Название: 100 Jahre Österreich
Автор: Johannes Kunz
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783903083790
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Dr. Heinz Fischer
Bundespräsident a. D.
Wien, im September 2017
*Dem Verfasser des Vorwortes ist bewusst, dass Kreisky vor Reagan gestorben ist, aber die Pointe verlangt eben diese Reihenfolge.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht
Wie ein Volk seine Geschichte und Gegenwart humorvoll reflektiert, sagt viel über seine Menschen aus. Dieses Geschichtsbuch der etwas anderen Art, das auf 100 Jahre Republik Österreich in Satire, Kabarett, Witz, Anekdote und Karikatur zurückblickt, liefert somit auch ein Psychogramm des Österreichers.
Der deutsche Autor Erich Kästner, der auch Texte für das Kabarett verfasst hat, meinte zur Begabung der Menschen, den alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken mit heiterer Gelassenheit zu begegnen: »Der Humor ist der Regenschirm der Weisen.« Und der Aphorismus »Humor ist, wenn man trotzdem lacht« von Otto Julius Bierbaum, einem anderen Deutschen, den man auch unter den Pseudonymen Martin Möbius und Simplicissimus kennt, meinte das: Man lacht über Dinge, die eigentlich gar nicht lustig sind. Weil man eben mit Humor gerade schwierige Situationen leichter bewältigen kann. Somit ist Humor nicht der schlechteste Begleiter durch das Leben mit all seinen Widrigkeiten. Man kann es auch wie der deutsche Schriftsteller und Kabarettist Joachim Ringelnatz sehen: »Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.« Ein Landsmann und Berufskollege von Ringelnatz, Werner Finck, formulierte es so: »An dem Punkt, wo der Spaß aufhört, beginnt der Humor.«
Zweifellos tun sich humorvolle Menschen im Leben leichter. Aber Humor ist eine Gabe, über die nicht jeder Mensch verfügt. Er ist auch nicht erlernbar. Im Allgemeinen verfügen humorvolle Menschen neben Geist und Witz auch über Geduld und Herzensgüte. Apropos Witz: Den politischen Witz gibt es schon seit dem Altertum. Zumeist ist er politisch nicht korrekt. Gerade in Diktaturen, die das Erzählen politischer Witze unter Strafe stellen, ist er ein Ventil für das Dampfablassen unzufriedener Untertanen. Ironie, Sarkasmus und Satire sind die wichtigsten Stilmittel nicht nur des politischen Witzes, sondern auch des Kabaretts.
Was macht ganz generell den österreichischen Humor aus und wodurch unterscheidet er sich etwa vom bundesdeutschen? »Österreichischer Humor«, so diagnostizierte einer, der es wissen muss, der Komiker Fritz Muliar, »ist so wie die österreichische Nation ein Produkt jahrhundertelanger Duldsamkeit, jakobinischen Kämpfertums und bekämpften Jakobinismus, katholischer Weihrauchschwadendiplomatie und böhmischhussitischer Schweigementalität«. Österreichischer Humor sei tolerierte Intoleranz und weite geistige Enge, Provinz und Großstadt, Duckmäusertum und Größenwahn, italienische Leichtigkeit, slawische Seele, verblödelte Wahrheit und lachende jüdische Trauer, meinte Muliar: »Vor allem aber ist unser Humor Erinnerung, Verklärung und Bekenntnis. Zur weiten und nahen Vergangenheit, zu Schmach und Lumperei, zu Humanität und zu dem Land, dem er entstammt: Dem Vielvölkerstaat der elf Sprachen unter einer Flagge und dem Kleinstaat, der – bei allem Streben nach Modernität – Siegelbewahrer der Vergangenheit ist. In unserer Republik, in der deutsch, kroatisch, ungarisch, slowenisch gesprochen und gedacht wird, ist bei aller nationalistischer Verblödung doch ein gewisser Hang zur Buntheit latent.«
Eine der Quellen unseres österreichischen Humors ist das Judentum, das so viel zur geistigen Bereicherung dieses Landes beigetragen hat. Friedrich Torberg: »Ich glaube in der Tat, dass die Juden eher auf Österreich verzichten können, als Österreich auf die Juden.« Die meisten guten Witze, die man sich erzählt, basieren auf dem jüdischen Humor. Der jüdische Witz ist nicht vordergründig, sondern hat Tiefgang. Er erschöpft sich nicht im Verspotten menschlicher Eigenschaften, sondern hinterfragt die gesamte menschliche Situation. Auch die beliebten No-na-Witze gehören in diese Kategorie. Oder die Witze über die Frau Pollak von Parnegg, die Ehefrau eines geadelten und getauften Wiener Industriellen. Diese populäre Figur hat tatsächlich gelebt. Die ganze Subtilität des jüdischen Witzes kommt freilich in der Nazizeit zur Geltung.
Nicht nur hat jedes Land seine eigene Form von Humor. Darüber hinaus gibt es auch regionale Spielarten des Humors, die weit in unsere Geschichte zurückreichen. Man denke etwa an den »Wiener Schmäh«. Der Kabarettist Peter Wehle leitete das Wort »Schmäh« aus dem Jiddischen (Gehörtes, Erzählung) ab. »Schmäh führen« meint Sprüche klopfen oder Scherze treiben. Der Bänkelsänger, Sackpfeifer und Stegreifdichter Marx Augustin, der 1679, als die Pest in Wien grassierte, die Bevölkerung aufheiterte, galt als Humorkanone seiner Zeit und wurde durch die Ballade »O du lieber Augustin« unsterblich. Der legendäre Wurstel wiederum war eine Schöpfung des aus Graz stammenden Anton Stranitzky. Um 1710 trat Stranitzky zum ersten Mal als »Hans Wurst« im Salzburger Bauernkostüm mit spitzem grünem Hut vor das Wiener Publikum.
Hier in Wien gab es allerdings nicht fröhlich-naive Typen wie die Kölner Tünnes und Schäl oder Antek und Frantek in Oberschlesien. Der Wiener Humor war stets etwas schwieriger. Melancholie und Depression gehören hier einfach dazu. Das sieht man auch in den Texten vieler Wienerlieder, in denen der Tod besungen wird. Dieser Schmelztiegel Wien war auch eine schwierige Stadt mit schwierigen Bewohnern. Kein Geringerer als Sigmund Freud brachte die Seelenkunde mit dem Witz in Verbindung. Das war im Jahr 1905 in seinem Buch »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten«. Freuds Thesen liefen darauf hinaus: Humor ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Freud mag mit seiner Bemerkung recht haben, dass der Witz imstande sei, dem Menschen selbst über körperliche Schmerzen hinwegzuhelfen.
Auf den Wechsel von der k. u. k. Monarchie zur Republik geht die Erfindung des Grafen Bobby, einer fiktiven Wiener Witzfigur, zurück. Für Gottfried Heindl war auch Bobby »ein Schwieriger deshalb, weil er – so überraschend es zunächst klingen mag – eine ganz und gar zwiespältige Grenzfigur zwischen Blödheit und Weisheit, Humor und Psychologie, seichter Vordergründigkeit und tiefer Hintergründigkeit ist.« Diese Witze beziehen ihre Pointe meist aus der Infantilität und Naivität Bobbys. Mit von der Partie sind häufig die ebenfalls nicht real existierenden Graf Rudi, Baron Mucki, Graf Poldi und Baron Scheidl, die Bobby an Dümmlichkeit um nichts nachstehen.
Die ambivalente Beziehung des Österreichers zu seinem Land und vor allem des Wieners zu seiner Heimatstadt schwankt zwischen Hass und Liebe. Karl Kraus brachte es auf den Punkt: »Ich, der Heimat treuer Hasser, will aus dieser Gegend weg – blau war nie das Donauwasser, doch die Spree hat noch mehr Dreck!« Und Sigmund Freud ließ sich zu dieser Bemerkung hinreißen: »Österreich, das ist ein Land, über das man sich zu Tode ärgert und in dem man trotzdem sterben möchte.« Oder Helmut Qualtinger, der scharfzüngige Ur-Wiener: »Das Problem für jeden Wiener: man kann es in Wien nicht mehr aushalten, aber woanders auch nicht.« Und noch schärfer: »In Wien musst erst sterben, damit sie Dich leben lassen, aber dann lebst lang.« »Wie schön wäre Wien ohne die Wiener«, formulierte Georg Kreisler und Fritz Kortner sprach: »Anderswo machen die Leute aus ihrem Herzen eine Mördergrube, in Wien machen sie aus ihrer Mördergrube ein Herz.« Auch Alfred Polgar äußerte sich zu diesem Thema: »Wien bleibt Wien – und das ist wohl das schlimmste, das man über diese Stadt sagen kann.«
Aus dieser Mentalität erwuchsen Satire, Kabarett, Witz, Anekdote und Karikatur als zeitgeschichtliche Dokumente. Das gilt sowohl für die Demokratie, in der die freie Meinungsäußerung nicht mit einem Begräbnis endet, wie auch für die Diktatur, in der man tun und lassen kann, was die Regierung vorschreibt und in der man zu allem, was nicht verboten ist, gezwungen wird. Österreich hat in den 100 Jahren seit 1918 beides erlebt. In Österreich, das sich von Deutschland hauptsächlich durch die gleiche Sprache unterscheidet, entwickelte sich eine eigene Nestroy’sche Art, autoritären Standesstaat, Nazidiktatur und Demokratie zu glossieren.
Jede Phase in den zurückliegenden hundert Jahren hat ihre СКАЧАТЬ