Название: Zukunftsträume
Автор: Corinna Lindenmayr
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783967526547
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Das Leben hatte ihn verändert. Hatte ihn durch die Hölle geschickt, im Feuer auf ihm herum getrampelt und dann dafür gesorgt, dass er daraus wieder entkommen konnte. Allerdings nicht ohne eine Vielzahl von Narben zu behalten. Wieder einmal wurde ihm bewusst, wie tief seine Wunden doch saßen und ja, er war verdammt noch mal alles andere als stolz darauf. Damals hatte er geglaubt, dass nichts und niemand ihn je verletzen konnte. Körperlich klar, so etwas war öfters geschehen, aber mental? Nein, das war etwas was er für absolut unmöglich gehalten hatte. Tja, diesen Irrtum musste er jetzt am eigenen Leib spüren. Die heftige Brutalität der Vergangenheit war so viel stärker als er. Und er hasste es. Jeden Tag auf´s Neue. Ein Michael Christensen mochte vieles sein, allen voran sicherlich ein Mann schlechter Entscheidungen, aber ein Feigling? Auf gar keinen Fall! Dagegen musste er sich endlich und unwiderruflich zur Wehr setzen.
Er wandte leicht den Kopf zur Seite und beobachtete seine Frau, die auf einem alten Schaukelstuhl saß und ein Fotoalbum durchblätterte. Er vermutete, dass es das einzige war, dass sie mitgenommen hatte, den viel Zeit war ihnen damals nicht geblieben. Wie sehr er sich wünschte, die Zeit zurückzudrehen. Aber wer konnte das schon? Er musste endlich sein Leben wieder in die Gegenwart holen und einen Schritt weiter in Richtung Zukunft gehen.
Er hörte ein kurzes Rascheln, dann ein leises Klacken und drehte sich hastig zurück zur Tür. Bevor er jedoch reagieren konnte, wurde diese aufgerissen und drei Männer stürmten herein. Er versuchte noch sich zu wehren, doch es ging alles viel zu schnell. In dem Moment als er nach seiner Frau gerufen hatte, traf ihn der erste Schlag und er ging zu Boden.
Er hörte seinen eigenen Aufprall, dann kam der nächste Schlag und mit einem Mal war alles dunkel.
1. Kapitel
Es war schon lange her, dass er ein Polizeigebäude von innen gesehen hatte. Wenn er so darüber nachdachte, wusste er gar nicht, ob er ein solches nach seiner Ausbildung überhaupt je wieder betreten hatte. Bei dem was er tat, war so etwas normalerweise nicht nötig. Wenn doch einmal eine Besprechung oder ein Treffen notwendig wurde, trafen sie sich meist auf neutralem Boden. Das war weniger auffällig und in seinem Beruf konnte so etwas überlebenswichtig sein. Außerdem fehlte ihm ganz einfach die Zeit dafür. Ein Einsatz folgte dem nächsten. Oft war er monatelang unterwegs. Immer und immer wieder. Stets bereit sein Leben dafür zu riskieren, um andere zu retten. Das war sein Job. Dafür wurde er bezahlt. Er beschützte Menschen.
Seine Aufträge erhielt er meist nur telefonisch. Das lag zum einen daran, dass er oft am anderen Ende des Landes war oder sich überhaupt nicht auf dem gleichen Kontinent aufhielt, zum anderen, weil er nicht unbedingt zu den Menschen zählte, die sehr gesprächig oder kontaktfreudig waren. Er war eher der Typ Einzelgänger, auch was die Erledigung seiner Jobs anging. Zumindest in den letzten fünf Jahren.
Dass er nun stattdessen im Hamburger Polizeipräsidium stand hatte einzig und allein mit seiner nächsten Aufgabe zu tun. Dieses Mal konnte er sich nicht einfach so kommentarlos auf den Weg machen. Dieser Einsatz verlangte ein persönliches Gespräch mit dem Polizeipräsidenten und Leiter des Zeugenschutzprogrammes.
Vor wenigen Tagen hatte er einen Anruf erhalten. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade noch in Texas auf einer der größten Militärstützpunkte Amerikas gewesen um dort einen Millionärssohn zu beschützen, der leichtsinnigerweise geglaubt hatte, sich mit ein paar verfeindeten Drogenkartellen anlegen zu können. Gestern hatte er seine Aussage vor dem Hamburger Strafgericht gemacht und war daraufhin in die Obhut seiner Familie entlassen worden. Er glaubte zwar nicht, dass er dort lange überleben würde, aber gegen den Wunsch eines ziemlich einflussreichen Multimillionärs wollte sich auch die Staatsanwaltschaft nicht anlegen und im Grunde konnte es ihnen auch egal sein.
Thomas Johnson spürte den Druck seiner Waffe am rechten Oberschenkel als er die Treppe hinauflief.
Er war niemand, der vor etwas Angst hatte. Er war ein ausgebildeter Polizeikommissar und Personenschützer, besaß eine mehrjährige Erfahrung als Undercoveragent, hatte beinahe drei Jahre lang bei der deutschen Luftwaffe gedient und mehr als nur einmal dem Tod ins Gesicht gesehen. Er wusste was es bedeutete, Menschen sterben zu sehen. Ihre letzten Schreie die in der Ferne verklangen bevor sie zu Boden gingen. Genauso wie er wusste, wie es sich anfühlte, dafür verantwortlich zu sein. Das Leben hatte ihn zu dem gemacht der er jetzt war. Einem Mann, der tötete wenn es sein musste und beschützte, sofern es geboten war. Aber gegen diese erdrückende Last seiner Vergangenheit kam er einfach nicht an.
Seit Jahren hatte er versucht, so wenig wie möglich an sich heranzulassen. Er war 32 Jahre alt und einer der besten Agenten in seinem Beruf. Aber ein Privatleben gab es nicht. Nicht mehr.
Nicht seit jener verhängnisvollen Nacht, die sein ehemaliges Leben ein weiteres Mal zerstört hatte.
Er musste endlich damit abschließen. Das alles war vorbei. Doch mit jedem Schritt den er weiter in dem Polizeirevier ging, rückte dieses Leben wieder näher. Er würde diesen Auftrag durchziehen. Er war ein Profi. Er hatte nicht den leisesten Schimmer ob er dafür bereit war, aber er wusste, dass er vor der Vergangenheit nicht ewig davonlaufen konnte. Egal wie weit er gereist war oder wie tief er in einem Auftrag gesteckt hatte, sie war immer da gewesen. Hatte ihn auf Schritt und Tritt verfolgt.
Irgendwann in den letzten Jahren hatte er die Kontrolle verloren. Und wenn er diese nicht bald wieder fand, würde er einen Fehler machen. Einen, der vermutlich tödlich endete.
Er verspürte den Drang nach einer Zigarette.
Reflexartig griff er in seine linke Hosentasche, doch dort befand sich nichts außer einem zerknüllten Taschentuch und einer Zwei-Euro-Münze. Schließlich hatte er vor ein paar Wochen auch beschlossen mit dem Rauchen aufzuhören. Kein Wunder also, dass er keine Schachtel dieses ohnehin viel zu ungesunden Tabaks bei sich trug.
Er brauchte frische Luft. Entschlossen öffnete er daher die nächste Tür und trat ins Freie. Ein heißer Windstoß streichelte seinen Körper, der Asphalt war staubtrocken und es roch verführerisch nach der spätsommerlichen Luft Anfang September.
Er lehnte sich über ein altes, schon ziemlich verrostetes Treppengeländer und blickte zwischen einer Reihe Häuserblocks hindurch.
Keine Wolke verdrängte die Sonne und trübte die schwüle Atmosphäre dieser Stadt. Dutzende von Wolkenkratzern ragten in den Himmel hervor, Fabriken und Wohnhäuser reihten sich an den Straßen entlang bis man sie nur noch als kleine graue oder weiße Punkte wahrnehmen konnte.
Dort war er geboren und aufgewachsen. Jene Gebäude waren ein Teil seines ganzen Lebens gewesen, genauso wie diese Stadt.
Hamburg, die zweitgrößte Stadt Deutschlands, die siebte in der Europäischen Union, 1,8 Millionen Bürger die nur ein winziger Bruchteil von all dem war, was zu ihr gehörte. Er hatte schon so viele Länder bereist, dass er sich kaum noch an alle erinnern konnte. Alle waren auf ihre eigene Art und Weise faszinierend und aufregend gewesen, dennoch fühlte er sich hier in seiner Heimatstadt am wohlsten. Auch wenn er sich manchmal wünschte, so weit weg wie möglich zu sein. Dieser Drang jedoch beruhte mehr auf gewisse Erinnerungen, als an der Stadt selbst. Unwillkürlich musste er wieder an seinen Vater denken. Seit Jahren versuchte er ihm aus dem Weg zu gehen, doch seine Gegenwart war stets so präsent gewesen, dass es einfach nie ganz möglich gewesen war.
Mit der linken Hand fuhr er sich durch das wirre dunkle Haar. Sein Leben war kompliziert. Aber das würde es immer bleiben, wenn er daran nichts veränderte. Das Problem war nur, dass er das eigentlich gar nicht wollte.
Bislang СКАЧАТЬ