Ende offen. Peter Strauß
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Название: Ende offen

Автор: Peter Strauß

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная публицистика

Серия:

isbn: 9783347020290

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СКАЧАТЬ ist gegen Artgenossen gerichtet. Wenn ein Löwe eine Gazelle jagt, stellt dies keine Aggression des Jägers gegen seine Beute dar – auch wenn dies in nahezu allen Spielfilmen anders dargestellt wird. Der Jagdinstinkt ist ein gänzlich anderes Gefühl als die Aggression, es ist eine freudige Erwartung und wird lustvoll erlebt.189 Spielen und Sport sind das Üben von Jagd, und beides geht mit denselben positiven Gefühlen einher. Wenn wir als Kinder fangen spielten und einem anderen Kind hinterherliefen, hatten wir dasselbe Gefühl, das Raubtiere beim Jagen empfinden. Interessanterweise bedeutet das englische Wort game im Deutschen gleichermaßen „Wild“ und „Spiel“.

      Jagd und innerartliche Kämpfe sind beide mit Gewaltbereitschaft verbunden. Die Jagd ist mit Lustgefühlen verknüpft, aber am Ende steht die Tötung und Zerlegung der Jagdbeute, was mit Gewalt verbunden ist. Dass Jagen der Nahrungsbeschaffung vieler Tiere und auch der Menschen dient, hat dazu beigetragen, dass solche Gewalt in unserem Denken und Empfinden etabliert ist. Dieselbe Gewalt wie bei der Jagd wendet man – kombiniert mit Aggressivität – im Kampf gegen Rivalen bei der Paarung oder im Revierkampf an. Ich denke, diese Parallele hat auch zu der irrigen Ansicht geführt, dass Jagd mit Aggressivität verbunden sei.

      Wenn wir Sport treiben, ist das eine Ersatzhandlung für Revierkampf und Jagdtrieb, da die wenigsten von uns noch wirklich zur Jagd gehen und sich mit den Nachbarn um ihr Revier prügeln. Uns geht es ebenso wie der erwähnten Hauskatze, die ihren Jagdtrieb im Spiel befriedigt, selbst wenn sie sattgefressen ist. Diese Triebe wollen unabhängig von ihrem Zweck ausgelebt werden. Dies dient dem Üben von Bewegungsabläufen. Daher tun das alle Tierkinder und auch die Menschenkinder gerne, und es ist keineswegs Zeitverschwendung.

       Sackgassen der Evolution und menschliche Aggressivität

      Wenn der Anreiz zur natürlichen Auslese nicht von außen kommt, kann die Evolution in Sackgassen geraten. Ein Anreiz von außen wäre beispielsweise, dass bessere Sinnesorgane nützlich bei der Nahrungssuche und dem Erkennen von sich anschleichenden Raubtieren sind. Wer schärfere Sinne hat, hat einen Vorteil bezüglich der Arterhaltung. Einen Anreiz zur Auslese von innen, eine „innerartliche Zuchtwahl“, wie Lorenz es nannte, gibt es beispielsweise bei Paradiesvögeln und Argusfasanen.190 Das Merkmal, dessen Ausprägung sie bei der Fortpflanzung begünstigt, erfüllt keinen äußeren Nutzen. Aus irgendeinem Grund oder aus Zufall hat es sich ergeben, dass Weibchen buntere Männchen mit größeren Flügeln bevorzugen. Vielleicht bedeuteten zu Beginn die größeren, bunten Flügel auch eine Verbesserung der Überlebensfähigkeit. Das buntere Männchen gewinnt das Weibchen beim Balzen. Dieses Merkmal hat sich im Wettstreit um die Weibchen durch Zuchtwahl nun immer stärker ausgeprägt. So wurden die Männchen immer farbenprächtiger und entwickelten immer größere Flügel, bis sie kaum noch flugfähig waren. Werden ihnen die aufwändigen Federn zum Verhängnis, weil sie häufiger gefressen werden als ihre unauffälligeren Artgenossen, so ist das zunächst unbedeutend, sofern ihnen vor dem Gefressenwerden die Vermehrung gelingt und ihre Eigenart weitergetragen und verstärkt wird. Es ist möglich, dass die Art durch dieses Wirkprinzip ausstirbt oder dass sie nur deshalb weiter existiert, weil die Beeinträchtigung gerade noch tragbar ist. Da jedoch die Männchen nicht miteinander kämpfen, sondern die Weibchen die Partnerwahl treffen, kann sich diese Eigenart kaum mehr vollständig zurückbilden.

      Bei uns Menschen trat vor der neolithischen Revolution ein dramatischer Bevölkerungsrückgang auf. Über Jahrhunderttausende lebten nur einige Zehntausend Menschen.191 Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass uns damals unser evolutionsbedingtes Aggressivitätsniveau in Kombination mit der Erfindung von Waffen beinahe die Existenz gekostet hätten.192 Denn mit dem menschlichen Aggressionstrieb verhält es sich wie mit den Merkmalen des Argusfasans: „Vor allem aber ist es mehr als wahrscheinlich, daß das verderbliche Maß an Aggressionstrieb, das uns Menschen heute noch als böses Erbe in den Knochen sitzt, durch einen Vorgang der intraspezifischen Selektion verursacht wurde, der durch mehrere Jahrzehntausende, nämlich durch die ganze Frühsteinzeit, auf unsere Ahnen eingewirkt hat. […] Der nunmehr Auslese treibende Faktor war der Krieg, den die feindlichen benachbarten Menschenhorden gegeneinander führten. Er muß eine extreme Herauszüchtung aller sogenannten kriegerischen Tugenden bewirkt haben, die leider noch heute vielen Menschen als erstrebenswerte Ideale erscheinen“.193

      Charles Darwin zitiert die Beobachtung des Südseeforschers John Byron unter Eingeborenen der Inselgruppe Feuerland. Weil ein kleiner Junge einen Korb mit Möweneiern fallengelassen hatte, wurde er von seinem Vater gegen einen Felsen geschlagen und getötet. Bei einer solch geringen Aggressionshemmung ist ein Bevölkerungswachstum kaum möglich.194

      Was Konrad Lorenz nicht erwähnt hat: Die mit Aggressivität einhergehende Rastlosigkeit sorgt dafür, dass die Aggressiven häufiger sterben – früher durch Stammeskriege, bei denen sie sicher weiter vorne standen als die Ängstlichen, heute durch Auto- und Motorradunfälle, Schießereien, Kriege, Raubbau am eigenen Körper und anderes. Dies regelt das Aggressivitätsniveau der Gesellschaft auf natürliche Art. Völker, die übertrieben starke Aggressionsneigungen haben, werden sich durch Kriege dezimieren. Allerdings funktioniert diese Selbstregulierung nur, wenn Ebenbürtige aufeinandertreffen. Unter Ungleichen setzt sich nicht nur der höher Entwickelte gegen den geringer Entwickelten und der Stärkere gegen den Schwächeren, sondern auch der Aggressivere gegen den Friedlicheren durch. So erging es vielen friedliebenden Urvölkern.

      Ich denke, die innerartliche Auslese wirkt nicht ganz so dramatisch, wie Lorenz befürchtete, denn Paradiesvogel und Argusfasan gibt es nach wie vor. Was er herausgearbeitet hat, ist, dass dieser Mechanismus dem Ziel der Arterhaltung teilweise entgegengerichtet ist, obwohl er denselben evolutionären Mechanismen gehorcht. Die natürliche Auslese greift in solchen Fällen möglicherweise zu spät, wenn die Arterhaltung bereits akut gefährdet ist. Die innerartliche Auslese ist ein Nachteil in der Arterhaltung, den bewusst denkende und handelnde Menschen zu vermeiden suchen sollten.

       Waffen

      Die Erfindung von Waffen ist artgefährdend, da der Mensch kein besonders gefährliches Raubtier ist: „In Wirklichkeit ist es tief beklagenswert, dass der Mensch eben gerade keine ‚Raubtiernatur’ hat. Ein Großteil der Gefahren, die ihn bedrohen, kommen daher, dass er von Natur aus ein relativ harmloser Allesfresser ist, dem natürliche, am Körper gewachsene Waffen fehlen, mit denen er große Tiere töten könnte, denn eben deshalb fehlen ihm ja auch jene stammesgeschichtlich entstandenen Sicherheitsmechanismen, die alle ‚berufsmäßigen’ Raubtiere daran hindern, ihre Fähigkeiten zum Töten großer Tiere gegen Artgenossen zu missbrauchen.“195 Aufgrund unserer Intelligenz konnten wir unsere Waffen schneller weiterentwickeln, als die Mechanismen zur Aggressionshemmung mitwachsen konnten. Die Anpassungsfähigkeit unserer Instinkte ist an der schnellen Entwicklung gescheitert.196 Offenbar können wir unsere Aggressivität im Affekt nicht besonders gut kontrollieren. Einen Beleg dafür, dass mit der Verfügbarkeit von Waffen nicht automatisch ein verantwortungsvoller Umgang mit ihnen einhergeht, liefert ein Vergleich: In den USA sterben jährlich circa dreißigtausend Menschen durch Schusswaffengebrauch, in Deutschland ungefähr siebzig.

      Die Erfindung von Waffen hat also in vielerlei Hinsicht unser Zerstörungspotential erhöht: erstens direkt durch die höhere Schlagkraft und zweitens durch die Herauszüchtung der Aggressivität. Der dritte Grund: Das Besitzen von Macht begünstigt die Ausübung von Gewalt und erhöht damit die möglichen Folgen von Aggression. Macht im heutigen Ausmaß gab es in der Steinzeit nicht. Dass wir bisher nicht durch die Folgen unserer eigenen Erfindungen ausgestorben sind, beruht auf unserer Fähigkeit zur Reflexion und zur Korrektur als falsch erkannter Handlungsweisen.197

       Aggressivität lässt sich nicht einfach unterdrücken

      Konrad Lorenz ging davon aus, dass die aggressivsten Menschen sich durch natürliche Auslese bei der Vermehrung durchsetzten. Wenn das stimmt, hat die menschliche Aggressivität kontinuierlich zugenommen. Und er СКАЧАТЬ