Führerin. Gregor Eisenhauer
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Название: Führerin

Автор: Gregor Eisenhauer

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783954622962

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СКАЧАТЬ Bösen. Genau das wollte er mit seiner Bemerkung über ihre Frisur unter Beweis stellen.

      Ihre Chemotherapie lag sieben Monate zurück, und obwohl ihre Haare langsam wieder wuchsen, sie würde sie niemals wieder lang und lockig wachsen lassen! Denn das Bild, das hatte sie sich geschworen, wollte sie nie wieder vor Augen haben: Wie all ihre Haare auf dem Boden gelegen hatten, an dem Tag, als sie die Perücke kaufen ging, zwei Wochen nachdem sie die Diagnose erhalten hatte. Sie wollte damals den Tag nicht abwarten, bis sie sich die Haare büschelweise vom Kopf reißen konnte.

      «Sie können mich mal … an ihren Figaro verweisen! Aber mein Problem ist im Augenblick ehrlich gesagt ein ganz anderes: Warum bin ausgerechnet ich hier und keiner unserer Geschichtsnerds fürs Angegilbte?»

      «Das werden Sie gleich erfahren, aber lassen wir ihn erst mal wieder zu Wort kommen.»

      Beide hatten mit halben Ohr auf Klimts Vortrag gehört. Sie waren professionell genug, um den rhetorischen Ballast von den Kernaussagen trennen zu können. An seinem Tonfall merkten sie, dass er langsam zur Sache kam.

      «Warum ich nach Berlin gekommen bin, in die ehemalige Reichshauptstadt, Hitlers ‹Germania›, in die Höhle des Löwen sozusagen, ich, ein sterbenskranker alter Jude, meine Damen und Herren, weil ich mich Ihnen zum Fraß vorwerfen will! Denn hier in Berlin hat der Teufel seinen Hauptwohnsitz. Was denken Sie denn, warum ich sonst hier bin?!» Klimt lachte höhnisch und fuchtelte wild mit seinem Gehstock ins Publikum. Übergangslos verfiel er wieder in einen dozierenden Tonfall. «Wenn wir das Böse verstehen wollen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit seinen hervorragendsten Vertretern schenken, und das ist keiner dieser Serienkiller in Nadelstreifen, an denen sich unsere Krimidamen, sei es lesend oder schreibend, so zartfühlend delektieren. Das Böse ist im letzten Jahrhundert in vielfacher menschlicher Gestalt auf die Bühne der Weltgeschichte getreten: Stalin, Hitler, Mao, Pol Pot – die unheilige Quadriga des Schreckens. Nun, Mao ist tot, und er hat keinen Nachfolger gefunden. Stalin ist tot, und niemand ist gewillt, sein Erbe anzutreten, Pol Pot desgleichen. Der Kommunismus hat sich selbst erledigt. Der Rassismus nicht, der Antisemitismus schon gar nicht. Gut, das wissen Sie natürlich. Was wissen Sie nicht? In welcher Gestalt der Teufel tatsächlich überlebt hat! Obama ist es nicht, das war nur ein Scherz auf Ihre Kosten. Sie sind doch politisch korrekt, oder?» Er lachte kurz auf. «Der Papst ist es nicht, und ich bin es auch nicht, obwohl ich mich noch recht fit fühle!»

      Klimt legte eine Pause ein und stützte sich affektiert auf seinen Gehstock. Das Publikum wurde unruhig. Keiner im Saal hatte die geringste Ahnung, worauf er eigentlich hinauswollte, und nicht wenige bereuten inzwischen, überhaupt erschienen zu sein. Das war zu spüren, aber Klimt fuhr in bewusst ruhigem Ton fort.

      «Hitler ist tot, aber Hitler war nur der ranghöchste, schauspielerisch begabteste Repräsentant des Nationalsozialismus. Nicht sein Ideologe. Hitler wollte Deutschland untergehen sehen, weil er sich selbst untergehen sah, aber das sagt nur etwas über seine Eitelkeit aus und nichts, gar nichts über das Wollen der nationalsozialistischen Elite, die sich ja – bis auf die wenigen Nürnberger Sündenböcke – unbeschadet ins neue Deutschland hinüberretten konnte. Oder nach Argentinien weiterzog, nach Chile, nach Paraguay, in den Nahen Osten.»

      Er schnaufte kurzatmig, als wäre er selbst auf der Flucht.

      «Wissen Sie, zuweilen kommt mir ein Bild in den Kopf. Adolf Eichmann, Sie kennen ihn, den Verantwortlichen für die Judentransporte in die Gasöfen, Eichmann, der eine neue Heimat in Argentinien gefunden hatte, wurde, lange vor seinem Prozess, von einem Interviewer gefragt, ob er etwas bedauere. ‹Ja, natürlich bedauere ich etwas›, antwortete Eichmann. ‹Ich bedauere, dass wir nur sechs und nicht zehn Millionen Juden vergast haben.›»

      Klimt legte erneut eine kurze Pause ein, ohne den Blick vom Pult zu heben. Ein Raunen ging durchs Publikum, als er mit einem kleinen Kichern in der Rede fortfuhr.

      «Wissen Sie, was an diesem Bedauern auffällig ist? Nicht das Ungeheuerliche der Tatsache, dass er weitermorden wollte. Das versteht sich, Eichmann war ein böser, böser Mensch, da werden Sie mir alle zustimmen. Auffällig, im moralischen Sinn, ist vielmehr dieses Bedauern Adolf Eichmanns. Dieses Bedauern war aufrichtig! Wie kann ein böser Mensch aufrichtig sein?!»

      Klimt stützte beide Hände breit aufs Pult und fixierte sein Publikum mit einem abschätzigen Blick, als traute er den hier Versammelten gar nicht zu, seine Worte in ihrer wirklichen Bedeutung zu verstehen.

      «Meine Damen und Herren, es gibt nichts Lebendigeres als unversöhnlichen Hass! Nichts Wahreres! Nichts Ehrlicheres! Glauben Sie mir, ich weiß das aus eigener Erfahrung. Was daraus folgt? Ganz einfach: Dieser Hass erledigt sich nicht einfach mit der Hinrichtung Eichmanns. Diese Bande von Verbrechern, die sich Nationalsozialisten nannten, hat Europa in den Abgrund gestürzt, Russland an den Rand der Niederlage gebracht, die Alliierten zur Aufbietung all ihrer Kräfte gezwungen und nebenbei sechs Millionen Menschen vernichtet, weil sie Juden waren. In nur zwölf Jahren! Was für eine logistische Meisterleistung! Das meine ich gänzlich ohne Ironie. In der Technologiegeschichte des Bösen nehmen die Deutschen den Spitzenrang ein, mit weitem Abstand. Maos Kulturrevolution, Stalins Liquidation der Kulaken, die Massaker der Roten Khmer, der Völkermord in Ruanda … all das erscheint dagegen wie das Werk von Amateuren. Und die Historiker wollen uns glauben machen, dass diese Elite des Bösen keinen Gedanken an eine Fortexistenz verschwendet hat?! Ich bitte Sie, das ist lächerlich!»

      Klimt schnaufte empört, als wäre er persönlich beleidigt worden. «Ungeheuerlicher noch als diese Verbrechen ist die Dummheit all derer, die glauben, mit der Kapitulation des Deutschen Reiches sei der Nationalsozialismus erledigt gewesen! Die Fluchtwege waren längst ausgekundschaftet, riesige Summen Geldes außer Landes geschafft, Scheinfirmen gegründet, und wozu das alles? Weil diese Funktionäre des Schreckens in sonnigeren Ländern beschaulich als Privatiers und Rentner ihr Leben zu fristen gedachten? Was für ein Unsinn, meine Damen und Herren, was für ein lächerlicher, was für ein gefährlicher Unsinn!»

      Klimt schüttelte müde den Kopf. Er zog ein Taschentuch aus seiner zerbeulten Jacketttasche und wischte sich wiederholt die schweißnasse Stirn, dann steckte er es achtlos wieder weg und holte tief Luft.

      «Lächerlich.»

      Das Publikum verharrte in angespannter Stille. Klimt wusste, dass er nun die Zuhörer in seinen Bann gezogen hatte – und er genoss es, indem er sich Zeit ließ mit dem Fortgang seiner Rede.

      «Meine zentrale Überlegung ist: Die Historiker haben bislang zwar zur Kenntnis genommen, dass die Nazielite früh die Niederlage ahnte, früh Asylmöglichkeiten suchte und fand – aber, so mein Einwand, doch nicht nur, um ihr Leben zu retten! Unsinn. Sie wollten den Fortbestand der nationalsozialistischen Ideologie sichern! Ihr vordringliches Ziel war nach wie vor … die Macht! Beweise? Beweise werde ich zuhauf bringen! Zuhauf, meine Damen und Herren, zuhauf! Aber lassen Sie mich zunächst einen Witz erzählen, damit Ihnen das alles nicht so verbissen erscheint, was ich Ihnen vortrage, einen jüdischen Witz selbstredend: Ein frommer Mann kommt verzweifelt zum Rabbi. ‹Rabbi, ich habe nur einen Sohn und der ist jetzt Christ geworden, was soll ich tun?› Der Rabbi bittet sich Bedenkzeit aus, er muss mit Gott darüber reden. Eine Woche später kommt der fromme Mann wieder: ‹Rabbi, was haben Sie erfahren?› Der Rabbi sagt: ‹Schau, mein Lieber, Gott hat gesagt, er hatte auch nur einen Sohn, und der ist auch Christ geworden!› – ‹Und was hat Gott gemacht?›, will der Mann wissen. ‹Ein neues Testament.›»

      Klimt lachte scheppernd.

      «Ein neues Testament! Das ‹Neue Testament›! Was für eine geniale Pointe. Vor allem – wie leicht zu übertragen. Hitler, meine Damen und Herren, hat kein politisches Testament hinterlassen. Er begnügte sich mit der Ordnung seiner privaten Hinterlassenschaft und dem Nerobefehl: ‹Möge Deutschland mit mir untergehen!› Wie gesagt, er war ein eitler Mann, der sich in seinem СКАЧАТЬ