Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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»Ja« erwiderte Mr. Marvel.
»Warum haben Sie mich denn immer weiter reden lassen – all das unsinnige Zeug, was? Wie können Sie sich unterstehen, einen Menschen so zum Narren zu halten?«
Mr. Marvel blies die Luft durch die Zähne. Der Matrose wurde plötzlich sehr rot und ballte die Fäuste.
»Seit zehn Minuten spreche ich da«, sagte er, »und du kleiner dickbauchiger Hanswurst hast nicht einmal soviel Lebensart – –«
»Hüten Sie sich, mit mir anzufangen«, sagte Mr. Marvel.
»Mit dir anfangen! Ich hätte nicht übel Lust –«
»Vorwärts!«, sagte eine Stimme, und Mr. Marvel wurde plötzlich herumgedreht und in einer sehr komischen Weise zum Gehen gebracht. »Ja, schauen Sie nur, dass Sie weiterkommen«, sagte der Matrose. »Wen meinen Sie?«, antwortete Mr. Marvel. Er bewegte sich aber schon mit seltsamen, hastigen Schritten ruckweise vorwärts. Nicht lange darauf hörte man ihn mit sich selbst sprechen. Einwendungen machen und heftige Beschuldigungen hervorbringen.
»Dummer Kerl!«, sagte der Matrose, der, die Beine auseinandergespreizt und die Hände in die Taschen versenkt, der enteilenden Gestalt nachblickte. »Ich will dich lehren, mich zum Narren halten, du dummer Kerl, du! Hier steht es in der Zeitung!«
Mr. Marvel sprach unzusammenhängendes Zeug vor sich hin und verschwand bei einer Biegung. Der Matrose stand aber noch immer breitspurig in der Mitte der Straße, bis ein Fleischerwagen ihn von dort vertrieb. Dann wendete er sich Port Stowe zu. »Wirklich merkwürdige Narren«, sagte er zu sich selbst. »Nur um mich zu ärgern – das war seine dumme Absicht … Es steht aber doch in der Zeitung!«
Und noch etwas anderes sehr Merkwürdiges war, wie er bald darauf hörte, ganz in seiner Nähe vorgefallen. Und das war eine Vision von »einer Handvoll Gold« (nicht mehr und nicht weniger), die ohne sichtbaren Halt an der Mauer der St. Michaels Straße entlang gewandert war. Ein anderer Seemann hatte am selben Morgen dieses Wunder gesehen. Er hatte nach dem Golde gehascht, war aber zu Boden geschlagen worden. Als er seiner Sinne wieder mächtig war, war das Truggold verschwunden. Unser Matrose erklärte, er sei in der Laune, alles zu glauben, aber das sei ein wenig zu stark. Später allerdings änderte er seine Meinung.
Die Geschichte vom fliegenden Geld war richtig. Und überall in der ganzen Gegend hatten an jenem Tage Geldrollen oder einzelne Goldstücke aus den Geldladen der Geschäfte und Wirtshäuser – bei dem schönen Wetter standen die Türen überall offen – ja selbst aus der Filiale der mächtigen Bank von England sich in aller Stille und mit großer Geschicklichkeit von selbst davongemacht, waren ruhig längs der Mauern an schattigen Orten davongeschwebt und hatten sich so den suchenden Blicken entzogen. Und immer und unfehlbar fand ihr geheimnisvoller Flug in den Taschen jenes nervösen Herrn mit dem unmodernen Zylinder, der vor dem Wirtshause in einer Vorstadt von Port Stowe saß, sein Ende, obwohl kein menschliches Auge es gewahr wurde.
Erst zehn Tage später, als die Ereignisse von Burdock schon allbekannt waren, brachte der Matrose alle diese Vorkommnisse in Verbindung und es dämmerte ihm, wie nahe er dem geheimnisvollen Unsichtbaren gewesen war.
15. Kapitel – Der Flüchtling
Spät am Nachmittag saß Dr. Kemp in seinem Studierzimmer in der Villa auf dem Hügel, von dem aus man Burdock überblickt. Das Studierzimmer war ein hübscher, kleiner, aussichtsturmartiger Raum mit drei Fenstern nach Norden, Westen und Süden. An den Wänden standen Regale mit Büchern und wissenschaftlichen Zeitschriften, in der Mitte ein großer Schreibtisch. Unter dem einen der Fenster befand sich ein Tischchen mit einem Mikroskop, Messinstrumenten, Reinkulturen und allerlei Flaschen. Obgleich die Sonne noch am Himmel stand, war die Lampe im Zimmer schon angezündet; die Fensterläden waren nicht geschlossen, da Dr. Kemp nicht Gefahr lief, von Neugierigen belästigt zu werden. Er war ein hochgewachsener, schlanker, junger Mann mit flachsblondem Haar und fast weißem Schnurrbart. Von dem Werk, an dem er arbeitete, hatte er eine hohe Meinung; es musste ihn nach seiner Meinung zum Mitglied der königlichen Akademie der Wissenschaften machen.
Bald schweifte sein Auge von seiner Arbeit ab und heftete sich auf den glühenden Sonnenball, der hinter dem gegenüberliegenden Hügel verschwand. Wohl eine Minute blieb er mit der Feder im Munde regungslos sitzen und bewunderte die reichen Goldtöne auf dem Gipfel des Berges; dann fesselte die kleine, schwarze Gestalt eines Mannes, der den Hügel herab direkt auf die Villa zurannte, seine Aufmerksamkeit. Es war ein untersetzter, kleiner Mann mit einem Zylinder; und er lief so schnell, dass man seine Füße kaum mehr sehen konnte.
»Wieder ein solcher Esel«, sagte Dr. Kemp. »Gerade so ein Esel wie der Mann, der heute früh an der Ecke in mich hineinrannte und schrie: ›Der Unsichtbare kommt!‹ Die Leute sind wie besessen. Man glaubt förmlich ins dreizehnte Jahrhundert zurückversetzt zu sein.«
Er stand auf, ging ans Fenster und blickte auf den Abhang hinunter, auf den sich langsam die Dämmerung senkte, und auf die dunkle, kleine Gestalt, die in gewaltigen Sätzen den Hügel herunterkam. »Er scheint es verflucht eilig zu haben«, sagte Dr. Kemp, »und doch scheint er nicht vorwärts zu kommen. Wenn er die Taschen voll Blei hätte, könnte er sich nicht schwerfälliger bewegen.«
Im nächsten Augenblick wurde die dahinstürmende Gestalt durch einige höhergelegene Villen seinen Blicken entzogen. Eine kleine Strecke weiter unten tauchte sie wieder auf, dann verschwand sie immer wieder bei jedem der drei einzeln stehenden Häuser, die auf dem Wege lagen, um ihm endlich knapp unter dem Hügel gänzlich aus den Augen zu kommen.
»Esel!«, sagte Dr. Kemp nochmals, dann drehte er sich auf dem Absatz um und ließ sich wieder an seinem Schreibtisch nieder.
Aber diejenigen, welche auf der offenen Landstraße gingen und den Ausdruck des Entsetzens auf dem in Schweiß gebadeten Gesicht des Flüchtlings sahen, teilten die verächtliche Ansicht des Doktors durchaus nicht. Vorüber keuchte der Mann, und wie er lief, tönte etwas an ihm, wie der Klang einer wohlgefüllten Börse, die hin und her geworfen wird. Er blickte weder rechts noch links; seine weit geöffneten Augen starrten СКАЧАТЬ