Ende offen. Peter Strauß
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Название: Ende offen

Автор: Peter Strauß

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная публицистика

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isbn: 9783347020290

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СКАЧАТЬ uns der sogenannten politischen Klugheit der für die Staatsführung Verantwortlichen zu unterwerfen, und wir sind an alle hier in Rede stehenden Phänomene so gewöhnt, dass die meisten von uns sich daraus nicht klar darüber werden, wie ungemein dumm und menschheitsschädlich das historische Verhalten der Völker ist.“198 Man darf nicht Ursache und Wirkung durcheinander bringen. Die Menschheit ist „nicht kampfbereit und aggressiv, weil sie in Parteien zerfällt, die sich feindlich gegenüberstehen, sondern sie ist eben in dieser Weise strukturiert, weil dies die Reizsituation darstellt, die für das Abreagieren sozialer Aggression erforderlich ist.“199

      Man kann der Aggressivität auch nicht mit äußerlichen Maßnahmen Herr werden: „Zwei naheliegende Versuche, die Aggression zu steuern, sind nach allem, was wir über Instinkte im allgemeinen und die Aggression im besonderen wissen, völlig hoffnungslos. Man kann sie erstens ganz sicher nicht dadurch ausschalten, dass man auslösende Reizsituationen vom Menschen fernhält, und man kann sie zweitens nicht dadurch meistern, dass man ein moralisch motiviertes Verbot über sie verhängt. Beides wäre ebenso gute Strategie, als wollte man dem Ansteigen des Dampfdruckes in einem dauernd geheizten Kessel dadurch begegnen, daß man am Sicherheitsventil die Verschlußfeder fester schraubt.“200

      Wir müssen uns also mit einer gewissen Grundaggressivität abfinden und uns damit so einrichten, dass sie unser Leben nicht beeinträchtigt. Ich denke, dass die beschriebene Herauszüchtung nur eine von mehreren Ursachen unserer Aggressivität ist. Dennoch sollten wir die beschriebenen Zusammenhänge bei der Gestaltung unserer Gesellschaft berücksichtigen, wenn wir eine bessere Welt anstreben.

       Konsequenzen für die Zukunft

      Nach den obigen Ausführungen ist es also nicht so, dass Liebe gut und richtig und Aggressivität böse und falsch sei. In Religionen, Märchen und auch in vielen älteren und modernen Geschichten und Filmen kämpfen die Protagonisten gegen „das Böse“. Das kann jedoch in der Realität nicht funktionieren: Es gibt die Aggressivität, die für das Überleben der Art notwendig ist, und es gibt die Liebe, die für das Überleben genauso notwendig ist. Wer also nach der Abschaffung des „Bösen“ strebt, will etwas ausrotten, das es so gar nicht gibt und dessen wahre Natur einen Zweck hat.

      Womöglich werden Sie mir jetzt entgegenhalten, was es denn anderes als das Böse sei, wenn Menschen „aus heiterem Himmel“ zu Terroristen werden, andere vergewaltigen oder wenn ein Junge in einer Schule seine Mitschüler erschießt. Ein solches Verhalten hat nichts mit dem beschriebenen Revierverhalten und den Ersatzhandlungen zu tun. Es ist Wut, die sich lange angestaut hat und sich in einer Überreaktion Bahn bricht. Keine menschliche Handlung kommt aus heiterem Himmel, wie uns die Medien gerne erklären wollen. In diesen Fällen ist häufig durch den Täter selbst erlebte Gewalt oder Entwurzelung die Ursache, die auf dem Nährboden unseres hohen Aggressionsniveaus gedeiht. Viel scheinbar unmotivierte Aggressivität geht auf Verletzungen der Integrität in der frühen Kindheit zurück. Ergibt sich eine Situation der Überlegenheit gegenüber anderen, so schafft dies die Möglichkeit zum Abreagieren der Aggression.

      Aufgrund unserer geringen körpereigenen Bewaffnung konnten wir viel Aggressivität entwickeln, durch innerartliche Auslese verstärkte sich diese noch, und die Waffen, die wir entwickelten, verstärkten unser Zerstörungspotential. Damit müssen wir heute leben und zurechtkommen. Eine Art, die das Überleben aus Sicht der Evolution verdient hat, muss dazu in der Lage sein, ihre Hitlers und Stalins ebenso wie gewaltsame „Kindererziehung“ (Schwarze Pädagogik), die die Aggressivität in der Gesellschaft erhöht, abzuschaffen. Zu viel Aggressivität wird von der Evolution nicht geduldet und kann zum Aussterben führen. Das Aggressionsniveau lässt sich nicht durch Willenskraft, sondern nur durch Ersatzhandlungen wie Sport und Spiel absenken. Was wir jedoch tun können, ist, unsere Gesellschaft so umzugestalten, dass unser Überleben nicht mehr durch Aggressivität gefährdet wird.

      Im steinzeitlichen Gruppenleben gab es die Freundschaft und Liebe zur Familie und Gruppe sowie die Liebe zum Partner, die ein Gegengewicht zur Aggressivität darstellen. In unserer Gesellschaft und zwischen Nationen, Staaten und Völkern fehlt bisher eine Entsprechung – auch wenn vor hundert Jahren die Liebe zum eigenen Volk oder die Bruderschaft von Nationen in politischen Reden oft beschworen wurden – vielleicht gerade weil sie fehlte. Wenn wir ein solches Empfinden entwickeln können, wird das der Aggressivität zwischen Nationen vorbeugen. So gesehen kann man sich einen intensiven Austausch zwischen allen Nationen nur wünschen.

       2.6 Minderheiten und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

      Mit einer gewissen Regelmäßigkeit blüht der Rechtsradikalismus in Deutschland auf. In den Neunzigern waren es die Republikaner, dann kam die Schill-Partei, und derzeit hat die Alternative für Deutschland (AfD) viel Zulauf und die größten Erfolgschancen einer rechten Partei seit dem Zweiten Weltkrieg. Und jedes Mal scheint keiner zu wissen, woher das kommt. Die Äußerungen von Politikern und Medien offenbaren meist Unkenntnis der Hintergründe und klingen hilflos.

      Beispiel Landtagswahlen 2016: In jedem Bundesland hat die AfD dazugewonnen, und viele fragen sich, wie sie dem Rechtsruck und der Flüchtlingsfeindlichkeit begegnen können. Als Maßnahme wird vorgeschlagen, die CDU müsse die Angst vor Überfremdung ernstnehmen und entsprechend handeln. Bei der Bundestagswahl 2017 bestätigt sich der Trend nach rechts, woraufhin CDU und CSU darüber nachdenken, selbst mehr rechte Inhalte anzubieten. Bisher kommen Gegenkonzepte kaum darüber hinaus, uns zum Kampf gegen Rechts und zu Gegendemonstrationen aufzurufen. Die Ursachen des Rechtsradikalismus bleiben unklar.

      Gegendemonstrationen, das Willkommenheißen der Flüchtlinge sowie Hilfeleistungen bewirken lediglich, dass die Bildung der öffentlichen Meinung nicht komplett den Rechten überlassen wird. Rechtsradikale werden ihre Ansichten indes nicht ändern, sondern sich durch den „Gegenwind“ eher noch bestätigt fühlen.201

       Die Heitmeyer-Studie

      In den Jahren 2002 bis 2012 wurde unter der Leitung des Bielefelder Soziologen Professor Wilhelm Heitmeyer eine groß angelegte Langzeitstudie202 zu einem Phänomen durchgeführt, das er als „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ bezeichnet. Hieran waren zahlreiche Wissenschaftler beteiligt. Über einen Zeitraum von zehn Jahren wurden dieselben Personen in regelmäßigen Abständen befragt.203 Man wollte herausfinden, wie sich Fremdenfeindlichkeit, Hass auf Schwule und Lesben, Diskriminierung von Juden, Ausgrenzung oder Herabwürdigung von Frauen, Behinderten, Obdachlosen usw. verändern und mit welchen äußeren Faktoren dies korreliert.

      In der Studie wurde nachgewiesen, dass abnehmende Zukunftschancen zu einer Zunahme gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit204, stärkerer Abgrenzung und einer Zunahme konservativer Einstellungen führen. Relevant sind dabei nicht die messbaren Verhältnisse, sondern die empfundene Chancenlosigkeit, Machtlosigkeit und Existenzgefährdung.205 Besonders stark trägt zu diesem Empfinden ein Rückgang der Lebenschancen der Jugend bei. Zurückgehende Zukunftschancen führen zur Abgrenzung durch das Aburteilen anderer.206 Dies stellt genau die Kernaussage der meisten rechtsradikalen Gruppierungen dar: „Ausländer, Linke, Flüchtlinge und andere Schmarotzer sind daran schuld, dass es uns schlechter geht. Wir müssen uns dagegen wehren.“ In der letzten Zeit richtet sich diese Menschenfeindlichkeit vorwiegend gegen Flüchtlinge.207

      Viele Soziologen verstehen die Abgrenzung gegen andere als eine Maßnahme zur Stärkung der eigenen Gruppe.208 Die Aggressivität nach außen soll den Zusammenhalt nach innen festigen. Für die Arterhaltung ist es von Vorteil, wenn die stärkste Gruppe mehr Raum einnimmt. Doch die Prinzipien des biologischen Überlebenskampfes gelten nicht mehr für unsere heutige Zeit. Wo würde er langfristig hinführen? Wollen wir, dass die stärkste Nation, Firma, Ethnie irgendwann die Weltherrschaft übernimmt, den Rest unterwirft und die gesamte Bevölkerung stellt? Oder wollen wir als Menschheit in Vielfalt weiterleben?

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