Название: Tief eingeschneit
Автор: Louise Penny
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Ein Fall für Gamache
isbn: 9783311700852
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Im Bistro angekommen, entdeckte Clara Myrna, die mit einem Glas Glühwein am Kamin saß. Sie kämpften sich aus ihren Mänteln, die sie offenbar nicht aus ihrer Umarmung lassen wollten, und legten ihre Mützen und Handschuhe auf den Heizkörper, damit sie warm blieben. Fortwährend trafen fröhlich lachende Dorfbewohner mit ihren Kindern ein, die vom Langlaufen oder Schneeschuhlaufen kamen, mit dem Schlitten den Hügel an der Mühle hinuntergesaust oder auf dem Teich Schlittschuh gelaufen waren. Einige machten sich gerade auf den Weg zum Mont St. Rémy, wo sie nachmittags Ski fahren wollten.
»Wer ist das?« Myrna deutete auf einen Mann, der allein an einem Tisch saß.
»Monsieur Molson Canadian. Er bestellt immer ein Molson Canadian. Knickert nicht beim Trinkgeld«, sagte Olivier und stellte zwei Irish Coffee vor Clara und Peter auf den Tisch und dazu ein paar Lakritzpfeifen. »Fröhliche Weihnachten.« Er küsste sie beide, dann nickte er zu dem Fremden. »Er ist vor ein paar Tagen aufgetaucht.«
»Vielleicht hat er sich irgendwo eingemietet«, sagte Myrna. Es war ungewöhnlich, Fremde in Three Pines zu sehen, weil es schwer zu finden war und nur selten jemand zufällig darüber stolperte.
Saul Petrov nippte an seinem Bier und biss in sein mit Roastbeef, schmelzendem Stilton und Rucola belegtes Baguette. Daneben lag auf dem Teller ein immer kleiner werdender Haufen von leicht gesalzenen Strohkartoffeln.
Es war vollkommen.
Das erste Mal seit Jahren fühlte sich Saul wieder wie ein Mensch. Er hatte nicht vor, diese freundlichen Leute anzusprechen, aber er wusste, wenn er es täte, würden sie ihn an ihren Tisch einladen. Genau diesen Eindruck machten sie jedenfalls. Ein paar hatten schon in seine Richtung gelächelt und ihre Gläser gehoben, ein »Santé« und »Joyeux Noël« mit den Lippen geformt.
Sie machten einen netten Eindruck.
Kein Wunder, dass CC sie verachtete.
Saul tauchte ein Kartoffelstäbchen in die winzige Mayonnaiseschüssel und fragte sich, wer von ihnen wohl der Künstler war. Der diesen erstaunlichen, schmelzenden Baum geschaffen hatte. Er wusste nicht einmal, ob es ein Mann oder eine Frau war.
Vielleicht sollte er sich erkundigen. Three Pines war so klein, dass er sicher jemanden fände, der ihm das sagen könnte. Er wollte dem Künstler gratulieren, ihn oder sie zu einem Bier einladen, über ihrer beider Kunst reden. Über etwas Kreatives reden, das nichts mit den finsteren Dingen zu tun hatte, die er mit CC teilte. Aber zuerst hatte er in Three Pines etwas zu erledigen. Sobald er das hinter sich gebracht hatte, würde er den Künstler suchen.
»Entschuldigung.« Er hob den Kopf, und eine riesige schwarze Frau lächelte auf ihn herunter. »Ich heiße Myrna. Mir gehört die Buchhandlung nebenan. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass morgen in Williamsburg ein großes Gemeindefrühstück und ein Curling-Wettkampf stattfindet. Wir gehen alle hin. Es sollen Spenden für das Regionalkrankenhaus gesammelt werden. Sie sind herzlich eingeladen.«
»Wirklich?« Er hoffte, dass seine Stimme gelassener klang, als er sich fühlte. Warum hatte er plötzlich Angst? Vor dieser Frau sicher nicht. Vielleicht hatte er ja Angst vor ihrer Freundlichkeit? Angst, dass sie ihn für einen anderen hielt. Jemanden, der interessant, talentiert und nett war.
»Das Frühstück findet im Vereinsheim der Royal Canadian Legion statt und beginnt um acht, der Curling-Wettkampf ist für zehn am Lac Brume angesetzt. Vielleicht haben Sie ja Zeit zu kommen.«
»Merci.«
»De rien. Joyeux Noël«, sagte sie in ihrem schönen, wenn auch nicht akzentfreien Französisch. Er bezahlte sein Mittagessen, ließ ein noch größeres Trinkgeld als sonst liegen, verließ das Lokal und stieg für die kurze Fahrt zum alten Hadley-Haus auf dem Hügel in sein Auto.
Er würde CC von der Veranstaltung erzählen. Es passte perfekt. Genau die Gelegenheit, auf die er gehofft hatte.
Wenn die Veranstaltung zu Ende war, hätte er auch den Auftrag, dessentwegen er hier war, abgeschlossen, und dann konnte er vielleicht mit diesen Leuten am selben Tisch sitzen.
8
»Hast du etwas gefunden?«
Chief Inspector Armand Gamache schenkte seiner Frau ein Glas Perrier ein und küsste sie auf den Scheitel, als er sich über sie beugte, um einen Blick auf das Dokument in ihrer Hand zu werfen. Es war der zweite Weihnachtsfeiertag, und sie befanden sich in seinem Büro in Montréal. Er trug, wie immer, wenn er im Büro war, einen grauen Flanellanzug, Hemd und Krawatte, und nur die elegante Kaschmirstrickjacke wies darauf hin, dass er eigentlich frei hatte. Er war zwar erst Anfang fünfzig, aber er schien aus einer anderen Zeit zu stammen, ein wahrer Gentleman. Er lächelte auf seine Frau hinunter, seine dunkelbraunen Augen betrachteten ihr leicht gelocktes ergrauendes Haar. Von dort, wo er stand, konnte er nur schwach den Duft von Joy von Jean Patou aufnehmen, dem Eau de Toilette, das er seiner Frau jedes Weihnachten schenkte. Dann ging er um sie herum und ließ sich ihr gegenüber auf dem Ledersessel nieder und rutschte in die Dellen, die er im Laufe der Jahre hineingesessen hatte. Sein Körper zeugte von den vielen Mahlzeiten, die er genossen hatte, und den ausgedehnten Spaziergängen, die er schon immer Sportarten wie Rugby vorgezogen hatte.
Seine Frau, Reine-Marie, saß in einem zweiten Ledersessel, eine riesige rot-weiß karierte Serviette auf dem Schoß, in der einen Hand ein Dossier, in der anderen ein Truthahn-Sandwich. Sie nahm einen Bissen, dann nahm sie ihre Lesebrille ab, die sie an einer Kette trug.
»Ich hatte gehofft, ich hätte etwas gefunden, aber dem ist nicht so. Ich dachte, der Ermittlungsbeamte hätte eine bestimmte Frage nicht gestellt, aber ich sehe hier, dass er das später nachgeholt hat.«
»Um was geht es?«
»Den Fall Labarré. Der Mann, der vor die Metro gestoßen wurde.«
»Ich erinnere mich.« Gamache schenkte sich ein Glas Wasser ein. Um sie herum waren fein säuberlich Akten auf dem Boden gestapelt. »Ich wusste gar nicht, dass der Fall nie abgeschlossen wurde. Du hast nichts gefunden?«
»Tut mir leid, Schatz. Ich bin nicht besonders gut dieses Jahr.«
»Manchmal gibt es einfach nichts zu entdecken.«
Die beiden nahmen neue Akten zur Hand und lasen in einvernehmlichem Schweigen weiter. Es war inzwischen eine Tradition bei ihnen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag nahmen sie Truthahn-Sandwiches, Obst und Käse mit in Gamaches Büro in der Mordkommission und verbrachten den Tag mit der Lektüre von Mordfällen.
Sie sah zu ihrem Mann, der sich in eine Akte versenkt hatte, versuchte, aus den Blättern die Wahrheit herauszukitzeln, in den nüchternen Worten, in den Fakten und Zahlen eine menschliche Gestalt zu entdecken. Zwischen jedem Paar Pappdeckel lebte ein Mörder.
Es waren die ungelösten Mordfälle. Vor ein paar Jahren hatte Chief Inspector Gamache seinen gleichrangigen Kollegen bei der Montréal Metropolitan Police aufgesucht und ihm bei einem Glas Cognac im Club Saint-Denis einen Vorschlag unterbreitet.
»Ein Austausch, Armand?«, hatte Marc Brault gefragt. »Wie stellen Sie sich das vor?«
»Ich würde den zweiten Weihnachtsfeiertag vorschlagen. Da ist es bei der Sûreté ruhig und in Ihrem Büro wahrscheinlich СКАЧАТЬ