Die Geschichte Chinas als Geschichte von Fetischverhältnissen. Raimund Philipp
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СКАЧАТЬ vormodernen oder vorkapitalistischen Sozietäten, die in der qualitativen Eigenheit ihrer geringen Vergesellschaftung mit ganz spezifischen Beziehungsformen und damit ihrer grundsätzlichen Differenz zur negativen »ökonomischen« Vergesellschaftung der so genannten Moderne gefasst werden müssen. Deshalb verbietet sich im Gegensatz zur Aufklärungsvernunft und ebenso zum Marxismus eine transhistorische Bestimmung vermeintlich übergreifender Grundkategorien (»Arbeit«, Geldform, Warenform etc.), wie sie aus der bürgerlichen Geschichtsmetaphysik folgt. Zweitens der historische Konstitutionsprozess des Kapitals in der Frühmoderne, der als Übergangsform eine andere Logik bzw. eine andere Abfolge der Kategorien impliziert als das »fertige« Kapitalverhältnis. Drittens die Logik und der kategoriale Zusammenhang oder »Kreislauf« (Marx) des Kapitals als sein eigener Reproduktionsprozess oder »Gang in sich«, der sich aus einer veränderten Sicht der Grundbestimmungen auch anders darstellt als in den gängigen Lesarten der Marxschen Theorie. Und viertens der innere Selbstwiderspruch und die logische innere Schranke der kapitalistischen Dynamik, die sich schließlich auch historisch als manifestes Resultat einer fortschreitenden Binnengeschichte des Kapitalfetischs aufrichten muss“ (ebd., S. 7f.; Hervorheb. Kurz).

      Schon in früheren Schriften geht Kurz auf die besonderen Beziehungsstrukturen vormoderner und moderner Gesellschaftsformationen ein, so meines Wissens zum ersten Mal 1993 in Subjektlose Herrschaft. Zur Überwindung einer verkürzten Gesellschaftskritik (Kurz 2004d). Dort heißt es:

      „Es wäre eine eigene Aufgabe, die historische Abfolge und Ausdifferenzierung von Fetisch-Systemen zu untersuchen. Die Geschichte wird unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr übergreifend als ‚Geschichte von Klassenkämpfen‘ bestimmt (wie es noch dem Erkenntnisstand des ‚Kommunistischen Manifests‘ entspricht), sondern als ‚Geschichte von Fetischverhältnissen‘. Die Klassenkämpfe (und andere Formen sozialer Auseinandersetzung) verschwinden dadurch natürlich nicht, aber sie werden herabgesetzt zu einer Binnenkategorie von etwas Übergeordnetem, nämlich der subjektlosen Fetisch-Konstitution und ihren jeweiligen Codierungen bzw. Funktionsgesetzen. Die in der Gestalt des Kapitals zur gesellschaftlichen Reproduktionsform gewordene Warenform ist dann die letzte und höchste, den Raum der Subjektivität gegenüber der ersten Natur am weitesten hinausschiebende Fetischform“ (ebd., 184; Hervorh. Kurz).

      Eine erste systematische Darstellung erfuhr die Theorie der Geschichte als Geschichte von Fetischverhältnissen in seinem dreiteiligen Fragment Geschichte als Aporie. Vorläufige Thesen zur Auseinandersetzung um die Historizität von Fetischverhältnissen (Kurz 2006, 2006a, 2007). Fortgeführt wurde sie in einigen Kapiteln in dem oben schon erwähnten Essay Geld ohne Wert. Diese Theorie als radikale Kritik am modernen warenproduzierenden System schließt die Abspaltungskritik, die Subjektkritik (und demgemäß die Herrschaftskritik; RGP) und die Aufklärungskritik als „unverzichtbare Einheit [ein], keines der Momente ist ohne das andere möglich“ (Kurz 2004c, S. 112). Dadurch, dass die Geschichte der Menschheit als »Geschichte von Fetischverhältnissen« aufgefasst wird, eröffnet sich ein vollkommen neuer Zugang, die einzelnen Epochen – um im herrschenden Sprachgebrauch zu bleiben: die so genannte Vorgeschichte (inklusive eines so genannten Urkommunismus, die Antike, die Feudalgesellschaft und die Moderne) – unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten.

      „Wie die gewöhnliche Einteilung der Geschichte in Antike, Mittelalter und Neuzeit (der man sich aus Verständigungsgründen kaum entziehen kann) rein formal und völlig beliebig ist, denn auch schon die Antike und das Mittelalter hatten ihre eigene Antike bzw. ihr eigenes Mittelalter und waren ihre eigene Moderne (…). Es ist, als würde man die Vorgeschichte als ‚posttierisch‘, die Antike als ‚postprähistorisch‘, das Mittelalter als ‚postantik‘ und die Moderne als ‚postmittelalterlich‘ bezeichnen“ (Kurz 2014, S. 63; Hervorh. Kurz).

      Die traditionelle Einteilung der Geschichte in Epochen oder Perioden (ein von Le Goff bevorzugter Begriff; vgl. Le Goff 2014) verschleiert das Wesentliche: Der Kampf der neuen gegen die alten »Fetischverhältnisse« ist ein langwieriger Prozess, der sich eben nicht an einem noch so bedeutsamen Geschichtsdatum festmachen lässt. Ins Auge gefasst werden müssen nicht nur der »Stoffwechselprozess mit der Natur« (Marx) sondern auch die „verschiedene[n] gleichursprüngliche[n] Momente der Reproduktion“, wie die sozialen Beziehungen, kulturell-symbolische Formen, Reflexionsformen, Geschlechterverhältnisse etc. (vgl. Kurz 2007, S. 1f.).

      Dass diese methodische Vorgehensweise nicht einfach ist, ergibt sich aus dem prozesshaften Charakter des Kampfes des Alten gegen das Neue. Z. B. ist gerade die Analyse des „vor-chinesischen“ Neolithikums mit Schwierigkeiten behaftet. Zwar kann der »Stoffwechselprozess mit der Natur« (Jagd, Fischfang, Anbau von Getreide, Herstellung von nützlichen Gegenständen etc.) die sozialen Beziehungen (u.a. »blutsverwandtschaftliche Verhältnisse«, die »Organisation in Clans, Stämmen«), die »Entstehung von Herrschaftsverhältnissen«, die »kulturell-symbolischen Formen« (Skulpturen, die gottähnliche und/oder anthropomorphe Wesen darstellen, rituelle Gefäße usw.) und das »Geschlechterverhältnis« (z.B. der »Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat«) durch archäologische Artefakte bis zu einem gewissen Grad rekonstruiert werden. Da es keine schriftlichen Zeugnisse aus dem Neolithikum gibt, lassen sich Reflexionsformen nur spekulativ erahnen. Insgesamt muss festgehalten werden, dass wir annähernd ein ungefähres Bild von den Daseins- und Lebensverhältnissen der neolithischen Menschen erzeugen können, aber:

      „Wir befinden uns immer schon im Kontext des modernen Geschichtsbegriffs (selbst noch bei dessen Negation); und wir können nicht aus unserem historischen Standort hinausspringen, wir können die Vergangenheit nicht mit den Augen der vergangenen Menschen betrachten (und natürlich auch nicht der künftigen)“ (Kurz 2006, S. 5).

      Was wir aber von unserem heutigen Standpunkt aus können, ist die Vergangenheit kritisch zu reflektieren. Dies lässt sich mit der kohärenten und konsistenten Theorie der Geschichte als Geschichte von Fetischverhältnissen weitaus treffender bewerkstelligen als mit den vom Aufklärungsdenken beeinflussten handelsüblichen geschichtsphilosophischen Ansätzen, wie noch ausführlich zu zeigen sein wird.

      Wenn der Grundgedanke wahr ist, dass die bisherige Geschichte der Menschheit eine »Geschichte von Fetischverhältnissen« war und noch ist, wofür es in der bürgerlichen wie auch in der marxistisch angehauchten Literatur hinreichend Belege gibt, auch wenn der Begriff »Fetischverhältnis« dort nicht auftaucht, dann stellt sich allein die Frage, welche Entwicklung und Ausformung diese »Fetischverhältnisse« im Laufe der einzelnen Geschichtsperioden erfahren haben.

      Eine erste große Einteilung bezieht sich auf die grundlegende Differenz zwischen den »vormodernen« und den modernen »Fetischverhältnissen«. In der Vormoderne konstituierte das »transzendente göttliche Prinzip«, also der »Glaube an übersinnliche Kräfte und Mächte«, Sozietäten, in denen objektivierte Daseins- und Lebensverhältnisse herrschten, die von den Menschen bewußtlos hervorgebracht wurden, d.h., „unter dem Diktat eines blinden, verselbständigten, inhaltsfremden und realmetaphysischen СКАЧАТЬ