Taiga. Sergej Maximow
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Название: Taiga

Автор: Sergej Maximow

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9783963114489

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СКАЧАТЬ und mich schlafen lässt.«

      Am besten verstand ich mich mit Wsjewolod Fjodorowitsch. Er war Pianist von Beruf. Schon vor der Haft hatte ich Konzerte von ihm besucht, im Moskauer Konservatorium. Damals waren wir aber noch nicht persönlich miteinander bekannt. Er war ein kluger und begabter Mensch, siebenunddreißig Jahre alt, hochgewachsen, bedächtig in seinen Bewegungen, ein wenig linkisch. Mit einer großen runden Brille, durch die gütige, kluge Augen blickten, strahlte er Warmherzigkeit und Anstand aus. Er war sehr schweigsam und leistete gefügig und fleißig jede Art von Arbeit. Man hatte ihn zu drei Jahren verurteilt, zweieinhalb davon hatte er bereits »abgesessen«. Wofür er verurteilt worden war, wusste Wsjewolod, wie die meisten Politischen, selbst nicht.

      In Moskau lebte noch seine alte Mutter. Er schrieb ihr Briefe und lebte nur für ein Ziel: zu ihr zurückzukehren und wieder als Pianist zu arbeiten. Letzteres wurde jedoch durch einen Umstand erschwert: Die körperliche Arbeit hatte seine Hände so grob und schwielig werden lassen, dass er sie, wie er selbst sagte, kaum noch bewegen konnte. Das bedrückte ihn außerordentlich und ließ ihn nächtelang kein Auge zumachen.

      Wenn wir uns abends nach der Arbeit entkräftet auf die schmutzigen, verlausten Pritschen fallen ließen, zeigte er mir seine verkrümmten, rauen Finger und fragte nervös:

      »Was meinen Sie, Serjosha, ob die noch wieder werden?«

      Ich gab mir alle Mühe, ihm glaubhaft zu versichern, dass er, ja, natürlich wieder spielen würde, doch im tiefsten Innern zweifelte ich daran. Und wie zum Trotz musste er während der ganzen drei Jahre im Konzentrationslager die schwersten Arbeiten verrichten: Mal stand er mit dem Spaten in der Hand bis zu den Knien im fauligen Sumpfwasser, mal schob er die schwere, mit Erde beladene Schubkarre oder schleppte sieben Meter lange Balken aus dem Wasser.

      Es gibt Menschen, die sind so wendig und gerissen, die reißen sich die ganze Haftzeit über kein Bein aus, wie es so schön heißt. Die sehen zu, dass sie eine Arbeit als Friseur kriegen, oder als Koch, Depotwärter, Verwalter … Andere hingegen schieben jahraus, jahrein die schwere Karre. Das sind ehrliche, bescheidene, dem Schicksal ergebene russische Menschen, die für nichts und wieder nichts ins Lager geraten sind. Solch ein Mensch war auch Wsjewolod Fjodorowitsch.

      Ein Stoß ließ die Winde erbeben. Der Rammenführer Kolja, mit fünfzehn noch ein richtiger Junge, zog an dem Fallseil und zählte laut die Anzahl der Aufschläge. Die Sonne stieg immer höher, ihre heißen Strahlen brannten auf unseren kahlrasierten Köpfen. Am linken und rechten Flussufer, fünfzig Meter von uns entfernt, waren Erdarbeiter dabei, Zufahrten für eine künftige Brücke aufzuschütten. Ich blickte nach oben und sah, wie vor dem Hintergrund des blauen Himmels auf den Erdkegeln Menschen mit Schubkarren auftauchten, einer nach dem anderen, armschwingend die Karren umkippten und sie leer wieder hinunterschoben. Sie erinnerten an große Vögel, die an den Rand eines Abgrundes geflogen kamen und erschrocken zurückflatterten.

      Ein wenig abseits saß im dichten Schatten wilder Johannisbeersträucher der Wachsoldat auf einem Baumstumpf. Den Kopf auf der Brust, gestützt auf das Gewehr, das er nicht aus den Händen ließ, schlief er friedlich. Er war morgens schon betrunken gewesen, und jetzt, gegen Mittag, war er völlig hinüber.

      »He, Gruppenleiterchen!«, rief Mitjka-Pan Golubew zu.

      »Was-willst-du-denn?«, fragte der faul und schnitzte weiter Muster in seine Messlatte.

      »Was, wenn ich mal eben zu dem Wachkerl da geh, ihm die Flinte aus der Hand reiße und zack mit’m Lauf eins übern Schädel, und dann dir ’ne Kugel in’n Kopf und tschüss, ab in die ­Taiga …?«

      »Kommst trotzdem nicht weit!«, erwiderte Golubew leise.

      »Wieso?«

      »Na weil hier Hunderte von Kilometern nur Taiga is, und Sümpfe und Mücken. Die nächsten Dörfer sind erst an der Wytschegda. Bevor du da hingekrochen kommst, bist du vor Hunger verreckt oder im Moor ersoffen.«

      »Ich hab doch die Flinte. Kann Vögel schießen«, träumte Mitjka-Pan laut.

      »Erstens hast du nur fünf Patronen, mehr kriegen die Wachmänner nicht. Zweitens kannst du überhaupt nicht schießen und wirst sie gleich am ersten Tag alle abfeuern. Nee, nee, du kommst hier nicht weg, Mitjka.«

      »Teufel aber auch«, empörte sich Mitjka-Pan. »Die weiß schon, die Sowjetmacht, wo sie die Lagerchen für unsereins baut: nur Sumpf und Dickicht.«

      »Was hast denn du gedacht? Du weißt doch, da sind Menschen … Kch-ch-che … Menschen …« Der Husten ließ den alten Jefimytsch nicht zu Ende reden.

      Ich blickte zu Wsjewolod Fjodorowitsch. Er hielt den Kopf tief gesenkt, drückte mit Brust und Händen kräftig gegen den Schwengel und lächelte, die in der Sonne blitzende Brille auf der Nase, vor sich hin.

      Rums! Der eiserne Rammbär fiel hinab.

      Und wieder wickelte sich das Seil auf, wieder riss Kolja am Fallseil …

      Rums!

      Rums!

      Rums!

      Die Stöße kehrten als vielstimmiges Echo aus der Taiga zurück. Die Ramme arbeitete sich immer weiter in den Boden.

      »Die Sterbegehilfin kommt!«, rief der kleine Rammenführer freudig. »Pa-ause, Jungs!«

      »Pa-ause!«, flog der Ruf die Trasse entlang.

      Am Ufer tauchte hinter den Kiefern eine kleine Prozession auf. Voran marschierte eine füllige Frau, hinter ihr gingen drei Männer mit Sperrholzkisten auf den Köpfen. Sie brachten das Mittagessen. Die »Sterbegehilfin« hatte diesen Spitznamen, weil sie eine Zeit lang als Sanitäterin beim Feldscher des Lagers gearbeitet hatte. Wegen eines Vergehens (sie hatte die Baldriantropfen aus dem Notfallkoffer ausgetrunken) wurde sie zuerst in die Wäscherei versetzt, dann hatte man Erbarmen mit ihr und beauftragte sie, den arbeitenden Häftlingen das Mittagessen auszutragen. Sie war eine junge und außergewöhnlich kraftvolle Frau.

      Jeder von uns erhielt ein Stück stinkenden Dorsch und ein kleines Stück Brot.

      »Gib uns doch noch ein Stück, Hexe!«, bat Mitjka-Pan.

      »Das Cheflein hat noch was!«, entgegnete sie im Basston und kommandierte, an die Träger gewandt: »Los, weiter!«

      Wir setzten uns ins Gras und begannen hungrig, Fisch und Brot zu verschlingen.

      Wsjewolod Fjodorowitsch öffnete und schloss seine Hand.

      »Hören Sie«, sagte ich. »Warum gehen Sie nicht zum Lagerleiter und bitten darum, dass man Ihnen eine andere Arbeit zuweist?«

      Wsjewolod Fjodorowitsch lächelte traurig.

      »Hab ich ja versucht.«

      »Und?«

      »Hat nichts gebracht.«

      »Versuchen Sie’s doch einfach noch mal! Beharren Sie drauf!«

      Er zuckte die Schultern.

      »Es nützt ja doch nichts!«

      »Was sind Sie nur für einer! Man muss drum kämpfen, sonst wird es natürlich nichts.«

      Mitjka-Pan sah uns von der Seite an:

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