Название: Schwarzer Peter
Автор: Tim Herden
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783963110306
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Nachdem sich Damp noch einmal umgeschaut hatte, meinte er: „Vielleicht reden Sie mal mit den beiden. Sie kennen sich doch bestimmt besser mit solchen Dingen aus.“
Rieders Begeisterung hielt sich in Grenzen. Wahrscheinlich war es nicht mehr als der übliche Knatsch zwischen den Erben. „Na gut. Gehen wir mal rein.“
Sie betraten die Eingangshalle. Rieder blieb mit offenem Mund stehen. Er konnte nicht fassen, was er erblickte. Alle vier Wände waren eng behängt mit Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen. Alle Bilder hatten aber nur ein Thema: Hiddensee. Ein Gemälde zog ihn sofort in den Bann. Zwei junge Mädchen mit leicht geröteten Gesichtern und farbigen Kopftüchern standen am Strand. Sie schauten in die Ferne. Rieder kannte das Bild, aber nur als Postkarte. Er wusste auch, dass es von Elisabeth Büchsel stammte, der berühmtesten Inselmalerin. Um das Bild herum waren noch weitere Kinderporträts gruppiert. Ein kleines Mädchen lehnte an einer Hauswand und schien ganz verschüchtert zur Malerin zu schauen. Auf einem anderen Bild sah man einen kleinen Jungen mit Schiebermütze. Er hatte sich auf einer Wiese im Hochland ausgestreckt. Im Hintergrund weideten Schafe. Andere Bilder zeigten Hiddenseer Fischer bei der Arbeit und ihre Frauen wartend am Ufer. An der Wand daneben erkannte Rieder den Inselblick wieder, den kleinen Platz, oberhalb von Kloster auf halbem Wege zum Leuchtturm mit der wunderbaren Aussicht über ganz Hiddensee. Rieder liebte diese Stelle und setzte sich immer ein paar Minuten auf eine der Bänke, wenn er dort vorbeikam. Hier gab es nun Dutzende Gemälde genau mit diesem Motiv, und die Signaturen zeigten, dass sie alle von Elisabeth Büchsel gemalt worden waren. Dagegen mussten die Bilder an der Wand gegenüber von anderen Künstlern sein. Sie waren in ganz unterschiedlichen Malstilen angefertigt. Manches wirkte moderner. Anderes verträumter. Aber auch hier gab es nur ein einziges Thema: Die Insel Hiddensee und ihre Menschen.
Rieder drehte sich im Kreis. „Was ist das hier? Das Inselmuseum?“, fragte er Damp.
Sein Kollege schien nicht so beeindruckt. „Sind halt Bilder.“
„Aber das ist ja einmalig“, staunte Rieder weiter. Er trat an das eine oder andere Bild näher heran.
„Können wir jetzt endlich?“, meldete sich ungeduldig Damp. Rieder folgte ihm auf der Treppe nach oben. Dort führte eine Doppeltür in einen Salon. Auch hier waren die Wände mit Bildern dekoriert. Es handelte sich um Porträts wahrscheinlich wichtiger Persönlichkeiten der Vergangenheit. Sie schauten bedeutungsschwanger in den Raum. Dem Eingang gegenüber war eine große Glastür, und Rieder war fasziniert von dem weiten Blick über Insel, Bodden und Ostsee.
Als er sich davon losriss, nahm er die beiden Personen wahr. Eine junge Frau und ein grauhaariger Mann saßen sich auf zwei großen Sofas gegenüber. Er, schätzungsweise Mitte fünfzig, trug einen dunkelgrauen Doppelreiher. Der Anzug war sicher nicht von der Stange, aber auch nicht mehr der neueste Schick. Dazu Budapester Schuhe. Der strenge Ausdruck seines kantigen Gesichts wurde durch eine schwarz gerahmte Brille verstärkt. Die Frau war höchstens Mitte Dreißig. Das kurze schwarze Kleid passte eher in eine Bar als auf eine Beerdigung. Ihre schlanken Beine waren bestimmt nicht von der Frühlingssonne gebräunt. Die Füße steckten in hochhackigen schwarzen Pumps. Beide schauten gelangweilt aneinander vorbei. Der Mann musste wahrscheinlich Gildes Sohn sein und die Frau dessen Gattin, wie man es noch in solchen Kreisen nannte, dachte sich Rieder. Er verbeugte sich ein wenig vor der Frau, streckte ihr dann die Hand entgegen und sagte leise, „Herzliches Beileid zum Tod Ihres Schwiegervaters.“
Die Augen der Frau blitzten. Damp stieß ihn in die Seite und zischte ihm ins Ohr: „Das ist die Witwe!“ Rieder stutzte. Seine Hand schwebte immer noch in der Luft. Er zog sie zurück.
„Oh, Entschuldigung“, stammelte er, „ich wusste nicht …“ Hatte ihm Damp nicht erzählt, Gilde sei schon weit über neunzig gewesen?
„Schon gut“, antwortete die Frau angespannt. „Ich bin Martina Gilde, die Ehefrau von Werner Gilde. Und wer sind Sie?“
„Hauptkommissar Rieder.“ Er verzichtete darauf, seinen Dienstausweis zu zeigen. „Mein Kollege Damp hat mich hergebeten.“
Dann wandte er sich an den Mann gegenüber. „Dann sind Sie …“
„Ganz recht, Richard Schlick, der Sohn des Toten“, antwortete der Mann streng. Rieder stutzte wieder. Warum trug er nicht den Nachnamen des Vaters? Der alte Stiefsohn und die junge Stiefmutter. Damp hätte ihn ruhig auf diese Familienverhältnisse vorbereiten können. Offenbar hatte Schlick seine Verwunderung bemerkt. Er zog eine Visitenkarte aus seiner Brusttasche und reichte sie Rieder. „Ich bin der Adoptivsohn von Werner Gilde.“ Nach einer Kunstpause setzte er hinzu, „Und der Geschäftsführer der Gildemeister Nahrungsmittel GmbH.“
„Aber nicht mehr lange“, blaffte die junge Witwe.
Schlick gab keine Antwort, sondern schüttelte entnervt den Kopf.
„Mein Kollege hat mich hergebeten, um einen Sachverhalt zu klären …“
Weiter kam Rieder nicht. „Einen Sachverhalt!“, rief die Frau aus. „Einen Sachverhalt! Hör sich das einer an. Dieser Mann“, schrie sie hysterisch und richtete den ausgestreckten Zeigefinger auf ihr Gegenüber, „dieser Mann hat Werner getötet! Ermordet!“
„Schwachsinn“, erwiderte Schlick wütend. „Du hast ihn ins Grab gebracht. Mit deiner Gier!“
„Ich habe ihn gepflegt …“
„Gepflegt? Dass ich nicht lache.“ Er beugte sich vor und saß wie zum Sprung auf der Sofakante. „Gepflegt hast du vielleicht deine Fingernägel. Nichts hast du für ihn getan. Du hast ihm die notwendige medizinische Pflege verweigert, hast ihn verhungern und verdursten lassen. Dafür habe ich Beweise!“
Sie beugte sich ebenfalls vor und giftete zurück: „Die möchte ich sehen.“
„Das wirst du auch.“
„Moment!“, fuhr Rieder mit lauter Stimme dazwischen. Die beiden verstummten und starrten ihn an. „Könnten wir uns vielleicht alle ein wenig zurücknehmen.“ Sohn und Witwe lehnten sich zurück, verschränkten die Arme vor der Brust und starrten sich hasserfüllt an. Rieder sah sich um, holte sich einen Stuhl und setzte sich wie ein Schiedsrichter zwischen die beiden. Damp stellte sich hinter ihn. Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Rieder holte aus der Brusttasche seiner Jacke einen Block und einen Stift. Er klickte die Miene des Kugelschreibers raus.
„Wenn ich meinen Kollegen Damp richtig verstanden habe, haben Sie beide“, Rieder schaute erst die Frau, dann den Mann an, „also, Sie haben beide Zweifel am natürlichen Tod von Werner Gilde. Ist das richtig?“
Martina Gilde und Richard Schlick nickten jeweils kurz.
„Gut.“ Rieder notierte sich etwas. Dann wandte er sich an die Witwe. „Wann ist denn Ihr Mann, Herr Gilde, gestorben?“
„Vor fünf Tagen. Und er ist schuld.“ Sie deutete mit einer heftigen Kopfbewegung auf Richard Schlick. „Er war am Samstagnachmittag bei ihm, und als ich wenig später bei Werner vorbeischaute, atmete er nicht mehr. Er war tot. Er hat ihn umgebracht!“ Sie zog ein Taschentuch aus der Ritze der Polster des Sofas und schnäuzte sich damit laut. Dann schien sie ein paar Tränen in ihren Augen zu trocknen und verwischte ihre Lidschatten.
„Wann genau haben Sie den Toten aufgefunden?“
„Wie gesagt, Samstag. So gegen sieben Uhr. Abends.“
„Wo waren Sie davor?“
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