten zum Wasser geleitet wurden. Lykke zitterte am ganzen Leib. Sie konnte nicht schwimmen und fürchtete, zu ertrinken.
»Konventinnen. Wir reinigen euren Leib vom Schmutz dieser Welt«, rief Eltrud.
Fackeln wurden entzündet. Die Konventen knieten im Sand, und senkten demütig die Häupter. Inja fiel auf, dass keine alten Frauen unter ihnen waren, nicht einmal jemand im Alter ihrer Eltern. Ob das gut oder schlecht war, konnte sie noch nicht beurteilen, aber es machte sie zumindest misstrauisch.
Das Wasser leckte an Injas Füßen, es war kalt und weich, körniger Sand schob sich zwischen ihre Zehen. Der zeremoniellen Reinigung blickte sie verhältnismäßig gelassen entgegen. Wasser war ihr Freund. Trotzdem fing ihr Herz an zu pochen, als die beiden Gesegneten und zwei Beschützer sie packten und tiefer in das Wasser trugen. Lykke neben ihr schluchzte und zappelte. Als sie bis zu den Hüften im Wasser standen, hielten sie inne und drückten Inja nach unten. Bevor das Wasser über ihr zusammenschlug, hielt sie rasch den Atem an. Kälte umfing sie und die vertraute Stille. Über sich sah sie die verschwommenen Gesichter der Beschützer, spürte die Hände, die sie unter der Wasseroberfläche hielten. Ein kleiner Fisch schwamm vorbei, berührte ihre nackten Beine und entlockte ihr ein Lächeln. Er verschwand, als das Wasser plötzlich in Wallung geriet, weil Lykke neben ihr anfing zu zappeln. Inja drehte den Kopf in Richtung ihrer Leidensgefährtin. Sie sah schäumendes Wasser und wild um sich schlagende Arme und Beine. Die Beschützer hielten Lykke unbarmherzig unter Wasser. Wollten sie das Mädchen etwa ertränken?
Inja streckte den Arm aus und versuchte, Lykke zu berühren, ihre eigene Gelassenheit auf das Mädchen zu übertragen, doch sie war zu weit fort. Und dann wurde Lykke plötzlich emporgehoben und verschwand aus ihrem Blickfeld. Inja sah wieder nach oben. Das Wasser beruhigte sich. Wabernde Kreise aus Licht tanzten über die Wasseroberfläche, als am Strand Fackeln entzündet wurden. Nach und nach wurde die Luft weniger, dennoch blieb sie ruhig. Ihre Gedanken wanderten zu Ban und seinem Versprechen. Sein jungenhaftes Gesicht erschien vor ihrem geistigen Auge. Er lächelte sie an und sie verspürte den Wunsch, ihn zu küssen, wie in der Nacht als sie bei ihm übernachtet hatte. Irgendwann wurde die Luft knapp. Inja sah auf die Hände, die sie unbarmherzig unter Wasser drückten. Warteten sie darauf, dass sie zu zappeln begann? Sie harrte aus, zählte die Wellen, die über sie hinwegspülten. Zehn, zwanzig, dreißig Mal. Der Drang zu atmen überkam sie mit überraschender Dringlichkeit. Vorsichtig versuchte sie, sich von den Händen der Beschützer zu befreien. Erfolglos. Ihr Körper schrie nach Luft. So fest sie konnte trat sie um sich, strampelte gegen den unbarmherzigen Griff der beiden Männer.
Sie musste atmen. Sofort!
Ihr Mund öffnete sich und plötzlich war da kalte Luft, die in ihre gierigen Lungen strömte. Sie wurde an Land gezogen und auf die Füße gestellt. Verwirrt blickte sie sich um. Die Fackeln fauchten im Wind, Wasser umspülte ihre Knöchel, wann immer eine Welle über das Ufer rollte.
Die Erhabene Eltrud beäugte Inja mit eisigem Blick, als wäre sie ein widerliches Getier, das irgendjemand aus Versehen aus dem Meer gezogen hatte. Doch da war noch etwas anderes in ihren Augen. Furcht. Vor was fürchtete sie sich? Vor Inja wohl kaum.
Langsam erhob die Erhabene sich. »Knie nieder, Konventin!«
Inja tat wie geheißen.
»Äußerlich bist du gereinigt«, fuhr Eltrud fort und es klang alles andere als überzeugt. Hoch erhobenen Hauptes wandte sie sich zum Gehen. Inja folgte der Prozession die Stufen hinauf Richtung Gebetshaus. Das Untergewand hing an ihr wie nasse Schlingen, Wasser triefte auf den Boden. Sie fühlte sich schwach und hungrig und sie fror.
Vor dem Eingang hielt Eltrud inne. »Bis zum Morgengrauen wirst du an der Pforte des Tempels knien und die Götter um eine reine Seele bitten.«
Die Prozession entfernte sich. Ein Beschützer drückte sie auf die Knie und blieb bei ihr, um über sie zu wachen. Während sie auf den kalten Steinen kniete, spähte sie in das Gebetshaus, das im Konvent als Tempel bezeichnet wurde. Für einen Tempel fand Inja das Gebäude allerdings ziemlich schlicht. Es strahlte keinerlei göttliche Erhabenheit oder Ruhe aus. Weder gab es Bänke noch eine andere Sitzgelegenheit, nur drei hölzerne Altäre, die mit Opfergaben bestückt waren, sowie ein grobes, aus Stein gemeißeltes Bildnis der Götter Huam und Geb.
Die Nacht war СКАЧАТЬ