100 Jahre Österreich. Johannes Kunz
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Название: 100 Jahre Österreich

Автор: Johannes Kunz

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783903083790

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СКАЧАТЬ Manier, mit dem Ernst des Lebens fertig zu werden, wie das Tarockspiel, und da es Menschen gibt, die vom Tarockspiel leben, ist der Berufspolitiker eine durchaus verständliche Erscheinung. Umso mehr, als er immer nur auf Kosten jener gewinnt, die nicht mitspielen. Aber es ist in Ordnung, dass der Kiebitz zahlen muss, wenn das geduldige Zuschauen seinen Daseinsinhalt bildet. Gäbe es keine Politik, so hätte der Bürger bloß sein Innenleben, also nichts, was ihn ausfüllen könnte.«

      Doch wovor müssen sich Politiker hüten? – Vor freien Wahlen, vor freien Meinungsäußerungen, vor Fanatikern. Und vor Witzen. In einer Diktatur kann ein Politiker Wahlen verfälschen, Meinungsäußerungen verbieten, Fanatiker kaltstellen. Nur gegen Witze kann er sich nicht wehren. Aber auch in einer Demokratie eignet sich niemand besser als Ziel von Witzen wie der Politiker. Er ist der Buhmann der Nation, auch wenn er von ebendieser gewählt wurde.

      Was ist der Unterschied zwischen einer Telefonzelle und der Politik? – In der Telefonzelle muss man erst zahlen und darf dann wählen, in der Politik darf man erst wählen und muss dann zahlen.

      Gerhard Bronner hat Recht, wenn er sagt, die Zahl der guten Witze sei wesentlich kleiner als die Zahl guter Romane. Es gebe eben in der Literaturgeschichte mehr Romanautoren als Humoristen: »Die meisten Witze werden in der Praxis nicht erfunden (oder erdacht), sie passieren einfach irgendwie. Sie müssen nur als Witz erkannt, vielleicht ein bisschen umformuliert werden, sie gehen von Mund zu Mund, fast jeder Erzähler fügt etwas hinzu (oder lässt etwas weg) und schon ist ein neuer – manchmal sogar ein guter – Witz entstanden. Und damit sind wir übergangslos bei der Anekdote angelangt. Das Wort stammt natürlich aus dem Griechischen – wie vieles andere auch. ›Anekdoton‹ heißt, wörtlich übersetzt, ›das nicht Herausgegebene‹. Wieso? Ein gewisser Prokopios verfasste im 6. Jahrhundert ein Werk mit kritischer Tendenz und zahllosen Indiskretionen über den Kaiser Justinian – ein Werk, das allerdings erst nach dessen Tod erscheinen konnte. Dieses Pamphlet nannte er ›Anekdoton‹. Seither gilt die Anekdote als eine zunächst mündlich verbreitete Erzählung aus dem Leben einer prominenten Persönlichkeit. Es konnte ein Herrscher sein, ein Politiker, ein Künstler, oder einfach jemand, der sich für wichtig hält, weil er gerade in irgendwelchen Schlagzeilen aufscheint. Das wesentliche Merkmal einer Anekdote besteht darin, dass durch ein Zitat oder eine Aktion die charakteristische Eigenart dieser Person verdeutlicht wird – eine repräsentative Momentaufnahme sozusagen. Erzählenswert wird so eine Anekdote vor allem dadurch, dass am Ende derselben eine überraschende Wendung – also eine Pointe – zu finden ist. Diese Pointe allerdings muss von irgendwem als solche erkannt werden – und solche Menschen sind fast so selten zu finden wie die zuvor erwähnten Humoristen.«

      Beginnen wir also unsere Zeitreise beim Ende der alten k. u. k. Monarchie, auf deren Trümmern das kleine Österreich als Republik entstand. Worüber konnten sich die Österreicher seinerzeit mokieren und amüsieren?

      Viel Vergnügen bei der Lektüre!

      Johannes Kunz

      Wien, im September 2017

      Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst

       Mit diesem Satz glossierte Karl Kraus die letzten Jahre der k. u. k. Monarchie, die vom Ersten Weltkrieg geprägt waren, der von 1914 bis 1918 in Europa, im Nahen Osten, in Afrika, in Ostasien und auf den Weltmeeren geführt wurde. 17 Millionen Menschen kamen darin um. Er begann am 28. Juli 1914 mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien nach dem Attentat von Sarajewo auf den Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie Chotek, Erzherzogin von Hohenberg.

       Mitten im Krieg starb 1916 Kaiser Franz Joseph I., der seit 1848 in Wien regiert hatte. Sein Nachfolger Karl I. vermochte das Kriegsgeschehen nicht zum Besseren zu wenden. Karl I. sollte der letzte Repräsentant jenes Systems werden, das der Begründer der Sozialdemokratischen Partei, Victor Adler, so definierte: »Österreich ist eine absolutistische Monarchie, gemildert durch Schlamperei.«

       Die Zeit der Monarchie lief langsam ab, da etablierte sich Anfang des 20. Jahrhunderts das Wiener Kabarett. 1906 eröffnete »Das Nachtlicht«. Roda Roda, Carl Hollitzer und Peter Altenberg traten hier auf. Und Karl Kraus gehörte zu den Stammgästen. Ebenfalls 1906 sperrte »Die Hölle« auf. Hier begann Fritz Grünbaum seine Karriere, der bald nach Berlin ging, von wo er 1914 zum »Simplicissimus« nach Wien zurückkehrte. »Die Fledermaus« startete 1907. Josef Hoffmann und Mitarbeiter der Wiener Werkstätte hatten die Innenausstattung gestaltet. Für Dekorationen und Programmzeichnungen sorgten Oskar Kokoschka, Gustav Klimt und Emil Orlik. Beiträge zum Programm lieferten Peter Altenberg, Hermann Bahr, Egon Friedell, Max Mell und Alfred Polgar. Auf der Bühne sah man u. a. Roda Roda. Der Erste Weltkrieg brachte eine Verschärfung der Zensurbestimmungen und verunmöglichte zunächst das politische Kabarett.

       Anlässlich der Verhängung eines Aufführungsverbotes für das Stück »Der Feldherrnhügel« von Roda Roda und Carl Rössler wurde den Autoren schroff mitgeteilt: »Solange die österreichisch-ungarische Monarchie besteht, wird dieses Stück nicht aufgeführt!« Darauf Rössler zu seinem Partner: »Lieber Roda, die paar Wochen wart mal halt noch!« Freilich konnte eine noch so strenge Zensur die Verbreitung von politischen Witzen über die Monarchie und den zunehmend negativen Kriegsverlauf nicht verhindern.

       Tauchen wir also ein in Stefan Zweigs »Welt von gestern«, in der sich nicht nur die modernen Parteien, sondern auch neue Formen von Unterhaltung herausbildeten, indem Kabaretts, Varietés und Kaffeehäuser zu Zentren bürgerlichen Vergnügens wurden.

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      Karl Lueger, Sohn eines Hochschulpedells, von Beruf Rechtsanwalt, ist von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister. Der Christlich-Soziale, genannt »schöner Karl«, entwickelt sich zum Volkstribun. Wenngleich seine Partei antisemitisch eingestellt ist, hat er viele jüdische Freunde, wofür er diese apodiktische Erklärung hat: »Wer a Jud is, bestimm i.« Und obwohl die Christlich-Sozialen ihren Zulauf nicht zuletzt den kleinen Gewerbetreibenden verdanken, die sich von den Zuwanderern aus den verschiedenen Teilen der Monarchie bedrängt fühlen, quittiert Lueger Attacken gegen die vielen böhmischen Schuster und Schneider mit den Worten: »Laßt’s mir meine Böhm in Ruah …«

      In Kreisen des Hochadels inklusive Kaiser Franz Joseph I., der übrigens mehrmals die Bestätigung der Wahl Luegers zum Bürgermeister wegen dessen Antisemitismus verweigert, ist die christlich-soziale Partei als revolutionär verschrien. Lueger selbst ist stets auf die Propagierung der Leistungen seiner Stadtverwaltung bedacht. Auf keinem Bauwerk darf eine Gedenktafel mit dem Hinweis auf Bürgermeister Karl Lueger fehlen, der entweder der Initiator gewesen sei oder wenigstens den Denkanstoß hiezu gegeben habe. Als im Schönbrunner Zoo eine Zebukuh ein Junges zur Welt bringt, schlägt ein politischer Gegner des charismatischen Bürgermeisters vor: »Da muss dringend eine Tafel mit der Aufschrift hin: ›Geworfen unter dem Bürgermeister Karl Lueger.‹«

      Der aus einer großbürgerlichen jüdischen Familie stammende und ursprünglich bei den Deutschnationalen aktiv gewesene Arzt und Journalist Dr. Victor Adler, der 1888 auf dem Hainfelder Parteitag die österreichische Sozialdemokratie begründet, wird aufgrund seiner politischen Tätigkeit siebzehnmal bei Gericht angeklagt und muss insgesamt neun Monate hinter Gitter. In einem seiner Prozesse kommentiert er das so: »Es sind mir so viele Verbrechen, Vergehen und Übertretungen zur Last gelegt worden, als man überhaupt anständigerweise begehen kann.«

      Berühmt ist der Prozess vor dem sogenannten Holzinger-Senat, in dem sich Adler wegen Aufwiegelung zu verantworten hat. Nachdem ihn der Staatsanwalt mit einem Mann verglichen hat, der mit einer brennenden Fackel in einem Magazin voller Pulverfässer herumgeht, antwortet ihm Adler: »Wenn Sie keine Explosion haben wollen, dann räumen Sie СКАЧАТЬ