Das Netz ist politisch – Teil I. Adrienne Fichter
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Название: Das Netz ist politisch – Teil I

Автор: Adrienne Fichter

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная публицистика

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isbn: 9783038053460

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СКАЧАТЬ sagen die Richter etwa, dass der Abstimmungszettel nicht richtig gefaltet gewesen und damit das Stimmgeheimnis nicht gewahrt gewesen sei. Die Demokratie-Aktivistinnen rund um den Piraten McCarthy haben Dutzende von Erklärungen und auch Verschwörungstheorien parat, weshalb das Gericht das Referendum als ungültig erklärte.

      Sabotage des Verfassungsprozesses

      Es ist 2 Uhr nachts, an diesem schicksalhaften 28. März. Ein Sitzungszimmer im Althing, dem isländischen Parlament, am Kirkjutorg in Reykjavik. Traktandum: Ratifizierung der Verfassung. Stundenlang haben Sozialdemokratinnen, Konservative, Grüne, Progressive und Unabhängige über das Schicksal des mehrjährige Bürgerwerks verhandelt. Und befinden sich in einer Pattsituation. Das Resultat: Der Verfassungsentwurf wird weder angenommen noch abgelehnt.

      Stattdessen haben 25 gegen 23 Stimmen entschieden, den gesamten Verfassungsprozess komplett umzukrempeln. 36 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Oder sind einfach nach Hause gegangen.

      Der Verfassungsvorschlag muss neuerdings eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments erringen – vor und nach den Wahlen. Ausserdem soll in einem neuen Referendum abgestimmt werden. Mit einem hohen Quorum. Mindestens 40 Prozent aller Isländer müssten ein Ja einlegen.

      Weshalb die Premierministerin Jóhanna Sigurðardóttir ihr eigenes Projekt torpedieren liess, ist für die unterstützenden Piraten bis heute nicht nachvollziehbar. Ihre Vermutung: Sigurðardóttir hatte von der Zermürbungstaktik der Bürgerlichen die Schnauze voll. Ihre Kräfte waren aufgebraucht, sie kümmerte sich nur noch um die Aufräumarbeiten. Einen Monat nach der Sitzungsnacht standen die nächsten Wahlen an. Und Sigurðardóttir wusste bereits, dass sie verlieren würde.

      Glámur ist zurück

       Der Held ist verbannt, der böse Glámur ist wieder da.

      Die Deregulierer sind zurück. Die Konservativen übernehmen 2013 wieder das Steuer. Und bilden die alte Koalition mit ihrer alten Partnerin, der Progressiven Partei. Der neue Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson tritt sein Amt im Frühling an.

      Die konservativen Fischbarone haben gesiegt. Und damit auch das alte Establishment. Die Arbeit von Hunderten von Bürgerinnen ist über Nacht in den Sand gesetzt worden. Ränkespiele in Hinterzimmern haben den Geist der jungen Reformbewegung getötet.

      Taktieren, lobbyieren, aufschieben – alte Traditionen haben im Althing gewonnen. Die neue Verfassung ist damit auf der politischen Agenda noch weiter nach unten gerutscht. Die Netzdemokratie: tot.

      Stillstand

      All das ist nun fünf Jahre her. Auf dem Papier existiert das Projekt Verfassung immer noch. «Es steckt seit Jahren in einem Pseudo-Komitee fest und kommt nicht vom Fleck», lacht der Parlamentarier McCarthy traurig.

      Für die liberal-linke Bürgerbewegung ist das Experiment vorerst gescheitert. Es herrscht Stillstand. Die Medien sind verstummt. Niemand redet gern über das Versagen hochgehypter Internet-Märchen.

      McCarthys politisches Engagement dreht sich heute um andere Dinge. Wie beispielsweise seine Kommissionsarbeit in der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA, über die er lieber redet. Doch der 34-jährige Pirat denkt noch bis heute jeden Tag zurück. Immer wieder spült der Facebook-Algorithmus einen Beitrag in seinen Newsfeed, der ihn an das Experiment erinnert. In dem sich eine Facebook-Freundin wehmütig nach der Aufbruchstimmung zurücksehnt.

       Der Held Grettir ist tot, Glámur hat gesiegt. An dieser Stelle könnte die Saga zu Ende sein.

      Doch man kann die Geschichte auch ganz anders erzählen.

      Aus der Blase für die Blase

      Nämlich so: Die Demokratie-Aktivisten wie Smári McCarthy lebten in einer Filterblase. Sie haben nicht bemerkt, dass sie eigentlich eine Minderheit bilden. Dass die Mehrheit der Isländerinnen nach dem Crash erschöpft war. Dass Existenzängste schwerer wogen als Verfassungspatriotismus. Dass Schulden abzahlen eine grössere Priorität für sie hatte als abstrakte Debatten über die Bodenreserven Islands. Dass eine Verfassungsänderung eine akademische Luxusbeschäftigung war, die vor allem von den Medien angefacht wurde.

      Oder sie waren, so die Meinung vieler isländischer Journalistinnen und Verfassungsexperten, verwirrt über die willkürlichen Referendumsfragen. Oder sie fanden den Dänemark-Klon eben doch nicht so schlecht.

      Was die Linken und Piratinnen jedoch am meisten unterschätzten, ist die treue Stammwählerschaft der Konservativen. Zwar ist die Ära der 45-Prozent-Mehrheiten vorbei. Doch insbesondere die Senioren halten der Unabhängigkeitspartei die Treue. Und sie verpassen keine Wahl. An der Urne werden die historischen Verdienste der Konservativen regelmässig gewürdigt: die Erlangung der Unabhängigkeit und der Aufbau der wohlhabenden Nation Islands.

       In dieser Geschichte gibt es keinen bösen Glámur. Nur einen Helden, der mit seinem Langboot einsam auf dem Polarmeer umherirrt.

      Konservative sind altehrwürdige Staatsmänner

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