Название: Die Weisheit der Dichter
Автор: Manfred Ehmer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Религия: прочее
Серия: Edition Theophanie
isbn: 9783347008762
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Er, der den Himmel klar, die Erde fest schuf,
Er, der die Glanzwelt, ja den Oberhimmel,
Der durch des Äthers Räume hin das Licht maß:
Wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren?
Zu dem empor, von seiner Macht gegründet,
Himmel und Erde blickt, im Herzen schauernd,
Er, über dem die Morgensonn' emporflammt:
Wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren?
Wohin ins All die mächt'gen Wasser flossen,
Den Samen legend und das Feuer zeugend,
Da sprang hervor der Götter Eines Ursein:
Wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren?
Der über Wolkenströme selbst hinaussah,
Die Kraft verleihen und das Feuer zeugen,
Er, der allein Gott über alle Götter:
Wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren?
Mög' er uns gnädig sein, der Erde Vater,
Er, der Gerechte, der den Himmel zeugte,
Der auch die Wolken schuf in Glanz und Stärke:
Wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren?14
Im Weltschöpfungslied des Rig-Veda tritt uns das göttliche All-Eine erstmals in mystischer Schau entgegen, nicht als persönlicher Gott, sondern als un- und überpersönliches Eines. Selbst die zahlreichen, der Schöpfung innewohnenden Götter und der ihnen zugeordnete Obergott verdanken diesem Unsagbar-Einen und Ursprünglichen ihre Entstehung. Hier beginnt erst Mystik im eigentlichen Sinne; denn das im Weltprozess tätige Eine entstammt einem Bereich nicht vorstellbarer Transzendenz. Es hat keinen Namen; es heißt einfach nur „Dieses“ (Tad), oder „Das Eine, außer dem es sonst nichts gab“. Die Chandogya-Upanishad nennt es „Eines ohne ein Zweites“, das zweitlose Eine. Der mystische Dichter dieses Liedes weist alle Spekulationen über die Weltentstehung zurück; er ist bereits zu der Erkenntnis gelangt, dass niemand wissen kann, wie alles Gewordene zustande kam, selbst die Götter und ihr Obergott nicht, denn auch diese sind später als das Eine.
Es war kein Nichtsein damals, und es war kein Sein;
Es war kein Luftraum auch, kein Himmel über ihm.
Was webte damals? Wo? Wer hielt in Schutz die Welt?
Wo war das Meer, der Abgrund unermesslich tief?
Nicht Tod war damals, auch das Leben gab es nicht;
Es gab kein Unterschied noch zwischen Tag und Nacht;
Doch Dieses atmete, auf seine Weise, ohne Hauch:
Das Eine, außer dem es sonst nichts gab.
In Dunkel war die Welt im Anfang eingehüllt;
Und alles 'dieses' war nur unkenntliche Flut.
Durch Leere war das wundersame Eine zugedeckt:
Da brachte es durch Glutes Kraft sich selbst hervor.
Da ward das Eine gleich von Liebeskraft durchwallt,
Die, aus dem Geist geboren, aller Dinge Same ist:
Das Herz erforschend, taten es die Weisen kund,
Wie alles Sein im Nichtsein seine Wurzel hat.
Und als die Denker querdurch spannten eine Schnur,
Da gab es 'Oben' plötzlich, und ein 'Unten' auch;
Und keimesmächt'ge Kräfte traten auf den Plan:
Begehren unten, oben der Gewährung Kraft.
Wer hat es ausgeforscht, und weiß es, tut es kund,
Woher die Schöpfung kam, und wie die Welt entstand?
Die Götter traten nach dem Einen erst ins Sein.
Wer also weiß, woher sie ausgegangen sind?
Woher die Schöpfung ist, und ob der Eine sie gemacht,
Das weiß, der über diese Welt die Oberaufsicht hat,
Und aus dem höchsten Himmel auf sie niederblickt:
Der weiß es wohl? Vielleicht weiß er es selber nicht.15
Wie ein Monument steht das Urgestein der altindischen Dichtung im Strom der Zeiten, alle Wechsel und Wandlungen überdauernd, einmalig in der Wucht und Größe seiner mystischen Schau, unvergleichlich im Zauber seiner lyrischen Poesie. Als Verfasser der Veden wird uns ein gewisser Vyasa genannt – ein hoher Eingeweihter zweifellos, eine bis heute nicht als historisch nachgewiesene Person, vom Dämmerlicht einer längst vergangenen Frühzeit umhüllt. Überdies scheint es fraglich, ob die Veden in ihrer Gesamtheit, mit ihrer großen Spannweite und der Vielfalt an Entwicklungsstufen, überhaupt der Feder eines einzelnen Mannes entsprungen sein können; so könnte man „Vyasa“ auch als einen Gattungs- oder Gruppennamen sehen, der auf eine ganze Schar von dichtenden Sehern der vedischen Zeit angewandt wurde, ähnlich wie im alten Griechenland Namen wie „Orpheus“ oder „Homer“ sich nicht so sehr auf einzelne Persönlichkeiten, sondern auf ganze Generationen von Dichter-Sehern beziehen können. Wie man eine ganze Literaturgattung „homerisch“ nennt, so schreibt man die altindische Dichtung als Ganzes „Vyasa“ zu.
Die indische Überlieferung kennt außer den Veden, die als übermenschlichen Ursprungs gelten, noch eine Gattung von Literatur, die auf die Autorität heiliger Menschen zurückgeht. Dazu zählen vor allem die beiden großen Epen Indiens – das Ramayana und das Mahabharata, ferner gehören hierher die Puranas, d. h. alte Erzählungen, die Legenden vermischt mit kultischen Vorschriften und religiösen Betrachtungen beinhalten. Als Verfasser des Mahabharata wird ebenfalls Vyasa genannt – auch hier wieder eine mythische Figur, da das Dichtwerk in seiner heutigen Form eine im Laufe eines Jahrtausends angewachsene Sammlung darstellt. Das Ramayana, das von dem Heiligen Valmiki verfasst sein soll (im 2. Jhrt. v. Chr.), behandelt die Sage von dem göttlichen Helden Rama, dem ein Riesenkönig seine schöne Frau Sita raubte, von seinen Fahrten und Kämpfen, um sie wiederzugewinnen, und von seinem schließlichen Sieg. Wenn die Inder das Ramayana das erste Kunstgedicht nennen, so sicher mit Recht; denn dort wird zum ersten Mal von jenen Schmuckmitteln reichhaltig Gebrauch gemacht – etwa Vergleichen, poetischen Figuren und Wortspielen –, die in der späteren indischen Poetik eine so hervorragende Bedeutung gewinnen.
Die Upanishaden –
Perlen religiöser Poesie
Einer späteren Bewusstseins-Entwicklungsstufe als die altvedischen Dichtungen gehören die aus der klassischen Zeit stammenden Upanishaden an. Mit dem Beginn der Upanishaden-Literatur setzt, gegenüber der älteren mythischen Bewusstseins-Struktur,
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