Название: Jenseits des Spessarts
Автор: Günter Huth
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783429064822
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Simon Kerner war in Gedanken so sehr mit der Krankheit seiner Tochter beschäftigt, dass ihm das doppelte Augenpaar, das ihn beim Verlassen des Hauses aus einem vor dem Gebäude parkenden Fahrzeug verfolgte, nicht auffiel. Beide Männer starrten auf ein Foto, das offenbar mit einem Teleobjektiv aufgenommen worden war. Es zeigte Simon Kerner, wie er gerade die Kinderkrebsstation verließ. Omar, der Ältere, deutete darauf.
„Karim, das ist dieser Kerner, der momentan bei Brunner, der Satan soll ihn holen, wohnt. Geh ihm hinterher. Er ist ohne Auto unterwegs, da wird er sich vermutlich nicht weit entfernen. Ruf mich rechtzeitig an, wenn er zurückkommt. Du wartest dann, bis er hineingeht, und hältst dich bereit. Die Wohnung liegt ja im Parterre. Wenn ich ihn vor der Knarre habe, mache ich dir die Verandatür auf, dann kommst du nach. Vergiss nicht die Maske überzuziehen!“
Karim wartete einen Moment, bis Kerner gute hundert Meter entfernt war, dann stieg er aus, rückte seine Basecap zurecht und folgte ihm. Der Mann hinter dem Steuer geduldete sich, bis beide um die nächste Straßenecke verschwunden waren, dann drückte er seine Zigarette im Aschenbecher aus und verließ ebenfalls das Fahrzeug. Er warf sich einen kleinen Rucksack über, dann versicherte er sich, dass die Seitenstraße unbelebt war. Sein Handy steckte in der Brusttasche seiner dunklen Lederjacke. Es war lautlos, nur auf Vibration gestellt. Nachdem er sich diskret Gummihandschuhe übergezogen hatte, entnahm er einer der vorderen Taschen des Rucksacks eine kleine technische Apparatur. Schnell näherte er sich der Haustür, die Kerner vor wenigen Minuten durchschritten hatte. Er führte mehrere Stifte des Geräts ins Schlüsselloch ein, dann drückte er einen Knopf. Es dauerte nicht länger, als wenn er mit einem Schlüssel geöffnet hätte. Mit wenigen Schritten war er an Brunners Wohnungstür. Auch diese Tür war binnen Sekunden geöffnet, zumal Kerner beim Weggehen nicht abgeschlossen hatte. Der Eindringling wusste, dass Eberhard Brunner zurzeit in seiner Dienststelle weilte, er also im Augenblick nicht mit einer Störung durch ihn rechnen musste. Langsam durchquerte er die Wohnung und sah sich um. Er hatte von Safar, seinem Clan-Boss und Cousin, den Auftrag, dem Leiter der Soko Spessart eine deutliche Botschaft zu hinterlassen. Sie lautete: „Lass die Finger von unserer Familie! Wir haben keinen Respekt vor dir und können jeden in deinem privaten Umfeld packen, wann immer wir wollen!“ Wer war besser als Überbringer dieser Botschaft geeignet als der Freund Brunners? Der Typ war offenbar wegen eines kranken Kindes in Würzburg. Er machte optisch nicht den Eindruck einer wehrhaften Person. Ein harmloser Paragrafenreiter, für Omar also ein Kinderspiel. Er beschloss, im Wohnzimmer auf Kerner zu warten. Von dort aus konnte er blitzschnell die Verandatür öffnen und Karim, seinen ältesten Sohn, einlassen. Er hatte ihn heute mitgenommen, weil er bei dieser einfachen Aufgabe etwas lernen konnte. Er setzte sich in einen Sessel und zog sich die Gesichtsmaske über. Mit einem Griff holte er den Revolver mit aufgeschraubtem Schalldämpfer aus dem Schulterholster und legte ihn sich in den Schoß. Er würde ihn sicher nicht benötigen, aber er würde bestimmt Eindruck hinterlassen. In diesem Augenblick vibrierte sein Telefon. Er warf einen Blick auf das Display.
„Er kommt!“, lautete die WhatsApp-Nachricht. Als Antwort schickte er einen Daumen hoch.
Fünf Minuten später betrat Simon Kerner wieder die Wohnung. Da er so großen Hunger verspürte, hatte er sich einen Döner-Teller mit frittierten Kartoffelchips genehmigt. Beim Weg durch den Flur in die Küche blieb er plötzlich stehen. Konnte es sein, dass es hier irgendwie schwach nach Rauch roch? Kerner schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war es das Essen in seiner Tragetasche, das sehr intensiv roch. Er holte den Styroporbehälter aus der Plastiktüte und stellte ihn auf den Küchentisch. Ein Teller war überflüssig, den musste man nur spülen. Das Bier aus dem Kühlschrank war schön kalt und würde zu der kräftigen Mahlzeit passen. Simon Kerner holte aus einer Schublade Besteck, dann setzte er sich mit dem Rücken zur Tür an den Küchentisch und schob die erste Gabel in den Mund. Plötzlich hielt er inne. Seine über Jahre in der wilden Natur Afrikas geschärften Instinkte sagten ihm, dass hier etwas nicht stimmte! Aber statt herumzufahren und aufzuspringen, blieb er ganz ruhig sitzen und kaute weiter. Aus den Augenwinkeln heraus nahm er einen dunklen Schatten in der Türöffnung zum Wohnzimmer wahr.
„Ganz langsam aufstehen und die Hände hoch“, befahl eine sonore Männerstimme. „Wird’s bald!“
Kerner stand im Zeitlupentempo auf. Ohne groß nachzudenken, ließ er mit einer Hand das Küchenmesser im Ärmel seines Hemdes verschwinden, wo er es hinter dem Armband seiner Uhr festklemmte. Simon Kerner schoss Adrenalin ein und übergangslos kam er in den Kampfmodus. Vorsichtig blickte er hinter sich.
„Jetzt mach dir nicht gleich in die Hosen!“, erklärte der Maskierte, der Kerners langsame Bewegungen als Ausdruck seiner Furcht betrachtete. „Los, komm rüber ins Wohnzimmer!“
Ohne Kommentar folgte Kerner dem Mann, der rückwärts vor ihm herging, dabei musterte er seinen Revolver. Ein größeres Kaliber mit Schalldämpfer, wie er sehen konnte. Wie es aussah, war der Kerl ein Profi. Er gab sich keine Blöße, die Kerner hätte nutzen können.
„Stehen bleiben!“, verlangte er, dann ging er weiter rückwärts zur Verandatür und öffnete sie. Dabei ließ er Kerner keine Sekunde aus den Augen. Einen Augenblick später kam ein zweiter Mann herein, ebenfalls maskiert, gleichfalls mit einem schallgedämpften Revolver bewaffnet. Seinem Verhalten entnahm Kerner, dass er nicht so routiniert war wie sein Partner. Er zögerte verschiedentlich und sah seinen Kumpan fragend an, weil er offenbar nicht genau wusste, wie er sich verhalten sollte. Er bekam von seinem Anführer ein paar Anweisungen in arabischer Sprache, wie Kerner erkannte.
„Umdrehen, Hände auf den Rücken“, befahl er wieder auf Deutsch.
Offenbar sollte sein Kumpel ihm die Hände auf den Rücken fesseln, denn er zog einen Kabelbinder aus der Oberschenkeltasche seiner Hose. Um dieses Vorhaben zu realisieren, benötigte er allerdings beide Hände, was bedeutete, dass er seinen Revolver ablegen musste. Das war Kerners Chance, denn mit gefesselten Händen würde ein Gegenschlag schwierig werden.
Der Maskierte näherte sich Kerner von hinten. Es sprach für seine Unerfahrenheit, dass er dabei seinem Kollegen direkt in die Schussbahn trat. Der bemerkte dies auch sofort und schrie ihn auf Arabisch an. Dadurch war der Angerufene irritiert, zögerte und ließ seine Waffe etwas sinken. Die Chance für Simon Kerner. Er explodierte regelrecht! Herumwirbeln und die Waffenhand seines Gegners fassen war eine flüssige Bewegung. Kerner entriss ihm den Revolver. Dabei achtete er darauf, dass der Mann zwischen ihm und dem anderen Angreifer stand. Der war total geschockt und riss seinen Revolver in die Höhe. Die beiden Schüsse fielen fast gleichzeitig, so dass sie sich zu einem gemeinsamen Plopp vereinigten. Der Gegner, den Kerner als Schild benutzt hatte, zuckte zusammen und knickte mit einem heiseren Schrei nach vorne ein. Kerner war jetzt schutzlos. Sein Schuss hatte den anderen Mann nicht erkennbar getroffen. Er hatte keine Zeit zum Zielen gehabt. Sein Gegner registrierte, dass er statt Kerner seinen Kumpel getroffen hatte, und zögerte einen Moment.
„Waffe weg!“, brüllte Kerner.
Mit einem wütenden Schrei riss der Maskierte den Revolver wieder in die Höhe, um erneut zu schießen. Kerner blieb Zeit, die Waffe mit beiden Händen zu fassen. Er beugte sich leicht nach vorne und schoss. Sein Angreifer kam nicht mehr dazu, abzudrücken. Das Projektil aus Kerners Waffe traf ihn mitten in die Stirn. Tödlich getroffen brach er zusammen.
Ganz langsam richtete sich Kerner wieder СКАЧАТЬ