Название: Taiga
Автор: Sergej Maximow
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783963114489
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»Das ist auch das Beste«, sagte ich. »Legen Sie sich hier auf meine Pritsche. Hier haben Sie eine Decke, legen Sie Ihre Jacke noch darüber. Um den Ofen kümmere ich mich. Gute Nacht.«
Ich trat hinaus. Der Schneesturm fegte noch immer umher und rüttelte an den trockenen Fichten und Lärchen. Der Mond hatte sich versteckt, vom Fluss her war das abgehackte, nervenaufreibende Bellen eines Fuchses zu hören. Im Arbeiterzelt schnarchte Iwan trotz der entsetzlichen Kälte – der Ofen war ausgegangen. Ich blies in die Glut, legte Holz auf, und als das Feuer wieder fröhlich loderte, holte ich mir ein Buch und setzte mich an den Ofen, um zu lesen. Nach etwa zwei Seiten sah ich ein, dass ich den Sinn des Gelesenen nicht erfasste, legte das Buch beiseite und begann zu beobachten, wie sich die Birkenrinde im Feuer zusammenrollte. Träge hing ich irgendwelchen müßigen Gedanken nach: dachte mal an das eine, mal an das andere zurück. Wie lange ich so saß und nachdachte – ich weiß es nicht. Ich war wohl eingenickt und wachte von der Kälte wieder auf. Der Ofen war ganz ausgegangen. Mir fiel mein Gast wieder ein. Sicher war auch dort das Feuer längst erloschen.
Ich ging ins Freie. Der Schneesturm hatte sich gelegt, und am grünlich-blauen Himmel, der von grellen Sternen übersät war, hing stählern die Mondscheibe.
Vorsichtig schlug ich die Zeltplane zurück, trat ein und hockte mich vor den erloschenen Ofen. Ich fachte das Feuer wieder an und legte Birkenrinde auf. Sie krümmte sich, begann zu qualmen, loderte als knisternd-heiße Flamme auf und beschien das Zelt. Ich richtete mich auf und warf einen Blick zur Pritsche.
Irina lag auf dem Rücken unter der Decke und sah mich mit gerunzelter Stirn und irgendwie allzu angespannt an.
»Kommen Sie zu mir …«, sagte sie leise.
Ich ging hin und setzte mich zu ihr auf die Pritsche. Sie versenkte ihre Finger in meinem Bart und lächelte einfach, sanft, so wie Genesende lächeln.
»Was für ein lustiger lockiger Bart. Wie alt ist er?«
»Ein Jahr.«
»Und Sie?«, fragte sie, ließ die Hand sinken und knöpfte ohne Eile einen Knopf an meiner Feldbluse zu.
»Dreißig.«
»Haben Sie eine Frau?«
»Nein. Ich habe ein Mädchen geliebt, wir waren verlobt, aber dann … hat sie meinen Freund geheiratet.«
»Wie dumm von ihr!«, lachte sie. »Dabei sind Sie doch im Prinzip ein netter Kerl …«
Ich verspürte eine leichte Kälte in der Herzgegend und rückte unwillkürlich näher an sie heran, doch sie wehrte ab.
»Sagen Sie«, meinte sie irgendwie nachdenklich, »Sie haben doch bestimmt schon mal darüber nachgedacht, was den Menschen wirklich froh macht im Leben? Was meinen Sie«?
»Ich weiß nicht«, druckste ich. »Wahrscheinlich trägt vieles dazu bei: Wenn man die Arbeit mag, die Familie, Liebe …«
»O nein«, unterbrach sie mich seufzend. »Das ist es alles nicht. Wissen Sie, was das Wichtigste ist?«
»Nun?«
Sie stützte ihren Krauskopf auf die Faust, kniff die Augen leicht zusammen und sagte kurz und knapp:
»Die Freiheit.«
Wieder erklang in der Taiga das traurige Bellen des Fuchses. Die Birkenrinde war fast verbrannt, im Zelt wurde es dunkler und wellenförmig erleuchtete ein seltsamer rötlicher Widerschein die Zeltwände.
»Oh, wie sehr sie die braucht, Ihre … zufällige Passantin«, sagte Irina leise, mit gerunzelter Stirn, und plötzlich knirschte sie mit den Zähnen und umfasste ungestüm meine Schultern. Ich beugte mich zu ihr, küsste ihre warmen Lippen und spürte, wie mein Herz immer schneller schlug.
3. Februar
Ich weiß nicht, ob ich je wieder zu meinem Tagebuch zurückkehren werde. Wahrscheinlich nicht. Es hat keinen Sinn zu schreiben, es ist vergebens, warum soll ich noch etwas aufschreiben … ich habe den ganzen Albtraum durchlebt, der uns umgibt wie die Toten das Leichentuch. Ich habe den Preis der Freiheit erfahren.
Meinen gestrigen Eintrag ins Tagebuch habe ich um vier Uhr nachts geschrieben, nachdem ich Irina erregt, verstört, mit Freude, aber auch Unruhe im Herzen zurückgelassen hatte und wieder in mein Zelt gegangen war. Ich ahnte nicht, welch schreckliche Wahrheit sich mir zwei, drei Stunden später eröffnen würde.
Dies hier also ist mein letzter Eintrag, ohne langes Nachdenken und ohne jeden Kommentar:
Ich weiß noch, dass ich einschlief, eng an Irinas warmen Körper geschmiegt. Ich fühlte mich wohlig, kindlich-froh und einfach nur gut. Ich träumte von etwas Hellem, Gutem.
Als ich hingegen aufwachte, spürte ich vor allem Leere. Es war dunkel. Ich tastete mit der Hand und begriff: Da war niemand bei mir. Ich zuckte zusammen: Wo war sie denn?
Und am Fluss bellte, weinte die ganze Zeit der Fuchs.
Wie widerwärtig sein Geheul war!
Beim ersten Klang der geliebten Stimme war ich bei ihr.
»Warum schläfst du nicht?«
Sie saß in der Ecke am Ofen, in ihrer Lieblingshaltung: Ihre Hände umfassten die Knie, auf die sie den Kopf stützte. Ich legte ihr die Jacke um, küsste ihr Haar, ihre Stirn, die Augen …
»Hast du geweint?«
Sie presste sich mit der Wange an mich und sagte leise:
»Weißt du, mir ist so gut …«
Nach einem Augenblick des Schweigens fügte sie hinzu:
»Ich möchte dir etwas erzählen, davon, was der Mensch vor dem Tod empfindet …«
»Ach, lass doch!« Ich verzog das Gesicht. »Wirklich, das geht zu weit! Erzähl mir lieber von dir, schließlich weiß ich überhaupt nichts über dich!«
»Morgen! Versprochen! Vor dem Tod spürt der Mensch nur das süße Beben seines Herzens, in banger Erwartung des großen Mysteriums. Weiter nichts. Und Kälte. Komm, wir fachen das Feuer an.«
Innerhalb einer Minute hatte ich den Ofen eingeheizt. Ob es die Wärme war, oder das Licht – uns wurde es wieder leichter ums Herz. Irina erhob sich, dehnte sich und meinte auf ganz alltägliche Art:
»Lass uns noch ein bisschen schlafen.«
Plötzlich aber blickte sie mich erschrocken an und ergriff meine Hand:
»Hörst du das? Was ist das?«
Ich spitzte die Ohren, konnte aber nichts hören.
»Hörst du es?«
»Nein.«
Sie lächelte betreten.
»Mir kam es so vor. Ich bin so schreckhaft heute … Wann kommen eure Leute zurück?«
»Vielleicht morgen.«
»Früh?«
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