Название: Die Weisheit der Dichter
Автор: Manfred Ehmer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Религия: прочее
Серия: Edition Theophanie
isbn: 9783347008762
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Die indischen Rishis, die griechischen Rhapsoden und die Barden-Sänger der Kelten, die Troubadoure und Minnesänger des Mittelalters, ja noch die inspirierten Dichter der europäischen Klassik und Romantik, auch die japanischen Zen-Dichter, die gottestrunkenen persischen Sufi-Poeten – sie alle treten als Künder höherer Weltengeheimnisse auf; sie alle besitzen ein tiefes Wissen um die Geistige Welt, das sie in ihren Dichtungen mal nur andeuten, mal wieder klar und deutlich aussprechen. Deshalb ist die Dichtung des Morgen- und Abendlandes, zumal in ihren heiligen Anfängen, eine randvolle Schatzkammer spirituellen Wissens. „Dichtung kommt aus Gott und mündet in Gott. Sie schafft magisch die große Vereinigung zwischen Dingen und Geist, zwischen Denken und Sein, zwischen Welt und Schöpfer. Am farbigen Abglanz erschaut sie das Leben, und Natur hat für sie weder Kern noch Schale. Man könnte, ein Wort Spinozas variierend, sagen: Die Dichtung ist nicht die Vorstufe zu einem seligen Jenseits, sie ist dieses Jenseits selbst. Oder: Das Jenseits ist nur das anders angeschaute Diesseits. Denn jenseits dieser Welt gibt es nichts. Noch das Nirwana … ist diesseits. Die Sterne leuchten auch den Toten, diese Blumen blühen auch für sie. Nur dass die verklärten Gesichter sie anders sehen. Mit übermenschlichen oder unmenschlichen Augen. So sehen auch die Dichter diese Welt mit über- oder unterirdischen Blicken. Gott ist der Geist. Und seine Geister sind die Dichter.“9
Von den Sängern Gottes handelt vorliegendes Buch – von den Dichtern, Sehern, Mystikern und Eingeweihten aller Zeiten. Wirkliche Dichtung ist ein Weg zum kosmischen Bewusstsein, zum All-Einheits-Bewusstsein der Mystiker. Solche Erfahrung, wie sie R. M. Bucke in seinem Buch Cosmic Consciousness in charakteristischer Weise schildert, eignet dem Mystiker wie dem Dichter gleichermaßen: „Wie in einem Blitz offenbart sich seinem Bewusstsein eine klare Vorstellung, eine globale Vision von Sinn und Ziel des Universums. Er kommt nicht zu einer bloßen Überzeugung, sondern er sieht und weiß, dass der dem Ichbewusstsein als tote Materie erscheinende Kosmos in Wirklichkeit etwas ganz anderes ist – nämlich tatsächlich eine lebendige Gegenwart…. Er sieht, dass das dem Menschen innewohnende Leben ewig ist wie alles Leben, dass die Seele des Menschen so unsterblich ist wie Gott, sieht, dass das Universum so geschaffen und geordnet ist, dass ohne jeden Zweifel alles zum Besten aller zusammenwirkt und dass das Grundprinzip der Welt das ist, was wir Liebe nennen, und dass das Glück eines jeden einzelnen letztlich gewiss ist….“10 In der Tat: Der Dichter muss das ganze Welten-All in sein Inneres hineinnehmen, muss das Schicksal der ganzen Welt mittragen, mit allen Wesen mitfühlen, um den vielfältigen Stimmen des Seins im lyrischen Gedicht – oder im Epos, im Drama, im Roman – Ausdruck zu verleihen.
Die Veden – Urgestein
altindischer Dichtung
Wie aus dem wohlentflammten Feuer die Funken,
Ihm gleichen Wesens, tausendfach entspringen,
So geh’n, o Teurer, aus dem Unvergänglichen
Die mannigfachen Wesen hervor
Und wieder in dasselbe ein.
Mundaka-Upanishad 2,1
Dichterkraft und Sehertum, Sprachgewalt und mystische Schau – nirgendwo liegen sie so dicht beieinander wie in der altindischen Literatur, die in den ältesten Texten der Menschheit, den Vedas, den Puranas und Brahmanas, erstmals Ausdruck gewann, um wie ein Echo in den heiligen Schriften des klassischen Indien nachzuhallen. Die altindische Dichtung, eine reine Götterhymnendichtung noch, Ausdruck einer erhabenen Menschheits-Kindheit, ist dem Wurzelboden einer frühindogermanisch-arischen Spiritualität erwachsen, die wie eine Urgesteins-Schicht allem später Dazugekommenen zugrunde liegt. Ihrem Ursprung wie ihrer geistigen Grundhaltung nach beruht die altindische Dichtung weder auf der rein magischen Vorstellungswelt der Naturvölker noch auf den eher weltflüchtigen Tendenzen der späteren Hochreligionen, sondern auf jener geistig hochstehenden, natur- und kosmosverbundenen Spiritualität, die in der Frühzeit des indischen Ariertums Gestalt annahm. Heute indes können wir uns dieses geistige Urwissen wieder neu aneignen.
Aus dem geistigen Urgestein der frühindisch-arischen Spiritualität ragen wie vier monolithische Felsblöcke die vier Haupt-Veden hervor, die mit den zeitlich jüngeren Upanishads heute noch zu den kanonischen Texten des Hinduismus zählen. Das Wort Veda leitet sich her von vidya, das Wissen, das Gesehene. Darin finden wir die indogermanische Wurzel vid, die uns auch in dem lateinischen Verb videre für sehen begegnet. Die Veden, deren Umfang den der Bibel um das Sechsfache übersteigt, verstehen sich somit als geheiligtes Wissen. Nach orthodoxer Ansicht sind sie nicht menschliches, sondern göttliches Wissen, das anfanglos und unvergänglich ist, und das von den Priestern der Vorzeit in geheiligter Schau „gesehen“ wurde. Vedisches Wissen ist also Seherwissen.
Grundlegend für das vedische Weltbild ist, wie auch Hans Joachim Störig in seiner Weltgeschichte der Philosophie schreibt, dass „die unserem Denken heute so selbstverständliche Unterscheidung von Belebtem und Unbelebtem, von Personen und Sachen, von Geistigem und Stofflichen noch nicht vorgenommen wurde. Die frühesten Götter waren Kräfte und Elemente der Natur. Himmel, Erde, Feuer, Licht, Wind, Wasser werden, ganz ähnlich wie bei anderen Völkern, als Personen gedacht, die nach Art der Menschen leben, sprechen, handeln und Schicksale erleiden.“11
Der gesamte Veda enthält vier Sanhitas, Sammlungen von Liedern und Sprüchen für den Gebrauch der Priester bei feierlichen Opferhandlungen – den Rig-Veda, den Sama-Veda, den Yajur Veda und den Atharva Veda. Der Rig-Veda zunächst ist das Buch der Götterhymnen. Seine 1028 Hymnen richten sich an die verschiedenen Naturgötter des frühindisch-arischen Pantheons: an den Feuergott Agni etwa, an den Sonnengott Surya, an den Windgott Vata, und natürlich an Indra, den Beherrscher von Blitz und Donner. Der Sama-Veda enthält Lieder und ist daher von grundlegender Bedeutung für die indische Musik. Der Yajur-Veda ist eine Sammlung von Opfersprüchen. Der Atharva-Veda mit seinen 731 Hymnen gilt als eine Sammlung von Zaubersprüchen und magischen Anrufungen; aber es sind, wie im Rig-Veda, auch Lieder zum Lobpreis von Göttern darin zu finden.
Wir haben guten Grund, den Atharva Veda gerade seiner Magie wegen zu den ältesten Teilen der Veden-Sammlung zu rechnen; heiliges Mysterienwissen erklingt aus diesen in Birkenrinde eingeritzten Hymnenliedern, die mindestens schon um 1800 v. Chr., wenn nicht gar noch früher, entstanden sein müssen. Ist doch die Magie die Urform der Religion, der Magier stets der Vorläufer des Priesters gewesen. Tatsächlich mag das Alter des Atharva-Veda gut 4000 Jahre betragen; seine Texte stammen vermutlich noch aus der Zeit, da die ostindogermanischen Stämme der Aryas, wie sie sich selber nannten – „Arier“, das heißt die „Edlen“–, in das damals noch dichtbewaldete Industal und in den Pandschab vorstießen. Der Geist jener Zeit war geprägt von einer staunenden Ehrfurcht vor der Natur. Die voralpine Landschaft an den Ufern des Indus und die schneebedeckten Berge des Himalaya im Hintergrund – das war die Umgebung, in der jene ersten „Arier“, ein schlichtes anspruchsloses Bauernvolk, das Göttlich-Numinose in der Natur erleben konnten.
Die Zeit zwischen 1000 und 750 v. Chr., gekennzeichnet durch das weitere Vordringen der Arier in die Ganges-Ebene, gilt nicht als die altvedische oder Hymnen-Zeit, sondern als die Zeit der Opfermystik. Die Kaste der Brahmanen hatte sich allmählich herausgebildet. Und der Mensch hatte sich gegenüber der Natur und den Göttern ein neues Selbstbewusstsein angemaßt: der Opfernde ist nun nicht mehr der Bittende, der sich an höhere Weltwesen wendet, sondern er ist der machtvolle Magier, der durch zwingenden Opferspruch den Göttern alles dem Menschen Zuträgliche abnötigt. Fast sieht es so aus, als stünden nicht die Götter über den Menschen, sondern umgekehrt die Menschen über den Göttern. In der Zeit zwischen 750 und 500 v. Chr., als die СКАЧАТЬ