Название: Seelische Erkrankungen bei Menschen mit Behinderung
Автор: Walter J. Dahlhaus
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
Серия: aethera
isbn: 9783825162009
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Angst als begleitendes Symptom körperlicher Erkrankungen
Ehe die eigentlichen und zentralen Angstkrankheiten angesprochen werden, ist es auch in diesem Zusammenhang zwingend erforderlich, noch einmal zu betonen, dass einer psychiatrischen Diagnose immer eine gründliche Abklärung möglicher körperlicher Ursachen vorausgehen muss. Dies gilt insbesondere für Menschen, die sich verbal nicht ausdrücken können.
internistische Erkrankungen
Mögliche internistische Erkrankungen, die mit Ängsten auftreten können, sind zum Beispiel Hypoglykämien (Unterzuckerung) bei Blutzuckererkrankungen, Eisenmangel, generell Formen einer Anämie, Schilddrüsenstoffwechselstörungen, Elektrolytstörungen sowie Lungenerkrankungen. Außerdem werden vor allem Zustände und Erkrankungen, die mit dem Herzen zusammenhängen, oft als ängstigend erlebt: Ohnmachtssituationen bzw. Synkopen (zum Beispiel verursacht durch plötzlich aufgetretenen erniedrigten Blutdruck) sowie auch schwerere Erkrankungen wie Angina pectoris, Herzschlagunregelmäßigkeiten (kardiale Arrhythmie) und natürlich die schwerste hier mögliche Erkrankung, der Herzinfarkt.
neurologische Erkrankungen
Auch im Bereich der Neurologie gibt es Erkrankungen, die mit Ängsten einhergehen können, wie Formen der Epilepsie (vor allem die Temporallappenepilepsie), multiple Sklerose, neuro-degenerative Erkrankungen sowie die Parkinson-Erkrankung (insbesondere im Hinblick auf die damit einhergehenden Bewegungseinschränkungen).
Diese Erkrankungen sollen hier nur als wenige Beispiele einer großen Anzahl internistischer oder neurologischer Erkrankungen aufgeführt werden, die zu einer Angstsymptomatik führen können.
Angst als begleitendes Symptom von frühkindlichen Hirnschäden sowie von chromosomal bedingten Syndromen
Reaktion auf Überforderung
Im Bereich von Heilpädagogik und Sozialtherapie ist Angst ein sehr häufig anzutreffendes Symptom. Fast immer tritt es als Reaktion auf eine individuelle oder spezifische Überforderung auf.
Im besonderen Maße bedürfen Menschen mit einem Fragilen X-Syndrom, aber auch Menschen mit einem Williams-Beuren-Syndrom hier unserer schützenden Aufmerksamkeit. Aber auch das Gebaren von Menschen mit einem Angelman-Syndrom muss hier genannt sein: Allzu häufig wird deren offenes, scheinbar lächelnd-zugewandtes Verhalten verkannt, dem diese Personen ausgeliefert sind.
Herauszuheben sind unter diesem Aspekt auch Menschen mit einer autistischen Veranlagung, einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Bedingt durch deren alles dominierende Sinnesverarbeitungsstörung können auch scheinbar alltägliche Sinneseindrücke überwältigend und dadurch angstauslösend wirken (Weiteres hierzu siehe in den Kapiteln über die »Psychiatrischen Aspekte heilpädagogischer Bilder« und die »Autismus-Spektrum-Störung«, Seite 277 ff. und 317 ff.).
der eigenen Angst nicht ausweichen
Das gilt es voranzustellen: Angst ist unabdingbar, Angst begleitet die gesunde Entwicklung, ja: fördert sie im immer neuen Aushalten und Bewältigen. Angst geht mit den unterschiedlichen Formen seelischer Erkrankungen einher. Das heißt aber auch: Wenn ich mich auf die Begleitung eines Menschen mit Assistenzbedarf einlasse, werde ich Angst begegnen. Und wenn ich der Angst des anderen begegne, werde auch ich mit meiner eigenen Angst konfrontiert. Und ich werde dem anderen umso mehr ermutigende Unterstützung sein, wie ich meiner eigenen Angst, meinen eigenen Ängsten nicht ausweiche.
Die Akzeptanz, selber Ängste zu haben, und ein offener und wachsend freier Umgang mit meinen eigenen Ängsten eröffnen dem anderen den Weg, sich seinen Ängsten anzunähern. Die vertrauensvolle Akzeptanz, das bewusste Einlassen auf meine Ängste ist eine wesentliche Grundlage, das Entwicklungspotenzial des anderen wahrnehmen zu können.
Auf dieser Haltung baut Therapie auf – auf der Akzeptanz, dass Angst Teil jeder Entwicklung ist, und zwar ein »not-wendiger« Teil. Und auf der Akzeptanz, dass auch ich als Begleiter nicht ohne Angst bin – sondern dass ich, wenn ich mich um Offenheit bemühe, auch meiner eigenen Angst begegne.
Fähigkeit der Dankbarkeit
Wenn wir solchermaßen mit Angst umgehen, können wir erleben, dass auf der einen Seite der Mut der Angst gegenübersteht, dass Mut helfen kann, Angst auszugleichen. Darunter liegt aber noch ein weiteres »Geheimnis«: Letztlich ist es vor allem die Fähigkeit der Dankbarkeit, die helfen kann, an der Angst zu wachsen. Dankbarkeit, die sich auf Bereiche bezieht, die außerhalb der jeweiligen Ängste liegen. Und Dankbarkeit ist lernbar!
Angst als eigenständige Erkrankung wird in dem Kapitel »Angststörungen« beschrieben, siehe Seite 199 ff.
Psychiatrische Erkrankungen
Wer, wenn nicht diejenigen unter ihnen, die ein schweres Los getroffen hat, könnte besser bezeugen, dass unsere Kraft weiter reicht als unser Unglück, dass man, um vieles beraubt, sich zu erheben weiß, dass man enttäuscht, und das heißt ohne Täuschung, zu leben vermag.
Ingeborg Bachmann
Wie in der Einleitung erwähnt, sind es die gleichen seelischen (psychischen) Erkrankungen, an denen Menschen mit und Menschen ohne Intelligenzminderung erkranken. Die eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeit vieler Betroffener »verschleiert« oft das eigentliche Geschehen.
Hinsichtlich der einzelnen Krankheitsbilder möchte ich zunächst einen allgemeinen Überblick über diese jeweilige Erkrankung geben: Erscheinungsformen, Grundsymptome – ein Basiswissen. Da die Symptomatik des jeweiligen Krankheitsbildes nicht immer unmittelbar erkennbar ist, gilt es darüber hinaus, die besonderen Erscheinungsformen jeder bekannten seelischen Erkrankung bei Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen herauszuarbeiten, und dies beinhaltet insbesondere auch, die erforderlichen spezifischen diagnostischen Zugänge darzustellen.
»Blick von außen« und »Blick von innen«
Meine Schilderung folgt dabei einem Weg, den ich auch in der jeweiligen Beratung von Betroffenen zu verfolgen versuche. So gilt es zunächst, zwei unterschiedliche Blickwinkel zusammenzuführen – den Blick »von außen« und den Blick »von innen«. Der Blick »von außen« meint: Was sehe ich – als Angehöriger, als Heilpädagoge oder Sozialtherapeut, als Arzt oder Therapeut? Was zeigt mir der andere durch sein Verhalten ebenso wie durch seine Äußerungen?
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