Название: Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band
Автор: Gerhard Henschel
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Контркультура
isbn: 9783455005011
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Dann sang Renate mir ein Lied vor: Wenn die Bettelleute tanzen, wackeln Kober und der Ranzen.
Als ich wieder gesund war, versuchten Uwe und ich einen neuen Trick. Wir gingen bei A&O rein und suchten uns Süßigkeiten aus den Regalen, bis wir beide Hände voll hatten, und gingen langsam zur Kasse. Vor uns war noch eine Frau dran. Dann rannten wir an der Frau vorbei nach draußen. Die Kassiererin rief uns nach, daß wir stehenbleiben sollten, aber wir rannten weiter, vom Ladenviertel aus über die Straße vorm Hochhaus und in den Wald rauf, bis ich Seitenstechen kriegte.
»Die Luft ist rein«, sagte Uwe.
Ich hatte eine Tüte Treets verloren, aber wir hatten noch genug übrig. Waffeln, Kekse, Bonbons, Schokolade mit Haselnüssen und eine Rolle Drops, von denen es einem kalt im Mund wurde.
Bevor wir wieder bei A&O reingingen, kuckten wir von draußen durch die Scheibe nach, ob da noch dieselbe Kassiererin saß. Es war eine andere, die uns noch nicht kannte. Die konnten wir reinlegen.
Als wir losrannten, lief ein Mann hinter uns her, der bei A&O was eingekauft hatte. Vorm Hochhaus hielt er Uwe an der Kapuze fest. Ich trat dem Mann vors Schienbein, und da ließ er Uwes Kapuze los und schnappte sich meine. Uwe half mir und boxte dem Mann in den Bauch. Wir seien Diebe, rief der Mann, und Uwe rief zurück, daß er, der Mann, dafür ein Arschloch sei. Dabei fiel uns fast alles hin, was wir uns bei A&O ausgesucht hatten.
Dann ließ der Mann uns beide los und sammelte auf, was uns runtergefallen war.
Oben im Wald legten wir zusammen, was wir noch hatten. Mir war ein Packung Puffreis durch das Loch in der Hosentasche ins Hosenbein gesackt. Uwe hatte noch eine Lutscherkette und ein Netz mit Schokoladenkugeln.
Der würde sich jetzt schön ärgern, der Kacker, sagte Uwe. Dem hätten wir’s gezeigt. Was hatte der uns überhaupt nachrennen müssen? Als ob dem die Sachen selber gehört hätten. Das waren genausowenig dem seine wie unsere.
Oma Schlosser kam zu Besuch. Sie schlief im Nähzimmer, auch mittags, und dann mußten wir leise sein.
Wenn sie ausgeschlafen hatte, setzte sie sich an den Eßtisch und legte Patiencen. Es mußte auch oft nach ihrem Krückstock gesucht werden. Der stand dann hinter der Küchentür, an der Flurgarderobe oder neben dem oberen Klo.
Renate, die seit neuestem Geigenunterricht hatte, mußte Oma was vorspielen. Papa sagte, daß er stumpfe Zähne kriege von dem Gefiechel, und er ging in den Keller.
Da bastelte er einen Drachen, den wir auf dem Feld vorm Wäldchen steigen ließen. Papa hielt die Schnur, und Volker mußte den Drachen hochwerfen, der in die höchsten Höhen flog.
Ich hätte auch gerne mal die Schnur gehalten.
Den Trick bei A&O versuchte ich auch mit Volker zusammen. Die Kassiererin war wieder eine andere. Um schneller rennen zu können, klemmten wir uns nichts unter die Arme, sondern nahmen nur jeder eine Tafel Ritter-Sport mit.
Volker kannte eine Hochhaustür, die nicht richtig zuging. Wir liefen eine Treppe hoch, die zu einem großen Balkon führte, von wo man auf die Straße und aufs Ladenviertel kucken konnte. Da wickelten wir die Schokoladentafeln aus und aßen sie auf.
Nougat und Vollmilch.
Hier sei seine Ponderosa, sagte Volker.
Mama brachte Adventskalender von A&O mit. Meiner wurde so hoch aufgehängt, daß ich nicht drankam. »Sonst frißt du ja doch wieder alles gleich leer«, sagte Mama. Ich mußte sie jeden Tag darum bitten, das neue Türchen aufzumachen und mir die Schokolade zu geben.
In der Augsburger Puppenkiste rollten die Soldaten der Blechbüchsenarmee vom Berg runter, um die Feinde plattzuwalzen wie Pfannekuchen, und der Sultan von Sultanien hatte einen fliegenden Teppich, der auch aufgeribbelt fliegen konnte. Man mußte sich nur auf den Teppich stellen, dreimal die Arme heben und dann rufen: »Teppich, erhebe dich!« Ich versuchte das auf dem Kloteppich, aber der flog nicht.
Am zweiten Adventssonntag gab es Spritzgebäck zum Tee und Spekulatiuskekse mit Windmühlenmuster. Volker durfte die zweite Kerze am Adventskranz anzünden.
Auf der Matschwiese vorm Wäldchen war Uwe Strack zugange. Durchs Eßzimmerfenster konnten wir sehen, wie er ein Taschentuch in eine Pfütze tauchte, auswrang, wieder eintauchte und wieder auswrang.
»Ijasses«, sagte Mama, und Papa sagte, es sei kein Wunder, daß ich mich mit diesem ausgemachten Dreckschwein zusammengetan hätte.
Vor Bonanza war im Fernsehen Weihnachtssingen. Weihnachtlich glänzet der Wald. Freue dich, Christkind kommt bald! Es waren aber noch zwei Wochen bis Weihnachten.
Am Vogelhäuschen auf der Terrasse hatte Papa einen Meisenring aufgehängt. Die Meisen setzten sich kopfüber dran, pickten sich die Körner raus und flogen weg, wenn man an die Wohnzimmerscheibe klopfte.
Es hatte geschneit, und wir wollten rodeln. Renate holte ihren Schlitten aus dem Keller. Auf der Straße vorm Haus waren auch andere Kinder mit Schlitten, aber man kriegte keinen Schwung. Der Schnee war nicht glatt genug, und man kam immer an Stellen, wo die Kufen auf der Straße kratzten und der Schlitten stehenblieb, und von hinten kamen welche und schrien: »Bahn frei!«
Im Garten bauten wir einen Schneemann. Die Kopfkugel mußte Papa draufsetzen. Als Hut kriegte der Schneemann einen Persilkarton auf.
Wir warten aufs Christkind konnten wir nicht bis zum Ende kucken, weil Mama im Wohnzimmer den Weihnachtsbaum schmücken wollte.
Alle paar Minuten riefen wir von oben runter: »Dürfen wir jetzt kommen?« Aber wir durften noch nicht. »Ihr macht einen ja ganz hibbelig!«
Dann sagte Mama, daß der Weihnachtsmann gleich kommen werde, und wir sollten in Renates Zimmer gehen. Da war die Jalousie runtergelassen. Wenn wir auch nur einen Mucks machten, würde der Weihnachtsmann wieder weggehen, ohne Geschenke dazulassen.
Wiebke nuckelte am Daumen. Volker linste durchs Schlüsselloch auf den Flur.
Dann kam jemand an die Haustür gestapft und klingelte. Wir hörten, wie Mama aufmachte und sagte: »Guten Abend, lieber Weihnachtsmann! Hast du uns auch was mitgebracht?«
»Ja, viele Geschenke«, sagte der Weihnachtsmann. »Aber sind die Kinder denn auch brav und artig gewesen?«
»Meistens schon, lieber Weihnachtsmann«, sagte Mama.
»Na gut«, sagte der Weihnachtsmann. »Dann sollen sie auch ein paar Geschenke bekommen.«
Der Weihnachtsmann kam rein, und ich wollte auch mal durchs Schlüsselloch kucken, aber Volker ließ mich nicht. Wir hörten, wie der Weihnachtsmann über die Flurtreppe nach unten ins Wohnzimmer ging, und als er wieder raufkam, sagte Mama: »Vielen Dank, lieber Weihnachtsmann! Auf Wiedersehen!«
Volker und ich trommelten an die Tür und wollten raus, aber Mama sagte, wir sollten uns noch einen Moment gedulden.
Als wir rausdurften, mußte ich СКАЧАТЬ