Taiga. Sergej Maximow
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Название: Taiga

Автор: Sergej Maximow

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9783963114489

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СКАЧАТЬ Obwohl unser Chef seine Eigenheiten hat, bei dem muss man mit allem rechnen. Warum fragst du?«

      »Ich denke, du solltest in dem anderen Zelt schlafen«, meinte sie mit gesenktem Blick.

      »Was?«, rief ich erstaunt, nahm mich aber gleich wieder zusammen. »Entschuldige, ich verstehe nicht – warum?«

      »Geh!«, befahl sie.

      Ich umarmte und küsste sie, wie einen Nahestehenden, den man in ein paar Stunden wiedersieht – flüchtig und leicht.

      Ich ging und setzte mich an mein Tagebuch. Die Nacht war tiefschwarz. Müde hörte ich mit dem Schreiben auf, ohne fertig geworden zu sein, legte den Kopf auf die Arme und begann, glückselig lächelnd, mir nach und nach alle Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen. Dann verschwamm alles.

      Ich konnte die schweren Augen nur mit Mühe öffnen, hob den Kopf und sah mich um. Im Zelt war es trübe – die Morgendämmerung brach erst an. Draußen waren leise Stimmen und das Winseln von Hunden zu hören. Die Unseren sind zurück, dachte ich und warf mit einem Ruck die Zeltplane zurück, um hinauszugehen. Etwa dreißig Schritte entfernt erblickte ich vier uniformierte Männer mit Gewehren in den Händen, die sich auf Skiern dem Lager näherten. Ihre Hunde zerrten an den Leinen. Im selben Moment fiel ganz in der Nähe, fast neben mir, ein ohrenbetäubender Schuss.

      Ohne mir schon klar darüber zu sein, was passiert war, nur meinem Instinkt folgend, stürzte ich zu Irinas Zelt, registrierte aber nebenbei, dass die vier Ankömmlinge wie auf Kommando in den Schnee fielen. Innen konnte ich zunächst nichts erkennen: Im Zelt schwebte ein fahler, bitterer Dunst. In der schreienden Stille war nur das Tröpfeln des Wassers zu hören, das auf dem Tisch aus einem umgeworfenen Glaskolben floss.

      Mit dem Rücken gegen ihren aufgeschnallten Rucksack gelehnt, ließ Irina, halb auf der Pritsche sitzend, auf schreckliche, unnatürliche Weise den Kopf auf die Brust hängen. Das wirre schwarze Haar verdeckte ihr Gesicht. Die aufgeknöpfte Joppe gab den Blick auf die mir wohlbekannte blaue Wollbluse frei, die mit seltsamen dunklen Flecken bedeckt war. Die kleine Hand mit halb gekrümmten Fingern war zur Seite geworfen. An einem Fuß trug sie einen Filzstiefel. Der andere Stiefel lag auf der Erde neben ihrem angewinkelten, herabgerutschten nackten rechten Bein; mattweiß hob es sich kläglich und hilflos von der schwarzen Decke ab. Der große Zeh steckte im Abzugsbügel meines Jagdgewehrs, das mit dem Lauf auf den Rand des Labortisches gefallen war.

      Mit angehaltenem Atem schob ich behutsam die krausen Haarsträhnen von ihrer Stirn.

      Da war kein Gesicht. Nur etwas Entsetzliches, Unförmiges.

      Ich weiß noch, dass ich vom Tisch ein Blatt Papier nahm, auf dem etwas mit Bleistift geschrieben stand, dass ich dieses zarte Blatt an meine Lippen führte und die Buchstaben küsste – die Spuren ihres Lebens. Wie im Traum nahm ich wahr, dass jemand hereinkam, hörte Iwans verstörte Stimme und eine andere, tiefe, ruhige, die Iwan erklärte:

      »Aus dem Straflager entflohen … eine Politische …«

      An dieser Stelle brach Michailows Tagebucheintrag ab. An die letzte Seite war ein Zettel angeheftet. Zuoberst stand in Druckbuchstaben: »Bodenanalyse Nr. 1937«, darunter, mit einem Bleistift, in der gleichmäßigen Schrift einer Frau, mit korrekt gesetzten Satzzeichen, Folgendes:

      »Liebster, ich habe nur noch eine halbe Minute. Hunde und Suchtrupp sind ganz nahe. Das Wichtigste im Leben ist die Freiheit.«

      Lange bewahrte ich diesen Zettel auf. Manchmal holte ich ihn hervor, las ihn immer wieder, und er rief keinerlei Empfindungen mehr in mir hervor. Bald schon hatte ich sowohl Irina als auch Michailow als auch den Zettel ganz vergessen.

      Das Leben in der Taiga war farblos und langweilig. Im Winter, wenn nachts die Schneestürme tosten, spielten wir Karten und tranken Sprit. Im Chor sangen wir mit vom Frost heiseren Stimmen unser Lieblingslied über die Taiga.

      »Wo der Schnee fliegt auf stürmischen Schwingen,

      liegt im Norden, im fernen, ein Grab.

      Frost und Taiga das Totenlied singen,

      nur der Mond beugt sich bleich noch herab.«

      Kalt ist es. Ach, wie kalt ist es auf dieser Erde!

       DER PIANIST

      An diesem Tag war es besonders heiß. Über dem aufgewühlten braunen Lehmboden flirrte die brütende Hitze. Mückenschwärme tanzten als Wolken über unseren Köpfen.

      Ich arbeite an einer Pfahlramme. Der auf die Schnelle aus feuchtem Holz zusammengezimmerte Göpel steht auf dem Grund einer tiefen Schlucht, am Ufer des kleinen, aber kalten und schnellen Flüsschens Vuly-Sju-Iol. Von frühmorgens bis spätabends stemmen wir, neun abgerissene, hungrige Häftlinge, uns mit der Brust gegen die Schwengel der Rammwinde und gehen im Kreis, um den schweren eisernen Rammbär nach oben zu ziehen.

      Die Rammwinde knarrt, das stählerne Seil spannt sich wie eine Saite, und wenn der Rammbär laut krachend auf den Rammpfahl fällt, wischen wir uns den Schweiß von der Stirn und versuchen auf jede erdenkliche Weise, das erneute Hochstemmen des herzlosen eisernen Ungetüms, das uns bis zur völligen Erschöpfung zermürbt, hinauszuzögern.

      Der Zehnerleiter, ein kleines, pockennarbiges Männchen, sitzt auf einem Holzkloben, weist mit seiner Messlatte aus Kiefernholz auf die Sonne und mahnt immer wieder:

      »Macht zu, Jungs, macht zu … Seht zu, dass ihr die Hälfte der Norm bis Mittag schafft!«

      »Machen wir, machen wir, Golubtschik«, erwidert im selben Tonfall Jefimytsch, mein Nachbar am Schwengel, ein gekrümmter, schwindsüchtiger, ständig schwer hustender Alter, der, weil ihm die Brust wehtut, die vertrocknete Schulter auf den glattgescheuerten glänzenden Schwengel legt. »Wir geben alles, was wir können, Zehnerleiterchen, vielleicht geben wir dir bald auch unser bisschen Leben.«

      Zehnerleiter Golubew kneift die scharfen Augen zusammen, sieht ihn an und sagt langsam:

      »Du bist verdammt geschwätzig geworden, Jefimytsch, was brauch ich dein Leben, Freundchen, ich bin selbst nur Häftling.«

      »Warum zum Teufel treibst du uns dann so an«, sagt daraufhin wütend Mitjka-Pan, ein alter Langfinger und Wiederholungstäter, und wendet ihm sein bleiches Gesicht zu. »Du hast kein Gewissen, du pockengesichtiger Deibel.«

      Golubew lacht leise.

      »Weswegen sitzt du, Pan?«, fragt er und gibt die Antwort gleich selbst. »Diebstahl! Und ich? Hab ich einen umgebracht? Oder beklaut? Oder hab ich mich gegen die Sowjetmacht gewendet, wie Jefimytsch da oder Serjoschka, oder Wsjewolod? Nehee, ich hab keine Gesetzesverbrechen nich gemacht … Wenn du’s genau wissen willst, Buchhalter war ich, im Kolchos, und da haben sie mich reingerissen … Hat einer fünf Fuhren Roggen aus dem Kolchosspeicher geklaut, und ich hatte die Verantwortung.«

      »Du lügst doch, du Hund!« Mitjka-Pan spuckt aus. »Die hast du selbst stibitzt und die Schuld auf andre geschoben.«

      Mitjka-Pan hat als Einziger von uns keine Angst vor dem Vorarbeiter. Und er ist auch der Einzige, über den sich der Zehnerleiter nicht bei der Lagerleitung beschwert, weil er nämlich Angst vor Mitjka hat. Mitjka weiß das und schmeißt die Arbeit öfter mal hin, packt sich gleich neben der Rammwinde in die Sonne, um zu schlafen. Golubew umkreist ihn und schreit rum, dass er ihn in die Isolationszelle bringt, Mitjka aber schließt die Augen, lächelt selig und СКАЧАТЬ