Название: Arkadien
Автор: Emmanuelle Bayamack-Tam
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783906910796
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»Was bist du denn so auf meine Regel fixiert? Nein, habe ich nicht, na und?«
»Du bist sehr süß, Farah Facette, aber ich würde lieber mit einer richtigen Frau schlafen.«
»Aber du hast doch gesagt, wir brauchen nur zu warten, bis ich sexualmündig bin!«
»Das ist sicher besser, aber so lange du körperlich noch ein Kind bist, hilft das auch nicht weiter.«
»Brüste habe ich aber schon, guck mal!«
Eigentlich brauche ich ihm gar nichts zu zeigen, weil er oft genug Gelegenheit hat, mich unbekleidet zu sehen: Wir haben nur Gemeinschaftsduschen, und die Hausordnung schreibt allen Nudismus vor. Doch zwischen jenen, die sich wie meine LGBT-Großmutter bei jedem Wetter nackt zeigen, und denen, die wie Fiorentina sogar im Hochsommer Seidenstrumpfhosen tragen, sind in unserer Gemeinschaft alle möglichen Varianten vertreten. Ich laufe selbst in Shorts oder Höschen herum, sobald es warm genug ist, ohne meine magere Brust zu bedecken. Ich lasse sie – bleiche Kugeln und blasslila Warzen – nur zu gern von der Sonne bescheinen, damit sie ihre hässliche Winterfärbung verliert.
»Und auch Schamhaar!«
Arkady wirft einen skeptischen Blick auf den Bund meiner Pyjamahose, verzichtet jedoch auf eine Überprüfung. Da entgeht ihm was. Schamhaar ist das Üppigste, was ich zu bieten habe.
»Fünfzehn und immer noch keine Regel, da sollten wir vielleicht einen Arzt fragen. Wobei ich mich mit der Pubertät von Mädchen nicht so gut auskenne … Wie ist es bei den Mädchen in deiner Klasse?«
Die Mädchen in meiner Klasse sind schon lange keine Mädchen mehr. Alle haben schon seit der Siebten richtige Brüste und regelmäßige Blutungen. Ich bin die einzige, deren Körper noch zögert. Wir einigen uns darauf, dass Arkady mich bald zu einem Frauenarzt begleitet, aber das löst mein Problem nicht, schließlich geht es mir darum, die Liebe zu finden. Stimmt ja gar nicht, wenn man’s genau betrachtet, die Liebe steht mir ja gegenüber, in einem dreifarbigen Trainingsanzug, der wen auch immer verunstalten würde, nur ihn nicht – ihn, den Äußerlichkeiten nach eigenem Bekunden im Allgemeinen kalt lassen und Kleidervorschriften ganz besonders. Arkady, du meine Liebe … Alles wäre so viel einfacher, wenn du meiner keimenden Weiblichkeit Tribut zollen könntest, anstatt mir Surrogate anzubieten:
»Warum nimmst du dir dafür nicht Nello? Der ist doch süß, dieser Nello.«
Nello, beziehungsweise Daniel, ist nicht übel, aber er gibt sich nicht die geringste Mühe, begehrenswert zu erscheinen, und läuft immer so rum, als würde er tausend Tode sterben. Bevor ich mit ihm was auch immer ausprobiere, müsste ich ihm diesen leidenden Blick austreiben.
»Oder Salo. Wie wär’s mit Salo?«
Salo ist unser Bipolarer, darum weiß ich nicht so recht, wie ich Arkadys Vorschlag aufnehmen soll. Habe ich Lust auf einen Mann mit fixer Idee? Denn das ist Salo nun mal: Er hat seine Marotten und kann sich stundenlang über etwas auslassen, ohne den sichtlichen Überdruss oder die Ausweichmanöver seines Gegenübers zur Kenntnis zu nehmen. Ohnehin scheint sein Bewusstsein für die Existenz anderer Menschen nur sehr schwach ausgeprägt zu sein. Natürlich ist das auch bei vielen vollkommen zurechnungsfähigen Leuten der Fall, dennoch wünsche ich mir, dass mein erster Liebhaber sich zur Abwechslung mal ein wenig auf mich konzentriert. Nichts gegen das Gemeinschaftsleben oder die kollektive Liebe, aber ich hätte es gern etwas exklusiver. Dabei ist die Liebe im Liberty House diffus und unbestimmt: Jeder bekommt seinen Teil und alle verfügen über das Ganze – was mir in der Theorie mehr zusagt als in der Praxis. Seit ich hier angekommen bin, teile ich alles mit allen: die Duschen, die Mahlzeiten, die Haushaltspflichten, die Abende am Kaminfeuer oder die Sonnengrüße. Selbst meine Eltern gehören mir nicht mehr, und manchmal ertappe ich sie dabei, wie sie mich verdattert anblicken, als wären sie derart mit ihrer eigenen Existenz beschäftigt, dass sie meine vollkommen vergessen hätten. Ihre elterliche Sorge haben sie ganz und gar Arkady übertragen, wie sie sich im Übrigen aller Lasten entledigt haben, aller Verpflichtungen und Zwänge eines Erwachsenenlebens. Treffe ich sie zufällig im Flur oder im Gemüsegarten, reagieren sie recht gnädig auf meine Liebkosungen, die an einen hechelnden Welpen erinnern, wirken zugleich aber auch immer leicht erstaunt, als fragten sie sich, was ihnen diese Zärtlichkeitsbekundungen eingetragen hatte.
Da ist es kein Wunder, dass ich zumindest bei einem Menschen leidenschaftlichere Gefühle und eine stärkere Hingabe als die laue Zuneigung wecken möchte, die mir die Mitglieder unserer Bruderschaft entgegenbringen, Eltern und Lehrmeister eingeschlossen. Ich würde es sehr gern über Dating-Portale versuchen, aber die multimediale Bibliothek an meiner Schule sperrt diese Internetseiten, als wäre es völlig ausgeschlossen, dass Jugendliche nach der Liebe suchen. Wenn Arkady mich also auch künftig verschmäht, habe ich nur dann eine Chance, auf einen Partner zu stoßen, der meinen Ansprüchen genügt, wenn ich weiterhin durch die Straßen der Stadt streife, diese Straßen, die im Regen blinken, als wollten sie mich vor der Verzweiflung bewahren und sagen: Nur Geduld, die Liebe wird kommen.
Da manche Zusagen leichter einzuhalten sind als andere, bringt mich Arkady wie versprochen zum Frauenarzt. Sollte er aber glauben, mich deswegen nicht mehr entjungfern zu müssen, täuscht er sich gewaltig – so leicht kommt er mir nicht davon. Der Frauenarzt heißt Madame Tourteau, und ich ahne zwar, dass in diesem Namen eine geheime Anspielung auf deren Fachgebiet steckt, bin jedoch viel zu gestresst, um zu erraten, was ein Taschenkrebs mit Gynäkologie zu tun hat. Ohne genau zu wissen, was mich erwartet, fürchte ich mich vor der Untersuchung meiner Geschlechtsorgane und dem Durchkneten meiner unterentwickelten Brustdrüse. Meine Angst erweist sich als unbegründet, denn Madame Tourteau ist reizend und zeigt sich kein bisschen überrascht, dass ich von meinem geistigen Führer begleitet werde. Der gibt sich allerdings als mein Vater aus und wedelt mit dessen elektronischer Gesundheitskarte vor der Nase der netten Ärztin herum.
»Und was führt dich hierher, Farah?«
»Na ja, ich hab meine Regel nicht.«
»Aha. Seit wann?«
»Wie, seit wann?«
Sie sieht mich ebenso müde wie geduldig an:
»Deine Regel. Wie lange hast du sie schon nicht mehr? Du hast wohl Angst, schwanger zu sein?«
»Das ganz sicher nicht: Ich bin Jungfrau!«
Unwillkürlich blicke ich aus dem Augenwinkel zu Arkady, um mich zu vergewissern, wie diese Mitteilung auf ihn wirkt, aber er behält seinen väterlich zufriedenen Blick bei, während Madame Tourteau ihre Sonntagsrede über die Unregelmäßigkeiten des Menstruationszyklus bei sehr jungen Mädchen hält:
»Es besteht wirklich kein Anlass zur Sorge. Erst recht nicht, wenn du noch keinen Geschlechtsverkehr hattest.«
Jetzt blickt sie Arkady aus dem Augenwinkel an. Vermutlich fragt sie sich, inwiefern ich im Beisein meines Vaters die Wahrheit sagen kann. Dieser legt eine schützende Hand auf mein Schlüsselbein und beeilt sich, das Missverständnis aufzuklären:
»Farah hat noch nie ihre Regel gehabt. Kein einziges Mal. Darum sind wir hier. Normalerweise ist es mit fünfzehn …«
Madame Tourteau macht sich schwungvoll daran, uns zu beruhigen:
»In Frankreich beträgt das Durchschnittsalter für die erste Regelblutung zwölfeinhalb Jahre! Das heißt, manche Mädchen bekommen sie mit acht und andere mit sechzehn. So ist das nun mal.«
»Ja, СКАЧАТЬ