Название: Führerin
Автор: Gregor Eisenhauer
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783954622962
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Die ersten Buhrufe wurden laut. «Unverschämt!» – «Wir sind doch nicht hier, um uns beleidigen zu lassen!» Selbst die gelasseneren Zuhörer raunten einander zu: «Alberne Publikumsbeschimpfung! Mal wieder sehr emotional der Herr! Dient wohl der Show!»
Die Ordner blickten grimmiger. Aber die Aufregung legte sich schnell, schließlich war allen Anwesenden klar, dass sie genau deswegen gekommen waren. Entsprechend süffisant war das Lächeln Klimts, der ein wenig vom Rednerpult zurückgetreten war, aber nun seinen Mund wieder ganz nah ans Mikrofon brachte, weil so sein zorniges Flüstern umso vernehmlicher durch den Saal drang. «Lassen Sie mich sprechen vom Antichristen, in dreifacher Gestalt. Dem Menschen, der das schlimmste Unheil über die Welt bringen wird. Die Olympiade der Teufel, wenn Sie so wollen. Es gibt nicht wenige Südstaatler, der Gesinnung oder der Geografie nach, die den amerikanischen Präsidenten schon aufgrund seiner Hautfarbe für den Antichristen halten, einen Antichristen mit marxistischem Glaubensbekenntnis. Das ist natürlich Unsinn. Nähern wir uns der Sache objektiv. Fakten! Warum handelt es sich bei Barack Obama um den Antichristen? Zählen Sie die Buchstaben seines Namens: Barack Hussein Obama – sechs Buchstaben plus sieben plus fünf –, achtzehn, dreimal die Sechs. Six hundred and sixty six is the number of the beast. Sie zweifeln? Der missglückte Eid, erinnern Sie sich. Er ist Linkshänder. Hexen grüßen den Teufel stets mit der Linken. Das Fahrzeug, die gepanzerte Limousine, in der er nach der Vereidigung davonfuhr, trägt den Spitznamen: das Biest! Der Segen, gesprochen von einem Evangelisten, von einem der falschen Heiligen der letzten Tage mit Namen Rick Warren, rechnen Sie die Fakten zusammen: Wahrlich, er ist der Antichrist! Er ist das Werkzeug falscher, weil auf das Unmögliche gerichteter Hoffnungen. Es war kein Akt waghalsiger Prophetie, ihm eine unglückliche Regierungszeit vorherzusagen – der Beiname Hussein sagt alles, meine Damen und Herren! Kein Mann, der Hussein hieß, war je wirklich vom Glück gesegnet. Salem aleikum, Saddam!
Wir leben in satanischen Tagen. Der Antichrist ist unter uns, in vielfacher Gestalt.» Klimts Tonfall wurde höhnisch. Sein Blick musterte die Zuhörer so voller Hass, dass nicht wenige den Blick senkten. Ertappt bei einer Sünde, von der sie keine Ahnung hatten.
Der Papst taugt nicht mehr als der Antichrist. Denken Sie an die Quote. Denken Sie politisch korrekt. Zumindest eine Frau muss im Vorstand sein! Der Antichrist in weiblicher Gestalt. Ich bin kein Feminist, wie Sie wissen. Ich weiß nicht, wer die Zahl aufgebracht hat, aber es steht wohl außer Frage, dass der Feminismus und die Ideologie der weiblichen Selbstbestimmung mehr Menschenleben gekostet haben als alle Kriege der Menschheit. Wer ein ungeborenes Kind ermordet, zerstört eine werdende Familie. Wer kinderlos bleibt, beraubt sich selbst der Macht über die Familie. Wer herrschen will, braucht die Macht über die Kinder. Nichts ist lächerlicher als eine kinderlose Frau, die über die Zukunft aller redet! Einige Frauen haben das inzwischen kapiert. Das neue Matriarchat ist im Werden. So viel darf ich Ihnen schon jetzt verraten, das wird kein Spaß für uns Männer. Die zukünftige Herrin der Welt? Sie sitzt im Publikum. Und der Dritte im Bunde, der schlimmste aller Antichristen? Ohne mir schmeicheln zu wollen, das bin ich selbst! Sie lachen. Lachen Sie! Erheitern Sie mein Herz. Denn wissen Sie, was das Schöne an diesen Thesen ist? Sie können sie nicht widerlegen. Was ich bislang vorgetragen habe, sind Fakten: Fakten, die in einem verschwörungstheoretischen Erklärungsmodell der Welt sehr überzeugend sind, von unwiderlegbarer Evidenz geradezu. In einem nichtreligiösen Erklärungsmodell sind sie von indiskutabler Nichtigkeit. Das Gerede eines Wahnsinnigen. Wer wollte sich die Mühe machen, einen Wahnsinnigen zu widerlegen – vor allem, mit welchen Argumenten? Nun, der Wahnsinnige behält recht, wenn die Katastrophe tatsächlich eintritt. Die Apokalypse. Die Machtübernahme Satans.
So weit, so gut. Ich weiß, dass ich mich in diesen Dingen gern wiederhole … und einen gewissen Hang zum Pathos mögen Sie einem alten Mann verzeihen!»
Klimts Kichern ließ die Anwesenden frösteln. ‹Dieser Mann ist komplett wahnsinnig›, schienen einige zu denken, aber kaum, dass sein Blick auf ihnen ruhte, sei es durch Zufall oder weil ihr unwillkürliches Kopfschütteln auf sie aufmerksam machte, verabschiedeten sie den Gedanken schon wieder. In diesem alten, teigigen Gesicht glühten Augen, die an alles denken ließen, nur nicht an Irrsinn.
«Sie werden sagen, nichts Neues, was er vorbringt! Hirngespinste eines alten Mannes! Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nur um eins, schärfen Sie den Blick für die Spur des Bösen in der Gegenwart. Das Böse kann sich stets nur wiederholen, weil die vermeintlich Guten sich seiner Wirkungsweisen nicht erinnern. Das frohe Blöken der Schafe ist Musik in den Ohren des Wolfs!»
«Krank, oder?!» – «Der kotzt sich ja mal wieder ganz schön aus!» – «Und täglich gib uns unseren Weltuntergang!» – «Geschwätz!»
Zwei Dutzend Journalisten waren in einem Nebensaal versammelt worden, damit sie dort ungestört per Videoübertragung dem Vortrag folgen konnten. Im Hauptsaal waren sie unerwünscht, denn Klimt hegte eine tiefe Abneigung gegen die «nuttige Journaille», so sein Lieblingsausdruck, für den er etliche Varianten hatte, die alle gleichermaßen vulgär im Ton waren.
«Ein durch und durch unsympathischer Zeitgenosse, wenn Sie mich fragen. Ein Spinner, aber nicht ohne Charisma!» Martina Claasen schien es bei diesem Urteil belassen zu wollen.
Der Chefredakteur des Internetmagazins NewsOnline klopfte noch einmal bekräftigend mit seinem Füllfederhalter auf den Tisch, denn er applaudierte sich zuweilen gern selbst.
«Ja, ja, schön und gut, aber was halten Sie von seinen Thesen?» Er wandte sich an seine Mitarbeiterin, die gelangweilt die Beine übereinandergeschlagen hatte. Sehr lange Beine, wie er nicht umhin kam festzustellen. Zumindest da hatte sie keinen Schaden genommen. Sie wirkte grazil wie immer. Umso mehr überraschte ihr rüder Tonfall.
«Ich kann dieses Endzeitgequatsche nicht mehr hören, egal von welcher Seite es kommt. Die Welt ist schlecht, tolle Neuigkeit, was geht es mich an!?»
«Stopp! Ich schätze Ihre flapsige Art, aber nur im Umgang mit Ihren Interviewpartnern! Also bitte … konzentrieren Sie sich und teilen Sie mir Ihre vorurteilsfreie Meinung über Herrn Klimt mit! Etwas mehr Substanz könnte dabei nicht schaden!»
Martina Claasen, fünfunddreißig, Kurzhaarfrisur, ein wenig zu blass für ihre sehr durchtrainiert wirkende Figur, musterte mit kaum verhaltenem Spott ihren Chef. Wäre ihr seine blasierte Neugier nicht seit Jahren vertraut gewesen, sie hätte ihm offen ins Gesicht gegähnt. Stattdessen schien sie hoch konzentriert nach den passenden Worten für ihren Unmut zu suchen, was Schauspielerei war, denn ihre Einschätzung von Klimt stand fest. Er erinnerte sie in zu vielem an ihren eigenen Vater, als dass sie sein cholerisches Gepolter hätte ernst nehmen können.
An den anderen Tischen im Videokonferenzraum herrschte aufgeregtes Getuschel, jeder schien mit dem Auftritt Klimts beschäftigt zu sein, aber Martina spürte sehr wohl, dass viele neugierige Blicke, die absichtslos durch den Raum zu schweifen schienen, ihr und ihrem Chef galten. Seit über einem halben Jahr waren sie nicht mehr gemeinsam zu sehen gewesen, und vieles war gemunkelt worden, darunter das Absurdeste, was sie sich überhaupt nur vorstellen konnte, dass sie beide nun endgültig ein Paar geworden seien und sie sich deshalb von der vordersten Reporterfront zurückgezogen hatte.
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