Ende offen. Peter Strauß
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Название: Ende offen

Автор: Peter Strauß

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная публицистика

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isbn: 9783347020290

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СКАЧАТЬ esssüchtig, bulimisch oder magersüchtig werden. Sie fördert unser Leistungsbewusstsein, unsere Gier sowie unseren Drang nach Geltung und Bestätigung.145 Erich Fromm schreibt über den Zusammenhang zwischen innerer Leere und Gier: "Selbstsucht ist nicht dasselbe wie Selbstliebe, sondern deren genaues Gegenteil. Selbstsucht ist eine Art Gier. Wie jede Gier ist sie unersättlich und daher nie wirklich zu befriedigen. Die Gier ist ein Fass ohne Boden. Der Gierige erschöpft sich in der nie endenden Anstrengung, seine Bedürfnisse zu befriedigen, ohne daß ihm dies je gelingt. Genaue Beobachtung zeigt, daß der Selbstsüchtige zwar stets eifrig darauf bedacht ist, auf seine Kosten zu kommen, daß er aber nie befriedigt ist und niemals Ruhe findet, weil ihm stets die Angst im Nacken sitzt, er könnte nicht genug bekommen, es könnte ihm etwas entgehen und er könnte etwas entbehren müssen."146

      Bekommt ein Kleinkind nicht Muttermilch, Liebe, Geborgenheit und Körperkontakt – was lernt es daraus? Dass es sehr darauf achten muss, dass es alles bekommt, was es braucht. Natürlich lernt es das nicht in Worten, aber es wird Defizite bei seinen Bedürfnissen sehr viel stärker spüren, als es sein sollte, und es wird entsprechend empfindlich darauf reagieren. Und wenn es älter wird, ist dies die ideale Grundlage für ein Leben in ständigem Streben und Sucht nach Konsum. (Eine weitere Ursache unseres Konsums, den Sammeltrieb, habe ich ab Seite 46 erörtert.) Die meisten von uns haben Kinder wohlhabender Menschen erlebt, die in dieser Hinsicht besonders auffällig waren, die scheinbar alles hatten, was man sich wünschen konnte, und trotzdem nie zufrieden waren.

       Wir streben und streben…

      In unserer Phantasie wären wir gerne schnell wie das Licht, stark wie Hulk, schlau wie Einstein, erfolgreich wie Steve Jobs oder cool wie James Dean und ein Frauenschwarm wie George Clooney. Doch was wir eigentlich wollen, ohne es zu merken, ist, uns endlich richtig zu fühlen. Zum Teil ist dieses Streben ganz natürlich, und gerade das macht es so schwer, den unnatürlichen Teil unseres Strebens als solchen zu erkennen. Wenn in unserer Kindheit alles richtig lief, sollte man sich in seinen ersten Lebensjahren vollkommen geborgen und versorgt und als Mittelpunkt fühlen können, bis man genügend innere Stärke entwickelt hat, um in die Welt hinauszuziehen. Hat man dies nicht erlebt, so sucht man höchstwahrscheinlich in seinem späteren Leben instinktiv danach. Es ist dieses Gefühl, das viele im Star-Dasein suchen, und es ist der unnatürliche, weil zivilisations- bzw. „erziehungs“-bedingte Teil unseres ständigen Strebens.

      Ebenso gut wie bei der Erfüllung solcher Wünsche fühlen wir uns, wenn es uns gelingt, das Fahrrad eines Freundes reparieren, oder wenn wir aus Erfahrung schon vorher wissen, welches Fettnäpfchen wir in einer bestimmten Situation besser meiden sollten, oder wenn bei der Arbeit, beim Kochen oder Musikmachen einfach jeder Handgriff sitzt und wir mit traumwandlerischer Sicherheit das Richtige tun – und uns richtig fühlen. Oft aber suchen wir dieses Gefühl in einem Streben nach mehr von irgendetwas.

      Wie oft kommt es vor, dass wir etwas tun, nicht nur weil uns sonst langweilig wäre, sondern weil wir uns auch eine Verbesserung unseres Lebens davon erhoffen – und das obwohl wir genügend zu essen, ein Dach über dem Kopf, Kleidung und Gesundheit haben und uns äußerlich nichts fehlt. Aber innerlich spüren wir Leere und suchen Linderung. Das Streben nach Beseitigung der inneren Leere macht mit Sicherheit keinen Menschen langfristig glücklich. Jede derartige Befriedigung dieses Strebens ist immer nur vorläufig. Ich bin mir sicher, dass man einem Menschen, der in sich ruht, weniger Medikamente, Artikel zur Körperpflege, Versicherungen und Altersvorsorge-Verträge verkaufen kann. Wer genügend Geborgenheit erfahren hat, kennt nicht das Gefühl, unzureichend und dadurch gefährdet zu sein, und es treibt ihn keine innere Leere an.

      Wer vom Falschen ausgeht, kommt zu falschen Schlüssen. So führt die Annahme, dass der Mensch ohne seine ganzen Hilfsmittel nicht überlebensfähig wäre, zu dem Schluss, dass wir unser Streben fortsetzen müssen. Wir stellen unseren Konsum und unser Streben nicht in Frage. Und dies behindert die Erkenntnis, dass uns beides nicht glücklich macht und dass wir nach etwas anderem suchen, nämlich nach dem natürlichen Zustand, in dem wir uns vollständig fühlen. Dass dies oft nicht bewusst wird, behindert wiederum die Erkenntnis, dass vielen von uns zu Anfang des Lebens ein großes Stück Geborgenheit gefehlt hat, die in uns die Gewissheit des Richtigseins verankert hätte.

      Wir können uns an Erlebnisse vor dem dritten Lebensjahr nicht bildhaft erinnern, weil die Entwicklung des Gehirns zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist. Daher fehlt uns die konkrete Erinnerung an die Einsamkeit in unserer frühesten Kindheit. Dennoch haben die Erlebnisse in der Zeit davor deutliche Spuren in unserer seelischen Struktur hinterlassen. Man muss nicht um die seelische Verletzung wissen, um verletzt zu sein. Es ist so schwer, das Defizit im Getragenwerden und der Mutterliebe zu erkennen, weil nur unser Gefühl uns dahin leiten kann und keine bewusste Erinnerung.

      Auffällig ist, dass viele Menschen beim Älterwerden Erfahrungen machen, die in die richtige Richtung zielen. Der eine schränkt sein berufliches Engagement ein, weil er spürt, dass Arbeit nicht alles ist. Der andere hat es zu Vermögen gebracht, spürt, dass ihn das Geld alleine nicht glücklich macht, und sucht sich neue Hobbys, statt weiter sein Geld zu vermehren. Viele legen ihre Süchte im Alter ab – weil sie nach Jahrzehnten spüren, dass die Befriedigung der Sucht sie nicht glücklicher, dafür aber schneller alt werden lässt.

       So geht es immer weiter

      Ein erwachsener Mensch, dem als Kind Geborgenheit fehlte und der noch als Erwachsener das Gefühl des Richtigseins kaum kennt, wird wesentlich leichter auf die Idee kommen, dass auch seine Kinder unzureichend seien und deshalb „erzogen“ werden müssten. Das bestätigt in der Folge dann auch sein Kind in seinem Gefühl des Falschseins. Zuerst fehlte ihm die Geborgenheit, die es von Natur aus erwartete, und danach signalisiert man ihm, es müsse angeleitet werden, woraus es schließen muss, dass es unvollständig sei: „Ganz ähnlich wird sie [die Mutter] ihm [dem Baby], wenn sie es unablässig behandelt, als sei es zerbrechlich, das Gefühl vermitteln, zerbrechlich zu sein. Handhabt sie es jedoch auf rauhe und lockere Weise, wird es sich stark und anpassungsfähig und in einer unendlichen Vielfalt von Umständen beheimatet fühlen. Sich als zerbrechlich zu betrachten ist nicht nur unerfreulich, sondern beeinträchtigt auch die Leistungsfähigkeit des heranwachsenden Kindes und später die des Erwachsenen.“147 Ähnliche Beobachtungen hat auch der Familientherapeut Jesper Juul beschrieben. Auf diese Art und Weise pflanzt sich das Defizit in unserem Gefühlsleben von Generation zu Generation fort.

      „Wird es [das Baby oder Kleinkind] hingegen ständig beobachtet und dahin gesteuert, wo es nach Auffassung seiner Mutter hingehen sollte, hält sie es an und rennt hinter ihm her, wenn es aus eigenem Antrieb handelt, so lernt es bald, nicht mehr für sich verantwortlich zu sein, da sie ihm ja zeigt, was sie von ihm erwartet.“148 Das ist das Problem aller Kinder, die von wohlmeinenden, überforderten Eltern in der Absicht intellektueller Förderung groß-gezogen wurden, anstatt mit Gleichaltrigen in Freiheit zu spielen und ihren eigenen Weg zu entwickeln. Sie sind an Unselbständigkeit und Anweisungen einer „Obrigkeit“ gewöhnt und haben Schwierigkeiten, eigenverantwortlich zu handeln.

      Kinder nehmen von sich aus an der jeweiligen Kultur teil. „Ein Kind, das noch nicht sprechen kann, ist sehr gut in der Lage, seine Bedürfnisse klarzumachen, und es ist sinnlos, ihm etwas anzubieten, was es nicht braucht; schließlich ist das Ziel der kindlichen Aktivitäten die Entwicklung von Selbstvertrauen. Bietet man ihm entweder mehr oder weniger Unterstützung, als es wirklich braucht, so wird dieses Ziel leicht vereitelt. […] Weder gibt es den Begriff des ‚unartigen Kindes’ [bei den Yequana], noch wird umgekehrt irgendeine Unterscheidung hinsichtlich ‚braver Kinder’ getroffen.“149 Es gibt bei den Yequana ebenso wie bei uns unerwünschte Handlungen, aber ein Kind ist immer geliebt.150

       Erziehung und Eigenverantwortlichkeit

      Entgegen der landläufigen Vorstellung sind Lob und Tadel nicht das Kernstück einer sinnvollen „Erziehung“, СКАЧАТЬ