Название: 100 Jahre Österreich
Автор: Johannes Kunz
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783903083790
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Die sozialdemokratische Satire freilich artikuliert strikt Habsburg-feindlich:
»Pofelstaat, Du warst zum Speien,
Wert so schäbig einzugehen,
Deine Schranzen und Lakaien
Will das Volk nie wiedersehen.«
Willy Stieborsky im Beiblatt der »Muskete« vom 19. August 1920 über eine zeitlose Aktualität
Welche Nation? Die Resignation!
Also dem deutschen Volk soll sich Österreich nicht anschließen. Welcher Nation wird es dann angehören? – Der Resignation! Dieser Spruch aus den 1920er-Jahren sagt sehr viel aus über den weitverbreiteten Pessimismus unter den Menschen. Der Anschlussgedanke hatte Hochkonjunktur, während die Christlich-Sozialen die Sozialdemokraten in der Wählergunst überholten und beide Großparteien paramilitärische Verbände gründeten: die Heimwehr auf der einen, den Republikanischen Schutzbund auf der anderen Seite. Zur politischen Radikalisierung trug die katastrophale wirtschaftliche Lage mit hoher Arbeitslosigkeit und Inflation bei.
Die neue Verfassung von Prof. Hans Kelsen konstituierte Österreich als einen aus neun Bundesländern bestehenden Bundesstaat. Die schwarzen Länder standen geschlossen gegen das rote Wien, wo beispielhafte Reformen – vom Wohnbau über die Gesundheitsversorgung bis zum Schul- und Bildungswesen – umgesetzt wurden. Für die mehrheitlich sozialdemokratischen Wiener galt die konservativ wählende Provinz als Hort einer christlich-deutschnationalen Reaktion oder, wie es Gottfried Heindl nannte, des »arisch-alpinen Sumpertums«. Für die mehrheitlich schwarz wählenden Bewohner der Bundesländer wiederum war die Metropole ein Sumpf aus Radikalen, Freimaurern, Bolschewiken und Juden. Es klaffte also ein Gegensatz zwischen Wien und der Provinz. Für das so klein gewordene Österreich schien die Hauptstadt nun viel zu groß. Der Begriff vom »Wasserkopf Wien« entstand. Immerhin neideten die kriegsgeschädigten Wiener der Landbevölkerung, dass diese sich aufgrund der Agrarwirtschaft besser versorgen und ernähren konnte.
Sprüche wie der folgende zeugen von der weitverbreiteten Zukunftsangst dieser Jahre: Das ist bei Neuösterreich das Fatale – man fragt sich: Ist’s Ouvertüre oder schon Finale? Viele Menschen glaubten einfach nicht an dieses Rumpfösterreich. 1925 löste der Schilling die Krone als Zahlungsmittel ab. Zwar konnte die Inflation gestoppt werden, doch mit dem Rückgang der Wirtschaftsleistung und dem Ansteigen der allgemeinen Not stieg insbesondere in Wien die Selbstmordrate an.
Man blickte nach Osten in Richtung des versunkenen Zarenreiches und fragte sich: Welcher Unterschied besteht zwischen Russland und Österreich? – In Russland herrscht der Bolschewismus, in Österreich der Vollbeschissmus. Und traurige Witze wie dieser über den Ausspruch eines Vaters kursierten: »Für meine Buben steht der Beruf schon fest: Den einen lass ich Arbeitslosen werden, den anderen Mindestbemittelten.« Von der Untätigkeit zur Untat ist es bloß ein Schritt und so nahm auch die Kleinkriminalität zu.
Das Verhältnis der Österreicher zur Demokratie und auch das Demokratieverständnis der politischen Parteien sind in den 1920er-Jahren zwiespältig, wovon dieser Reim Zeugnis gibt:
Im Wachen und Schlummer
Der Mensch sei, wer er sei,
Wird er zur nackten Nummer
Im Rahmen der Partei.
Und kommt es zu den Wahlen.
Dann klingt die Litanei,
Man lässt sich überstrahlen
Vom Glanze der Partei.
Und wagt ein Schaf zu blöken,
Erhebt sich ein Geschrei.
Es frevelt an den Zwecken
Der heiligen Partei.
Die Viecher müssen schweigen
Und zahlen nebenbei.
Kuscht Euch! Ihr sollt Euch neigen
Der Knute der Partei.
So macht Euch doch den Rücken
Ein wenig grad und frei!
Wer darf uns unterdrücken?
Zum Teufel die Partei!
Ludwig Kmoch im Beiblatt der »Muskete« vom 22. Juli 1920 über das Buhlen der Parteien um Wählerstimmen
Zwei flüchtige Bekannte treffen einander zufällig auf der Straße. Es kommt zu diesem Dialog:
»Lieber Freund, neulich demonstrierten Sie mit den christlich-sozialen Gewerbetreibenden, gleich darauf mit den Sozialdemokraten, welche ist denn eigentlich Ihre Gesinnung?«
»Ich demonstriere immer mit der Partei, die im Recht ist, und im Recht ist immer die, die zuletzt demonstriert.«
Typisch für diese Zeit auch der Wortwechsel zweier Berufskollegen:
»Gestern habe ich einem Schweinekerl ein paar Ohrfeigen gegeben!«
»Ah, betätigst Du Dich jetzt auch politisch?«
Politische Versammlung in der Wiener Vorstadt.
Ein Redner: »Wir müssen abbauen, meine sehr Geehrten, alles abbauen, was morsch und faul ist in unserem Staate.«
Da meldet sich lautstark ein Zwischenrufer: »Machen S’ eahna ka ung’schaffte Arbeit, s’ fallt eh scho alles z’samm!«
Zu Beginn einer Gerichtsverhandlung fragt der Richter: »Sind Sie vorbestraft?«
Der Angeklagte: »Ja, ich habe die letzten drei Jahre in Österreich verbracht.«
Für immer mehr Menschen ist es schwer, das Nötigste für den Lebensunterhalt zu verdienen. So sagt man über Wiener Mädchen: Ihre Väter sind im Felde gefallen, sie auf der Straße … Skurril auch die Unterhaltung zweier Geschäftsleute:
»Na, was machen Deine Geschäfte?«
»Naja, weißt eh, ma zahlt ja jetzt dauernd drauf!«
»No, dann sperr’ doch einfach den Laden zu!«
»Und СКАЧАТЬ