Taiga. Sergej Maximow
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Название: Taiga

Автор: Sergej Maximow

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9783963114489

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СКАЧАТЬ Mitjka-Pan. »Hoch mit dem Balken!«

      Wir ergriffen den Balken und hoben ihn etwas an. Ich zog Wsjewolods Hand heraus. Vier Finger waren zerschmettert. Unter den Nägeln trat langsam das Blut heraus. Die Hand schwoll zusehends und wurde blau. Wsjewolod lag schweigend, ohne den Kopf zu heben, auf der Seite. Seine Brille war heruntergefallen, und es war seltsam, sein Profil ohne Brille zu sehen.

      »Serjosha!«, rief er leise. Ich beugte mich zu ihm.

      »Es ist vorbei, ja? Ist die Hand ab?«

      Ich schwieg.

      Der Wachmann kam heran.

      »Man sollte ihn … na … zum Feldscher schicken«, schlug er leise, schnaufend, vor und schob sein Käppi auf den Hinterkopf.

      Auf der Aufschüttung ließen Häftlinge ihre Karren stehen und kamen herbeigerannt.

      Wsjewolod Fjodorowitsch setzte sich auf. Er lächelte seltsam, ergriff mit der linken Hand die rechte und legte die verstümmelte Hand auf seine Knie.

      »Spielen wirste wohl nicht mehr können«, meinte Mitjka-Pan betrübt.

      Wsjewolod Fjodorowitsch sah mir in die Augen. Ich werde diesen schrecklichen, verwunderten Blick nie vergessen.

      »Kannst du gehen?«, fragte der Wachmann. Wir stützten Wsjewolod Fjodorowitsch, und er erhob sich schwankend.

      »Warum nicht?«, fragte er.

      In Begleitung des zweiten Wachsoldaten und des Jungen Kolja ging er auf unsicheren Beinen zum Lager.

      Ich blickte seiner gebeugten, hochgewachsenen Gestalt nach und dachte daran, dass es am besten wäre, oben auf die Rammwinde zu steigen und sich kopfüber hinabzuwerfen, um nicht mehr all dies endlose menschliche Leid auf der geduldigen russischen Erde mit anzusehen.

      Im Herbst, an einem feuchten, nebligen Morgen, erschlug ­Mitjka-Pan mit einer Axt den Gruppenführer Golubew und floh in die Taiga.

       DER ERZIEHER

      Mittags begann es zu regnen. Die Fichten wurden dunkel und ließen traurig die zotteligen Zweige hängen; wie Tränen rollten einzelne helle Tropfen von ihnen herab. Graue Wolkenfetzen jagten ungeordnet am Himmel dahin und suchten sich an den Wipfeln der schlanken Fichten festzuhalten.

      Kaum war die gesteppte Jacke des Gruppenleiters Rubljow in den Wacholderbüschen verschwunden, ließen wir wie auf Kommando die verhassten Schubkarren stehen und drängten uns im nächsten Moment um das noch glimmende Feuer. Der bewaffnete Wachsoldat sah uns mit zusammengekniffenen Augen zu und ging weiter seiner Lieblingsbeschäftigung nach – dem Jonglieren mit drei Steinchen. Seine Aufgabe war es, aufzupassen, dass die Häftlinge nicht wegliefen; ob sie arbeiteten oder nicht, ging ihn nichts an. Antreiber gab es im Lager auch ohne ihn zur Genüge: die Leiter der Außenlager, deren Helfer, Bauführer, Gruppenführer, Vorarbeiter, Kommandanten, Erzieher.

      Wir streckten die vor Kälte steifen Hände ans Feuer, doch hielt der Moment der Glückseligkeit nicht lange an.

      »Achtung! Grischka Filon!«, kommandierte der siebzehnjährige Taschendieb Som.

      Aus dem Wald sprang ein kleiner, dünnbeiniger Mensch mit rötlich angelaufener Lederjacke in die Kiesgrube und schrie schon von weitem in dünnem Tenor:

      »Ruhen wir uns aus, Bürger Häftlinge? Und wer macht die Arbeit? Der Heilige Geist?«

      Grischka Filon war der Lagererzieher. Einst schwerer Junge und Mokruschnik, hatte er jetzt im Außenlager den Bereich Kultur und Erziehung unter sich.

      Eine erstaunliche Erfindung, diese Erzieher!

      Grischka Filon war Häftling, genau wie wir, doch hatten ihn fünfzehn Jahre in Gefängnissen und Lagern, mit kurzen Zwischenspielen in der Freiheit, gelehrt, wie man sich im Lager ganz schnell ein warmes Plätzchen sichert, daher auch sein Spitzname Filon, Nichtstuer. Die Arbeit des Erziehers ist eine der leichtesten im System der sowjetischen Zwangsarbeit. Ein Erzieher genießt viele Vorteile: Er arbeitet nicht körperlich, bekommt bestes Essen, ihm gebühren Ehre und Schmiergelder, und er hat bessere Chancen auf vorzeitige Entlassung. Diese »äußerst verantwortungsvolle« Stelle wurde nur mit »sozial nahestehenden Elementen« besetzt, wie die Tschekisten die Kriminellen nennen, auf keinen Fall aber (Gott behüte!) mit Politischen. Obwohl, einen Nachteil hatte dieser Posten: Wer einmal Erzieher war, wird in der Verbrecherwelt für vogelfrei erklärt, er gilt als Verräter, und eines schönen Tages wird er vielleicht umgebracht. Grischka Filon wusste das und machte sich bei den »Ganoven« lieb Kind.

      Er war fünfunddreißig Jahre alt. Klein, mager, mit farblosen ­Augen, deren Blick unstet umherirrte, und weißem Speichel in den Mundwinkeln, wirkte er abstoßend. Nach dem Vorbild der Lagerleitung trug er hässliche grüne Reithosen, Chromlederstiefel, Feldbluse, Lederjacke sowie eine Mütze à la Genosse Stalin. Von seinen fünf Jahren hatte er drei schon abgesessen.

      Über seinen letzten »Fall« sprach er oft und gern. Der »Fall« bestand aus folgender Begebenheit: Er hatte nachts in einer dunklen Gasse einer Frau aufgelauert, und da diese sich weigerte, ihm freiwillig und ohne Lärm ihren Pelzmantel zu überlassen, schnitt er ihr mit einem Rasiermesser die Nase ab und nahm ihr den Mantel dann doch weg …

      Grischka Filon kam schnell zu uns heran, ergriff eine Schaufel und warf das Feuer kurzerhand auseinander.

      »Aufwärmen wollt ihr euch?«, redete er, während er mit der Schaufel hantierte. »Aufwärmen? An die Schubkarre mit euch, da wird euch schon warm werden!«

      »Aber Bürger Erzieher! Wir haben uns doch gerade erst kurz hingesetzt!«, kam es erregt von Nikolai Iwanowitsch Suschkow, einem Professor der Archäologie, der seinerzeit in Moskau mit äußerst interessanten Veröffentlichungen über Ausgrabungen in Buchara viel Aufsehen erregt hatte. Schwach, sehr krank, schob er gefügig drei Jahre lang die Schubkarre. Verurteilt hatten sie ihn aufgrund von »Nichtanzeige« – er hatte seinen Bruder nicht denunziert, einen der Sabotage angeklagten Ingenieur.

      Grischka Filon warf das letzte brennende Scheit weit weg, stützte sich dann auf die Schaufel, ließ die fahlen Augen über uns schweifen und ergriff das Wort, bemüht, seiner Stimme einen belehrenden Ton zu verleihen:

      »Ihr, Bürger, befindet euch sozusagen in einem Arbeitsbesserungslager des NKWD … äh … Das ist sozusagen keine zaristische Zwangsarbeit, sondern – äh – erzieherische. Die Sowjetregierung mit dem Genossen Stalin an der Spitze – äh – bestraft Verbrecher nicht, sondern erzieht sie um … Ihr seid sozusagen Volksfeinde, man vertraut euch nicht … und deshalb muss man euch umerziehen. Umschmieden, sozusagen …«

      »Ich bin kein Volksfeind, ich bin Dieb«, rief Som dazwischen: »Schmeiß mich nicht in einen Topf mit den anderen, Filon!«

      »Ich halte die Rede ja nicht dir, sondern den Politischen … Denkt dran, Bürger Häftlinge, nur durch Arbeit und Umerziehung könnt ihr in die Reihen der vollberechtigten Sowjetbürger zurückkehren … Und deshalb karrt so viel Erde wie möglich … Die Karr-Norm müsst ihr nicht nur erfüllen, ihr müsst sie übererfüllen!«

      So bedrückend es auch war, der Rede des Erziehers zuzuhören – viele von uns fingen doch an zu grinsen.

      »Was feixt ihr so?«, brüllte Filon. »Hier wird gearbeitet und nicht gelacht! Ich war selbst ein großer Ganove und Bandit, aber hier СКАЧАТЬ