Название: Die Geschichte Chinas als Geschichte von Fetischverhältnissen
Автор: Raimund Philipp
Издательство: Автор
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783534400232
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Die Darlegung des Theorieansatzes wird durch offensichtlich existierende »Fetischverhältnisse« veranschaulicht, wobei auf die Differenzen und die Gemeinsamkeiten von »vormodernen« und »modernen Fetischverhältnissen« verwiesen wird.
Die »vormodernen Fetischverhältnisse« des „vor-chinesischen“ Neolithikums wie die der drei Dynastien dienen als Beispiele, sie bedürfen einer eingehenden Untersuchung und Analyse im Kontext des betreffenden historischen Zeitraums, um sie in diesem Zusammenhang dechiffrieren zu können. Liu Li untersucht in ihrer Abhandlung The Chinese Neolithic. Trajectories to Early States bestimmte Regionen, wobei die Zeitspanne von 7000-1500 v. u. Z. umfasst, z.B. „the Peiligang culture (ca. 7000/6500-5000 BC) in Henan; the Yangshao culture (ca. 5000-3000 BC) in Henan, Shanxi, and Shaanxi; the Dawenkou culture (ca. 4100-2600 BC) in Shandong and northern Jiangsu; the Qujialing culture (ca. 3000-2600 BC) in Hubei and southern Henan; the early Longshan period (Miaodigou II culture, ca. 3000/2800-2600/2500 BC) in Henan, Shanxi, and Shaanxi; the Erlitou culture (ca. 1900-1500 BC) and Xiaqiyuan culture (ca. 1800-1500 BC) in southern Shanxi, Henan, and southern Hebei; and Yueshi culture (ca. 1900-1500 BC) in Shandong and northern Jiangsu“ (Liu 2004, S. 16). Das ist in dieser Abhandlung nicht zu leisten. Dass diese »Fetischverhältnisse« tatsächlich existiert haben, wird auch von den Sinologen nicht bestritten, auch wenn sie den Begriff Fetischverhältnis nicht verwenden.
Neues bringt bekanntlich die eingefahrenen Bahnen durcheinander und rüttelt an dem Selbstverständnis des akademischen Establishments. Aber vielleicht lässt sich durch die Darlegung bei dem einen oder anderen Vertreter der betreffenden Zünfte Interesse an diesem Ansatz wecken. Dies könnte dann dazu führen, dass das theoretische Defizit eventuell überwunden wird, das gerade bei den Sinologen offenkundig vorhanden ist, allerdings nicht nur bei diesen. Vielleicht lässt sich dieser oder jener dazu hinreißen, diesen Theorieansatz auf einen konkreten Untersuchungsgegenstand anzuwenden.
Die unbestreitbare Qualität dieser Theorie besteht darin, dass ihr Urheber abstrakt-allgemeine Thesen oder Kriterien entwickelt hat, die es ermöglichen, die Besonderheiten von »vormodernen Sozietäten« einer bestimmten Zivilisation analysieren zu können. Die Bedingung ist, dass das historische Material in seiner Eigenlogik ernst genommen wird (vgl. Kurz 2006, S. 6), denn:
„Das historische Material hat seine sperrige Eigenqualität, die nicht missachtet oder gewaltsam nach Maßgabe des eigenen Interesses gemodelt werden darf. Es verbietet sich also ein bloß deduktives, ontologisches, ableitungs- und identitätslogisches Vorgehen. Der Begriff einer ‚Geschichte von Fetischverhältnissen‘ enthält ja gerade (…) eine Kritik an diesem Vorgehen der klassischen modernen Geschichtsphilosophie“ (ebd.; Hervorh. Kurz).
Was haben nun vormoderne Sozietäten und die moderne Gesellschaftsformation gemein und worin unterscheiden sie sich? Der Unterschied zwischen der Vormoderne einschließlich der so genannten „Prähistorie“ und der Moderne besteht darin, dass in der ersten das »transzendente göttliche Prinzip«, also der »Glaube an übersinnliche Kräfte und Mächte«, die Daseins- und Lebensverhältnisse der Menschen objektiv bestimmt und beherrscht, während in der Moderne das transzendentale Prinzip das herrschende ist, also die Verwertung des Werts das Leben der Menschen totalitär reglementiert. Die Gemeinsamkeit besteht in der bewußtlosen Ausformung von »Fetischverhältnissen«:
„Die vorkapitalistischen Formationen insgesamt werden also mit dem Kapitalismus zu einer »Vorgeschichte« bewusstlos konstituierter Verhältnisse und Formbestimmungen zusammengeschlossen, sodass mit dem von allen Fetischformen befreiten Kommunismus die menschliche Geschichte nicht etwa endet, sondern als eine bewusst gemachte überhaupt erst beginnt.
Die Andersheit der vorkapitalistischen, religiös konstituierten Fetischverhältnisse wird aber eben erst begreifbar, wenn klar geworden ist, dass es sich bei den religiösen Formen keineswegs um eine subjektive »Glaubensfrage« gehandelt hat, wozu die Religion erst in der Moderne gemacht und damit für die reale Reproduktion irrelevant wurde, sondern um eine objektivierte hierarchische Weltordnung, die auch den »Stoffwechselprozess mit der Natur« und die sozialen Beziehungen der Menschen bestimmte; analog zur »Ökonomie« des modernen Kapitalfetischs, aber in ganz anderen Formen der Verselbständigung.
Das gilt dann auch für das Naturverständnis ebenso wie für den Werkzeuggebrauch oder das, was in diesem Kontext in moderner Terminologie als »Produktivkraftentwicklung« bezeichnet wird. Eine solche Begriffsbildung wäre in den vorkapitalistischen Sozietäten ebenfalls unmöglich gewesen, weil für sie so etwas wie »Produktion« oder Input-Output-Relationen keinerlei eigenständige Bedeutung haben konnten. Das lässt eine moderne Betrachtung regelmäßig außer Acht, indem sie die eigenen Kategorien auf ganz andere Verhältnisse projiziert. Der reale Ablauf von Umformungen der Naturstoffe, etwa dass man für den Transport oder das Heben von Steinen bestimmte Techniken benötigt, wird dann projektiv mit modernen gesellschaftlichen Abstraktionen (»Arbeit«, »Produktion«, »Produktivkräfte« etc.) belegt, ohne den damit nicht begreifbaren Hintergrund der ganz anderen Verfasstheit zu berücksichtigen“ (Kurz 2012, S. 72f.; Hervorh. Kurz).
In allen Gesellschaftsformationen wird stets die moderne, bürgerliche Gesellschaft gesehen und damit werden die historischen Unterschiede verwischt, wie Marx schon in Zur Kritik der politischen Ökonomie (handschriftlicher Nachlaß) feststellte (vgl. MEW 13, S. 636; dazu später ausführlicher). Das fällt bei der Lektüre der Publikationen über das „prähistorische“ „Vor“-China sofort auf. So wird z.B. die Herstellung von Steinwerkzeugen als stone tool industry (Yan/Wang 2005, S. 15)11 bezeichnet. Eine Rückprojektion, die den Tatbestand der Ridikülität erfüllt und sich zuhauf finden lässt. Es ist also unerlässlich nach der Darstellung der Theorie der Geschichte als Geschichte von Fetischverhältnissen sich die modernen Kategorien einmal näher anzuschauen. In dem Kapitel Die Grundkategorien des modernen warenproduzierenden Systems und ihre abgeleiteten Funktionselemente werden kategoriale Begriffe der Moderne wie z.B. abstrakte Arbeit, Wert, Ware, Geld, Staat und Politik etc. näher beleuchtet. Es wird sich zeigen, dass die Kategorien der Moderne in der so genannten „Vorgeschichte“ und in der Vormoderne entweder eine vollkommen andere Bedeutung hatten oder gar nicht existierten, wie wir noch sehen werden, oder sie besaßen keine gesellschaftliche Allgemeingültigkeit, d.h. sie existierten höchstens als »Nischenform« (Marx) und auch dann waren sie dem »transzendenten göttlichen Prinzip« unterworfen. Die Menschen hatten einen »Stoffwechselprozess mit der Natur« (Marx), aber die Kategorie abstrakte Arbeit, also die „Verausgabung von Hirn, Muskel, Nerv, Hand etc.“ (Marx) kannten sie nicht, ebensowenig kannten sie die oben genannten Kategorien. Dies wird sich im Laufe der Untersuchung belegen lassen.
In „Die Richtigstellung der Namen“ wird gezeigt, dass erstens auch Vertreter des akademischen Establishments „Bauchschmerzen“ bei der Rückprojektion moderner Kategorien auf die Vormoderne bekommen bzw. haben, so u.a. der Althistoriker Christian Meier (vgl. Meier 1970). Zweitens wird aber auch deutlich, dass trotz aller Kritik eine „terminologische Unsicherheit“ (Kurz 2012, S. 107) herrscht, denn auch Meier hat keine fundierte Theorie vorzuweisen. Kurz kommt in Bezug auf andere Autoren zu dem Schluß:
„Es fehlt die radikale theoretische Kritik an den modernen Kategorien, die allein als Katalysator für eine begriffliche Bestimmung der früheren Sozietäten dienen könnte. Deshalb hängt die aufscheinende Differenz in der Luft“ (ebd.).
Als „Kronzeuge“ für die Forderung nach der „Richtigstellung der Namen“ tritt dann Meister Kong (Kongzi, lat. Konfuzius [551-479]) auf, der zwar mit seiner Forderung etwas anderes im Schilde führte (vgl. dazu vorab Konfuzius 1991, Endnote 116, S. 153), aber schon zu seiner Zeit den „laxen Sprachgebrauch“ (Unger 2000, S. 68) kritisierte.12
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