Название: Führerin
Автор: Gregor Eisenhauer
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783954622962
isbn:
Kehrtmann schlug die Beine übereinander und blickte gelangweilt auf die noch immer aufgeregt debattierende Schar der ihm altbekannten Hauptstadtjournalisten.
«Liebe Kollegin, was ich sehe, gibt ihm recht! Punkt eins, sein Marketing-Coup, so er denn als solcher geplant war, ist gelungen. Dieses Buch wird sich millionenfach verkaufen. Punkt zwei, wo er recht hat, hat er recht, oder? Der weiblich harmonisierende Blick auf die Welt hat sich doch als ein wenig trügerisch erwiesen. Das Böse regiert. Weniger metaphysisch gesprochen: Das US-Verteidigungsministerium geht davon aus, dass der Iran in wenigen Jahren über Atomwaffen verfügt. Wir stehen kurz vor dem Abgrund, ein nuklearer Konflikt ungeahnten Ausmaßes droht, Israel plant bereits den Präventivschlag …»
«Und Klein Adolf kehrt aus dem Kyffhäuser zurück und rüstet zum ultimativen Endsieg?! Tut mir leid, ich konnte mit Weltuntergangszenarien noch nie etwas anfangen. Alles heiße Luft.»
Kehrtmanns Blick ruhte ruhig auf ihrem Gesicht. Er schätzte ihre Intelligenz, daran hatte er nie einen Zweifel gelassen, aber er vermisste zuweilen bei ihr den Mut, die Gesetze der beruflichen Logik außer Kraft zu setzen und das ganz andere zu denken. Martina wiederum spürte sehr genau, was er von ihr erwartete, aber sie hätte sich eher eine Pappnase aufgesetzt als zuzugeben, dass die Atombombendrohungen des Iran und die «Operation Barabbas» sie einen Dreck interessierten, solange sie die Ergebnisse ihrer ersten Nachuntersuchung noch nicht erhalten hatte. Ihr privater Krieg gegen den Krebs war das Einzige, was im Augenblick zählte. Vielleicht ahnte er das ja sogar, denn er wirkte für seine Art ungewohnt umgänglich.
«Die Aktion Barabbas ein Fake?!»
«Genau, ein Riesen-Fake!»
«Gut, lassen wir vorläufig den Wahrheitsgehalt außer Acht und konzentrieren wir uns auf den Propagandawert und auf die Schlusspointe: Immerhin stellt Klimt uns ja seine Ermordung in Aussicht.»
«Das glauben Sie doch selbst nicht!»
«In sieben Tagen werden wir es wissen», entgegnete Kehrtmann lakonisch. «Aber um auf Ihre anfängliche Frage zurückzukommen, warum Sie eigentlich hier sind und nicht einer Ihrer historisch gebildeten Kollegen … Seinetwegen sind Sie hier.»
Er ließ die Aufnahme der Rede ein wenig zurücklaufen, bis der Sekretär im Bild erschien.
«Er ist unser Mann!»
Ein schmaler Kopf, der habichtartig aus dem dunklen Anzug ragte. Schlanke Gestalt, durchtrainiert, Langstreckenläufer, vermutete Martina. Ein sehr agiler, ein sehr selbstbewusster Mann, der älter wirkte als er war und im Unterschied zu ihrem Chef trotz seiner arroganten Ausstrahlung etwas Anziehendes hatte, was genau, das konnte sie in ihrem Kurzscan seiner Person nicht herausfinden.
«Klimt will sich umbringen lassen», fuhr Kehrtmann fort. «Gut für sein Buch, die Presse und das Boulevardfernsehen. Nur – er gibt keine Interviews vorab. Dieser Wilson schon. Er will uns ein Exklusivinterview geben. Jetzt fragen Sie mich nicht warum?! Alle anderen Blätter und Blogs sind jedenfalls außen vor. Und ich darf Ihnen versichern, diese Exklusivität hat uns keinen Cent gekostet. Die Pointe an der Sache», er setzte sein spöttischstes Grinsen auf, «hab ich Ihnen allerdings noch gar nicht verraten!»
«Die wäre?» Martina rieb sich müde die Augen.
«Er will dieses Interview nur mit Ihnen führen. Weiß der Teufel, warum.»
«Mit mir?» Sie blickte Kehrtmann ungläubig an. «Er kennt mich doch gar nicht?!»
«Fragen Sie nicht mich, fragen Sie ihn! Morgen haben Sie die Gelegenheit. Der Termin ist bereits vereinbart.»
Martina wusste, dass es sinnlos war, so zu tun, als würde sie sich über dieses Arrangement ohne ihr Zutun aufregen. Dieses Interview war ihre Mega-Chance, wieder ins Geschäft zurückzukommen, und zwar mit großem Tusch, das war beiden klar.
«Gut.» Sie nickte.
«Hier, ein Dossier über ihn, lesen Sie es sich in Ruhe durch. Allzu viel konnten wir nicht herausfinden. Er ist Vollwaise.» Für den Familienmenschen Kehrtmann schien damit über Wilson alles gesagt, was sich sagen ließ.
«Nun zu den Menschen, vor denen Sie sich hüten sollten!»
Martinas fragender Blick ließ ihn dozierend die Hände verschränken. Seine Lieblingsgeste, vermutete sie, weil er so seine manikürten Hände ins rechte Licht rücken konnte. Was für eine Welt, dachte sie unwillkürlich, in der Männer mehr Geld für Maniküre ausgaben als Frauen.
«Klimts Feinde sind auch Ihre Feinde. Denn jede publizistische Schützenhilfe, sei sie negativ oder positiv, wird unweigerlich als Waffenbrüderschaft ausgelegt werden. Also seien Sie auf der Hut. Vor allem vor den beiden!»
Kehrtmann spulte die Aufnahme zurück. Martina goss sich Wasser ein, ihr Mund war plötzlich sehr trocken und die Luft erschien ihr viel zu stickig, obwohl die meisten Kollegen inzwischen den Raum verlassen hatten.
«Hier, unser Glück will es, dass wir beide recht gut gemeinsam im Bild haben!»
Martina musterte die vorderen Reihen.
«Ist das nicht ein alter Bekannter?» Sie tippte mit ihrem Kugelschreiber auf ein Gesicht in der zweiten Reihe.
«Ludwig Müller von Hausen!»
«Ah ja, unser dünnbeiniger Bluter!» Martina rief die Daten ab. Ihr Gedächtnis funktionierte noch immer perfekt, trotz Chemo und Strahlentherapie, wie sie sich selbst widerwillig zugestand.
«Kunstmäzen und Führer der Humanistischen Liga, Anhänger Stefan Georges, Liebhaber von Knabenchören, Familienvater aus Diskretionsgründen, nicht wegzudenken vom alten Westberliner Parkett, einer der ganz großen Strippenzieher in town …»
Kehrtmann nickte anerkennend.
«Das war eine Ihrer letzten wirklich guten Reportagen. Schade, dass sie ein anderer zu Ende schreiben musste …»
Martina war sich gar nicht sicher, ob sie die Arbeit damals gern zu Ende gebracht hätte. Es ging um die Mafia-Investionen in Ostdeutschland, um die Milliardensummen, die dort sauber gewaschen worden waren, dank der Hilfe skrupelloser Juristen, die als Aufkäufer und Mittelsmänner agierten. Ludwig Müller von Hausen war einer der erfolgreichsten, mit Sicherheit der skrupelloseste. In Gestalt der «D’Annunzio-Gesellschaft», deren Vorsitzender er war, hatte er eine wunderbare Tarnorganisation, um seine italienischen Kontakte zu pflegen, die bis in höchste Regierungskreise reichten – noch dazu konnte er seine Transaktionen so sehr elegant steuerlich absetzen. Es ging das Gerücht, dass sich allerdings nie hatte erhärten lassen, dass er Mitglied der P1-Loge war, jener erzkonservativen Geheimorganisation, die Italien seit Jahrzehnten regierte und die dank der Globalisierung der Drogen- und Devisengeschäfte nun auch europaweit ihre dreckigen Geschäfte machen konnte.
«Ein aalglatter Hund, mit dem ich mich ungern noch einmal anlegen würde. Die zwei, drei Gespräche in seinem literarischen Salon waren unangenehm genug. Er droht nicht, er macht Komplimente. Das heißt, er hat es nicht nötig zu drohen.»
«So sehe ich es auch», stimmte Kehrtmann zu, «ein СКАЧАТЬ