Название: World Runner (1). Die Jäger
Автор: Thomas Thiemeyer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Детские приключения
isbn: 9783401808840
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»Sonst noch was?«, fragte sie. »Willst du mich etwa verhauen?« Sie sah ihn herausfordernd an. »Ich bin hier diejenige, die Aikido macht. Dich habe ich in zehn Sekunden auf der Matte.«
Tim versuchte, sie mit seinen Blicken zu vernichten, spürte aber, dass er keine Chance hatte. Emily war viel sturer als er. Was das betraf, kam sie ganz nach ihrer Mom. Davon abgesehen, traute er ihr durchaus zu, dass sie ihn notfalls wirklich verpetzte.
»Was du hier machst, nennt man Erpressung«, murmelte er mit hängenden Schultern.
»Weiß ich doch.« Sie fing an abzuräumen. Das tat sie sonst nie. »Ich kann schweigen wie ein Grab«, verkündete sie mit tiefernster Miene. »Von mir erfährt niemand was. Hauptsache, du lässt mich mitmachen. Stimmt es, dass ihr alle falsche Namen habt und man damit Geld verdienen kann?«
»Falsche Namen, ja«, sagte er. »Geld verdienen, eher nicht. Aber es macht Spaß, deshalb tue ich es.« Er biss sich auf die Unterlippe. Sollte er ihr erzählen, dass er damit angefangen hatte, weil Mom selbst eine begeisterte Geocacherin gewesen war – eine Vorform der GlobalGames? Er tat es, um sich an sie zu erinnern und sich ihr nah zu fühlen.
Nach und nach begann er zu erzählen und ertappte sich dabei, dass er nicht mal mehr versuchte, nicht zu viel preiszugeben.
Irgendwie tat es gut, sich mal jemand anderem als Farid anzuvertrauen. Trotz der Zugehörigkeit zu einer Community waren Runner einsame Kämpfer. Das lag in der Natur der Sache. Eine Verbündete im eigenen Haus wäre durchaus von Vorteil, überlegte er. Emily könnte ihm den Rücken freihalten, wenn Dad peinliche Fragen stellte. Sie könnte seine Geschichten bestätigen, ihm notfalls vielleicht sogar ein Alibi verschaffen. Vorausgesetzt, sie hielt dicht.
»Unter einer Bedingung«, sagte er. »Du erzählst niemandem etwas und du stellst keine dummen Fragen. Ich entscheide, was und wie viel ich dir sage. Und ich entscheide, wann. Sollte ich merken, dass du mir hinterherspionierst oder anderen davon erzählst, ist unser Deal geplatzt.«
»Verstanden.«
»Und kein Sterbenswörtchen zu Dad. Seit Moms Tod hat er so viel um die Ohren, da kann er nicht noch zusätzlichen Stress brauchen.«
Emily nickte ernst. »Okay.«
»Und wir teilen uns die Arbeit im Haushalt.«
Sie schnaubte empört. »Übertreib’s nicht!«
4
Im achttausend Kilometer entfernten Seattle ließen Hunderte von Bürolampen die oberste Etage der Space Needle erstrahlen. Wie eine fliegende Untertasse schwebte der Turmkopf über der Stadt und verlieh dem Bauwerk sein unverwechselbares Aussehen.
Mortimer Hansen, Chief Executive Officer der Firma Global-Games-Incorporated und inoffizieller Betreiber der Internetplattform WorldRunner, fegte einen Krümel von seinem Jackett, während er mit dem Aufzug nach oben sauste.
Die Space Needle war eines der Wahrzeichen Seattles. Lange Zeit im Besitz der Stadt, war sie vor einigen Jahren von einer privaten Unternehmerin gekauft worden, die sich jetzt auch Hansens Firma einverleibt hatte. Mortimer Hansen hatte im Laufe seines Berufslebens jede Menge Spiele produziert. Einige davon waren recht erfolgreich, jedoch keines so sehr wie dieses Handygame, das er und sein damaliger Partner sich während ihrer Zeit an der Universität ausgedacht hatten. GlobalGames. Eine Goldgrube und der Startschuss für seine Karriere.
Der Fahrstuhl hielt an. Mortimer warf einen letzten Blick in den Spiegel, dann glitten die Türen auseinander.
In der Vorstandsetage herrschte reger Andrang. Menschen verschiedenster Nationalität liefen herum oder gruppierten sich um schlanke Stehtische. Manche hielten Sektgläser in der Hand, andere aßen Häppchen. Mortimer hatte keinen Appetit, ihm war flau im Magen. Er meldete sich am Empfangstisch. Sein Name wurde vermerkt und er bekam ein Namensschild. Die meisten der Schildchen waren bereits vergeben, vermutlich kam er als einer der Letzten.
Links von ihm stand eine Gruppe gut gekleideter Herren beieinander. Es wurde gelacht, Gläser klirrten, dann tauchte eine blonde Frau auf. Shenmi Stevenson. Lächelnd, gut aussehend, alle überstrahlend, mit unzweifelhaft asiatischen Gesichtszügen. Sie trug ein fußlanges goldenes Kleid, das wie eine zweite Haut um ihren Körper floss. Es schien aus unzähligen Goldpailletten zu bestehen. Dass sie sich in diesem Kleid überhaupt bewegen konnte, erstaunte Mortimer. Er fühlte sich bei ihrem Anblick an eine Meerjungfrau erinnert. In ihren Armen trug sie einen kleinen weißen Hund. Das Tier hatte spitze Ohren und stechende Augen. Mortimer war es sofort unsympathisch.
Als seine neue Chefin ihn sah, steuerte sie auf ihn zu. Die Männer folgten ihr wie ein Schwarm Clownsfische.
»Morti«, rief sie. »Wie schön, dich zu sehen. Ich hatte schon Sorge, du würdest dich verspäten.« Küsschen links, Küsschen rechts. Ihr Parfüm vernebelte seinen Verstand. Er senkte verlegen den Kopf und deutete eine Verbeugung an. »Ich danke Ihnen, Ms Stevenson.«
Angesichts ihrer überwältigenden Persönlichkeit fühlte er sich befangen. Mutter Chinesin, Vater Amerikaner. Ein geistiges Produkt der besten Schulen beider Länder, mit zwei enorm reichen Familien im Hintergrund. Shenmi Stevenson war eine der erfolgreichsten Unternehmerinnen der Welt. Eine Frau, die schon in ihrer Jugend erreicht hatte, wovon andere ihr ganzes Leben träumten. Als Gründerin einer Internetsuchmaschine mit integrierter Social-Media-Plattform war sie bereits vor ihrem dreißigsten Lebensjahr Milliardärin gewesen. Mit ihrem Spürsinn für gute Investitionen hatte sie einen Hersteller von Elektroautos, eine Firma für Weltraumraketen sowie etliche Fernsehsender übernommen. Ihr Ziel war die Besiedelung des Mondes, später des Mars, und das binnen der nächsten fünfzehn Jahre. Wenn man in ihrer Nähe stand, spürte man, dass nichts diese Frau aufhalten konnte.
»Mein Flieger hatte Verspätung«, entschuldigte sich Mortimer. »Ist normalerweise nicht meine Art, zu spät zu kommen.«
»Hauptsache, du bist bereit, unser Baby an den Start zu bringen«, sagte Shenmi lachend und kraulte den Hund zwischen den Ohren. »Du wirst begeistert sein, was wir daraus gemacht haben. Es wird dich überwältigen.«
Der Schwarm von Männern folgte jeder Bewegung mit hingebungsvoller Bewunderung. Wie Motten, die das Licht umschwirren, dachte Mortimer. Ob sich der eine oder andere vielleicht Chancen bei ihr ausrechnete? Schließlich war Shenmi noch unverheiratet.
»Um nichts in der Welt hätte ich das verpassen wollen«, sagte er. »Wobei es ja nicht mehr mein Baby ist. Es gehört jetzt Ihnen.«
Sie zwinkerte ihm mit ihren silbergrauen Augen zu, dann erhob sie ihre Stimme. »Herrschaften, bitte alle mal herhören. Wenn Sie sich jetzt auf Ihre Plätze begeben würden? Die Vorstellung beginnt in wenigen Minuten. Komm mit, Morti. Ich möchte, dass du vorne sitzt. Heute werden wir beide Geschichte schreiben.«
Geschichte, das klang fast zu schön, um wahr zu sein. Die Frau hatte wahrlich Großes mit seiner Firma vor.
Er beeilte sich, zu seinem Stuhl zu kommen. Shenmi trat nach vorne auf die Bühne. Ein goldenes Hundekörbchen stand dort, in das sie ihren Liebling setzte.
»Haben Sie alle einen Platz gefunden? Prima, dann kann es gleich losgehen. Andrew, verdunkelst du bitte den Saal?«
Die Beleuchtung wurde auf ein sanftes Maß gedimmt und es kehrte Ruhe ein. Je dunkler es unter der Kuppel wurde, umso intensiver leuchteten die Lichter Seattles. Mortimer kam sich vor wie auf einem Schiff, das bei sternklarer Nacht durch ein Meer aus leuchtendem Plankton fuhr.
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