100 Jahre Österreich. Johannes Kunz
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Название: 100 Jahre Österreich

Автор: Johannes Kunz

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783903083790

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      Der Feldwebel: »Immer diese verfluchten jüdischen Feiertage!«

      Im Trommelfeuer russischer Soldaten steht ein Wiener Leutnant im Schützengraben. Er träumt von seiner fernen Braut und seufzt: »Ach Zitta!«

      Soldat Mandelbaum hat zugehört und gesteht: »Ach Zitta auch!«

      Als der alte Kaiser 1916 stirbt, folgt ihm sein Großneffe Karl I. nach. Sofort nach der Thronbesteigung lässt er den Kriegsminister kommen, um ihm zu befehlen: »Exzellenz, teilen Sie Ihren Generälen mit, dass die Schlampereien ab sofort aufzuhören haben. Von jetzt an wird gesiegt!«

      Der junge Monarch ist voll des guten Willens, aber seine impulsive Art trägt ihm bald den Spitznamen »Karl der Plötzliche« ein. In Wien charakterisiert man den politischen Stil des neuen Monarchen mit dem Scherz, Karl habe einmal zum Telefon gegriffen und gesagt: »Hallo? Ich ernenne Sie zum Finanzminister! Wer dort?«

      Im Kriegspressequartier sitzt der Dichter Franz Werfel. Er hat den Auftrag, Worte und Aussprüche zu finden, die Kaiser Karl bei offiziellen Anlässen von sich gegeben haben könnte. Im Kaffeehaus geben sich Freunde redlich Mühe, ihm Anregungen zu liefern. Manche davon greift er auf, eine allerdings nie. Sie stammt von Anton Kuh und lautet: »In meinem Reich geht die Sonne nie auf.«

      Feldwebel bei Exerzierübungen: »Warum soll der Soldat nicht mit brennender Zigarette über den Kasernenhof gehen?«

      Rekrut Blau: »Recht ham Se, Herr Feldwebel. Warum soll er nicht?«

      Mitten in einer Schlacht befiehlt der Oberst seinen Soldaten: »Los, jetzt geht es Mann gegen Mann!«

      Infanterist Seidenblatt: »Zeigen Se ma bittschön meinen Mann! Vielleicht kann ich mich mit ihm gütlich einigen.«

      Während einer Zugfahrt stellt man sich einander vor.

      »Von Bredow, Leutnant der Reserve.«

      »Morgenthau, dauernd untauglich.«

      In einem anderen Bahncoupé spürt ein Offizier plötzlich einen Floh auf seinem Hals. Er vermutet, dass dieser wohl von dem vis-à-vis sitzenden Juden zu ihm herübergesprungen ist. Der Offizier schubst den Floh mit der Bemerkung »Deserteur!« zum Juden hin. Dieser knipst den Floh wieder hinüber mit den Worten: »Zurück zur Armee!«

      Kaiserin Zita besucht ein Verwundetenlazarett und tritt an das erste Bett heran: »Wie ist Ihr Name? Wo wurden Sie verwundet? Welcher Konfession gehören Sie an?«

      Auf die Antwort »katholisch« legt die Kaiserin fünf Zigaretten auf den Nachttisch.

      Sie kommt zum zweiten Bett. Der Patient ist evangelisch. Die Kaiserin legt vier Zigaretten hin.

      Da winkt eine schwer bandagierte Gestalt aus dem nächsten Bett und ruft der Monarchin zu: »Mir kimmen drei!«

      Zwei jüdische Soldaten unterhalten sich in der Ukraine über Militärflugzeuge. Meint der eine nachdenklich: »Sag’, wie kann man vom Boden überhaupt sehen, ob es russische oder deutsche Flugzeuge sind?«

      »Das ist ganz einfach«, sagt der Zweite, »wenn ein Flugzeug wirklich fliegt, dann gehört es den Deutschen.«

      Wieder einmal verbringt der führende Bolschewik Leo Trotzki einen Teil seiner Emigration in Wien. Im Oktober 1917 wird einem Hofrat im k. u. k. Außenministerium von einem Referenten aufgeregt berichtet: »Herr Hofrat, in Russland ist Revolution!«

      »Aber ich bitt’ Sie! Wer soll die denn gemacht haben? Vielleicht der Herr Trotzki, der Schachspieler vom Café Central?«

      Der aus Wien stammende Soziologe Paul F. Lazarsfeld zu diesem Thema: »Erfolgreiche Revolutionen wie in Russland brauchen Ingenieure, gescheiterte Revolutionen wie in Österreich brauchen hingegen Psychologen.«

      Wissen Sie übrigens, woran man in Wien eine Revolution erkennt? – Wenn die Ringwagen über die Zweierlinie fahren.

      Die Republik ohne Republikaner

       Der verlorene Erste Weltkrieg, der für Franz Kafka »aus einem entsetzlichen Mangel an Phantasie entstanden« ist, bedeutete nach mehr als 600 Jahren das Ende des Habsburgerreiches. Alexander Lernet-Holenia kam zu dieser Erkenntnis: »Nie noch ist eine Monarchie an ihren Monarchen, immer noch ist sie an ihren Monarchisten zugrunde gegangen.« Am 11. November 1918 verzichtete Kaiser Karl I., der Großneffe Franz Josephs, »auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften« und verabschiedete sich mit seiner Familie via Schloss Eckartsau und der Schweiz in Richtung Madeira. Am selben Tag starb übrigens Dr. Victor Adler. Tags darauf wurde die Republik ausgerufen. Dieser Rumpfstaat zählte nur noch sechs Millionen Bürger. Karl Kraus befand: »Es ist an sich eine unerträgliche Vorstellung, als Einwohner eines Kleinstaates mit einem derartigen Übermaß an Vergangenheit konfrontiert zu werden.« Er blickte im Groll zurück, indem er die Kaiserhymne umdichtete: »Gott erhalte, Gott beschütze vor dem Kaiser unser Land …« Die »gute alte Zeit« war jedenfalls endgültig vorbei, von der Karl Farkas sagte, sie verdanke ihr Renommee ohnedies nur dem Umstand, dass ältere Leute schon ein schlechtes Gedächtnis haben.

       Der sozialdemokratische Staatskanzler Dr. Karl Renner sah Österreich als »eine Republik ohne Republikaner« und sagte später einmal: »Ich weiß nicht, ob wir uns getraut hätten, die Republik auszurufen, wenn der alte Kaiser Franz Joseph noch gelebt hätte.« Bei den Friedensverhandlungen in St. Germain 1919 fielen seitens des französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau die berühmten Worte »der Rest ist Österreich« bezüglich der Aberkennung des Großteils der Gebiete der versunkenen k. u. k. Monarchie. Viele Bürger dieser »Republik Deutschösterreich« hielten den Rumpfstaat nicht für lebensfähig und suchten »Anschluss« beim großen Nachbarn. Es mangelte den Österreichern an Selbstvertrauen, dafür hatten sie – nicht zuletzt wegen der großen wirtschaftlichen Probleme – viel Selbstmitleid.

       Für Friedrich Torberg war der Untergang des alten Österreich »eine der katastrophalen Humorlosigkeiten der Weltgeschichte«. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb boomte der Humor in den ersten Jahren der jungen Republik. So ist es immer, wenn es den Menschen schlecht geht. In Wien gab es zeitweise bis zu 25 Kellertheater, in denen politisches Kabarett geboten wurde. In den 1920er- und 1930er-Jahren setzten Fritz Grünbaum und Karl Farkas im »Siplicissimus«, von den Wienern liebevoll »Simpl« genannt, Meilensteine der Kleinkunst. Beide entwickelten damals die legendäre Doppelconférence. Dazu Farkas zu seinem Partner Grünbaum: »Man nehme einen äußerst intelligenten, gutaussehenden Mann, das bin ich, und einen zweiten, also den Blöden. Das bist, nach allen Regeln der menschlichen Physiognomie, natürlich Du!«

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      Zwei gesellschaftliche Gruppen kommen mit der neuen Republik besonders schlecht zurecht: der Adel und die Offiziere der alten k. u. k. Armee. Treffen einander zwei pensionierte Generäle im Café Sacher in Wien. Der eine Stammtischstratege: »Zurück hätten wir gehen müssen, von Anfang an zurück!«

      Darauf der andere: »Dann wären die Russen doch über die Karpaten gegangen!«

      Der Erste: »Das macht nichts. Zurück hätten wir gehen müssen.«

      »Aber dann wären sie womöglich über die Leitha nach Österreich gekommen.«

      »Macht nichts. Zurück hätten wir gehen müssen.«

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