Tief eingeschneit. Louise Penny
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Название: Tief eingeschneit

Автор: Louise Penny

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Ein Fall für Gamache

isbn: 9783311700852

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СКАЧАТЬ und fragte sich, ob ihm genauso kalt war wie ihm selbst und er es nur nicht zeigte. Der Chief trug eine graue Pudelmütze, einen gelben Kaschmirschal und eine lange Daunenjacke in einem dunklen Beige. Er schien nicht zu frieren. Beauvoir war verblüfft, wie hübsch warm ein Anorak, eine merkwürdige Mütze, dicke Fäustlinge und all dieses Zeug bei minus zehn Grad aussahen. Ihn beschlich der Verdacht, dass möglicherweise er derjenige war, der merkwürdig aussah. Er schob diesen unerfreulichen Gedanken schnell beiseite, und schon fuhr ihm ein Windstoß durch seine schicke Fliegerjacke hindurch bis in die Knochen. Bibbernd trat er auf der Stelle. Sie standen auf einem zugefrorenen See, kalt und öde. Das diesseitige Ufer lag ungefähr hundert Meter hinter ihnen, das andere Ufer war nichts weiter als ein dunkler Strich in der Ferne. Beauvoir wusste, dass hinter der Landspitze, die sich zu ihrer Linken erhob, Williamsburg lag, aber momentan hatte er das Gefühl, dass sie sich fernab jeglicher Zivilisation befanden. Zumindest standen sie an einer Stelle, an der etwas sehr Unzivilisiertes geschehen war.

      Genau hier war jemand ermordet worden.

      Leider hatte zum betreffenden Zeitpunkt niemand etwas bemerkt.

      »Erzählen Sie mir alles, was Sie wissen«, sagte Gamache zu Lemieux.

      Das war immer einer der schönsten Momente, wie Beauvoir fand. Der Beginn eines neuen Rätsels. Aber Gamache wusste, dass dieses Rätsel, wie bei jedem Mord, vor langer Zeit begonnen hatte. Das hier war weder der Anfang noch das Ende.

      Gamache ging etwas weiter auf den See hinaus, unter seinen Schritten brach die dünne Schicht Harsch, und seine Stiefel sanken in den weicheren Schnee darunter. Gamache spürte an seinen Knöcheln das verräterische Rieseln von Wassertropfen und wusste, dass der Schnee den Weg in seine Stiefel gefunden hatte.

      »Laut Zeugenaussagen ist das Opfer einfach zusammengebrochen«, sagte Lemieux mit Blick auf den Chief, um herauszufinden, ob diesem seine Antworten genügten. Er wirkte unzufrieden, und Lemieux krümmte sich innerlich. Hatte er jetzt schon etwas falsch gemacht? »Sie haben versucht, sie wiederzubeleben, weil sie dachten, es wäre ein Herzanfall, dann haben sie sie auf einen Pritschenwagen gelegt und ins Krankenhaus gebracht.«

      »Sie sind also auf dem gesamten Tatort herumgetrampelt«, sagte Beauvoir, als wäre das Lemieux’ Schuld.

      »Ja, Sir. Ich denke, sie haben ihr Bestes getan.«

      Lemieux wartete auf eine weitere Rüge, doch sie blieb aus. Stattdessen schnaubte Beauvoir, und Gamache sagte: »Fahren Sie fort.«

      »Der Arzt in der Notaufnahme, ein Dr. Lambert, hat etwa eine halbe Stunde später die Polizei benachrichtigt. Ungefähr um halb zwölf heute Mittag. Er sagte, er habe einen ungeklärten Todesfall. Er habe den Leichenbeschauer kommen lassen, und es sehe so aus, als sei das Opfer durch einen Stromschlag getötet worden. Wie schon gesagt, offiziell hat er es als ungeklärten Todesfall bezeichnet, das muss er, bis amtlicherseits erklärt wird, dass es sich um einen Mord handelt, aber als wir ins Krankenhaus kamen, hat er deutlich gemacht, dass für ihn kein Zweifel besteht. Sie wurde ermordet.«

      »Bitte benutzen Sie ihren Namen, Agent«, sagte Gamache ohne Tadel in der Stimme. »Wir sollten Madame de Poitiers als Menschen betrachten.«

      »Ja, Sir. Sie, Madame de Poitiers, wurde genau hier durch einen Stromschlag getötet.«

      Das hatte Lemieux auch am Telefon gesagt, es hatte schon seltsam genug geklungen, als Gamache es in seinem Büro gehört hatte, aber hier am Tatort erschien es noch seltsamer.

      Wie konnte jemand mitten auf einem zugefrorenen See durch einen Stromschlag getötet werden? Früher konnte man in der Badewanne jemanden auf diese Weise umbringen, aber das war zu Zeiten, bevor in den meisten Elektrogeräten ein Fehlerstrom-Schutzschalter eingebaut war. Warf man seiner besseren Hälfte heutzutage einen Toaster in die Wanne, hatte das lediglich zur Folge, dass die Sicherung rausflog, das Gerät seinen Geist aufgab und der oder die Liebste ziemlich sauer war.

      Nein. Heutzutage war es nahezu unmöglich, jemanden mit Strom umzubringen, es sei denn, man war der Gouverneur von Texas. Es auf einem zugefrorenen See zu tun, vor den Augen Dutzender von Zeugen, wäre der reine Wahnsinn.

      Aber jemand war wahnsinnig genug gewesen, es zu wagen.

      Und jemand war schlau genug gewesen, es zu schaffen.

      Wie? Gamache sah sich langsam um, aber er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Ganz sicher schmorten auf dem Eis keine alten Fernsehgeräte oder Toaster vor sich hin. Es standen jedoch drei Gartenstühle aus Metall im Schnee, von denen einer umgekippt war. Hinter den Stühlen ragte etwas in die Höhe, das wie ein riesiger verchromter Pilz aussah, etwa fünf Meter hoch. Ungefähr sieben Meter weiter links standen ein paar Zuschauerbänke.

      Alles war zum See hin ausgerichtet, zu einer freigeräumten Fläche auf dem Eis, sieben, acht Meter von den Bänken entfernt. Gamache lief darauf zu, wobei er versuchte, nicht durch den tiefen Schnee zu gehen, und stellte fest, dass es sich um ein langes, schmales Rechteck handelte, auf dem verstreut große, runde Steine lagen.

      Curling.

      Gamache hatte diesen Sport selbst nie gespielt, aber er hatte sich die Landesmeisterschaft der Herren im Fernsehen angesehen und wusste, wie ein Curling-Stein aussah. Dem Spielfeld hier haftete etwas Unheimliches an, wie allen verlassenen Orten. Gamache konnte beinahe das Knirschen hören, mit dem die Steine über das Eis glitten, die Stimmen der Mannschaftsmitglieder, die einander etwas zuriefen. Noch vor wenigen Stunden war dieser Ort voll fröhlicher Menschen gewesen. Bis auf einen. Einer war so unfroh gewesen, so unglücklich und krank, dass er jemandem das Leben hatte nehmen müssen. Gamache versuchte sich vorzustellen, was dieser Jemand getan hatte. Wo hatte er gesessen? Mit den anderen auf den Zuschauerbänken, oder hatte er sich von ihnen abgesondert, weil er im Begriff war, etwas zu tun, das ihn für immer zum Außenseiter machen würde? War er aufgeregt gewesen, oder hatte er Todesangst verspürt? Hatte er den Mord bis ins letzte Detail geplant, oder hatte ihn plötzlich eine solch unbezähmbare Wut überkommen, dass er handeln musste? Gamache stand reglos da und lauschte aufmerksam, ob er die Stimme des Mörders hören konnte, ob sie sich von dem geisterhaften Gelächter der Kinder und den Anfeuerungsrufen der Spieler unterschied.

      Aber er konnte nichts hören. Noch nicht.

      Vielleicht gab es auch gar keine Stimmen, nur den Wind, der über den vereisten See fegte, Schnee aufwirbelte und kleine gefrorene Wellen zurückließ.

      Die Leute von der Spurensicherung spannten ihr gelbes Absperrband um den Tatort, fotografierten jeden Quadratzentimeter, sammelten alles ein, das wie ein Beweisstück aussah. Sie vermaßen und tüteten ein und nahmen Fingerabdrücke, was bei minus zehn Grad keine leichte Aufgabe war. Gamache wusste, dass sie gegen die Zeit arbeiteten. Es war kurz vor halb drei, seit dem Mord waren drei Stunden vergangen, und das Wetter wurde schlechter. Ein Tatort im Freien war immer problematisch, aber ein See mitten im Winter war mit ganz besonderen Problemen verbunden.

      »Wie kann man hier jemanden mit einem Stromschlag umbringen?«, fragte Beauvoir skeptisch. »Was sagen denn die Zeugen?«

      »Der Curling-Wettkampf begann ungefähr um zehn«, sagte Lemieux und warf einen Blick auf seine Notizen. »Bis alle an Ort und Stelle waren, war es ungefähr halb elf. Die meisten Zuschauer saßen da drüben auf den Bänken, aber das Opfer und eine zweite Frau saßen auf den Stühlen hier.«

      »Saß das Opfer auf dem, der umgefallen ist?«, fragte Beauvoir.

      »Das weiß ich nicht.« Dieses Geständnis kostete Lemieux unendliche Überwindung. Seltsamerweise sah ihn Gamache jetzt zum ersten Mal mit mehr als nur höflichem Interesse an. »Die Leute haben erst dann mitbekommen, СКАЧАТЬ