HIPPIES, PRINZEN UND ANDERE KÜNSTLER. Klaus Hübner
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СКАЧАТЬ oder ihre kleinen Selbstgefälligkeiten bezieht das Buch seine Farben: »Fried fand seine Gedichte gut. Er fand sie sogar sehr gut.« Oder: »Höllerer war jetzt dran. Wie eine getrocknete Eule saß er auf dem elektrischen Stuhl.« Und selbstverständlich gerät der berühmt gewordene Auftritt eines »Literatur-Beatle« aus Kärnten, der seinen Kollegen »Beschreibungsimpotenz« vorwarf, ausführlich in den Blick: Peter Handke, der mehr aus Zufall und als Schüchternheit verbrämtem Geltungsdrang heraus in Princeton seine ersten Schritte zum späteren Weltstar machte. Damals war er erst dreiundzwanzig: »Buch, der mit ihm das Zimmer teilte, glaubte, als er es zum ersten Mal betrat, dort tatsächlich ein Mädchen im Bett vorzufinden«.

      Jörg Magenau: Princeton 66. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47. Stuttgart 2016: Verlag Klett-Cotta. 223 S.

      

      Literaturgeschichte in Literaturgeschichten. Hans Christoph Buch – Literat auf Traumpfaden

      Die schöne Geschichte, die Jörg Magenau in seinem Buch Princeton 66 kolportiert hat, kommt im Tunnel über der Spree nicht vor: Angeblich habe der junge Hans Christoph Buch, als er das ihm bei der Tagung der Gruppe 47 in Princeton zugeteilte Doppelzimmer zum ersten Mal betrat, tatsächlich geglaubt, seine Gastgeber hätten an alles gedacht und ihm sogar ein Mädchen ins Bett gelegt. Es war aber kein Mädchen, sondern Peter Handke. Dreiundfünfzig Jahre ist das her.

      Jetzt blickt Buch zurück auf seine Anfänge, die prägenden Jahre im »Ostwestberlin« der Sechziger- und Siebzigerjahre. »Berlin war trotz oder wegen des Mauerbaus die Hauptstadt der deutschen Literatur.« Dort lebt der in Wetzlar geborene Diplomatensohn seit 1964. »Det is allet history!« lautet der Titel seines Porträts von Wolf Biermann, das neben einem Brief an seinen Freund Peter Schneider und Notizen zu Sarah Haffner, Uwe Johnson und Klaus Schlesinger das erste Kapitel vom Tunnel über der Spree bildet. Tunnel? In den Achtziger- und Neunzigerjahren war Hans Christoph Buch wesentlich daran beteiligt, dass Schriftsteller aus Ost und West im Literarischen Colloquium am Wannsee über Menschenrechtsverletzungen und Zensur reden und sich über das literarische Schreiben vor und nach der Wende miteinander austauschen konnten – mit dem Motto der Literatentreffen, »Tunnel über der Spree«, bezog man sich auf einen Dichterkreis des 19. Jahrhunderts, dem zeitweise auch Theodor Fontane angehörte. Ein Buchtitel für Eingeweihte.

      Literaturgeschichte in Literaturgeschichten – darum geht es. Man lernt Günter Grass, Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger, Siegfried Unseld, Marcel Reich-Ranicki, Reinhard Lettau, H. C. Artmann, Uwe Kolbe, Nicolas Born, Christoph Meckel, Gert Loschütz und zahlreiche andere Literaten näher kennen, auch Buchs Doktorvater Walter Höllerer – die Dissertation mit dem Titel Ut Pictura Poesis. Die Beschreibungsliteratur und ihre Kritiker von Lessing bis Lukács (1972) lohnt noch immer die Lektüre. Gesehen werden sie alle durch die Brille eines Autors, der mit Urteilen nicht geizt: »Es war schwer, fast sogar unmöglich, mit Günter Grass befreundet zu sein, weil er sich mit subalternen Höflingen umgab, die allem, was er sagte, schrieb und tat, ihren Segen erteilten, während er allergisch reagierte auf Kritik und von seinen Freunden Gefolgschaft verlangte … Hinzu kommt, dass er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Kollegen ungebetene Ratschläge gab.« Immer geht es in diesen leichtfüßigen Porträts von Zeitgenossen auch um das eigene Verständnis von Literatur, und mehrfach bezieht sich Buch dabei auf seine literarischen Vorbilder, zu denen Homer ebenso gehört wie Goethe, Chamisso, Kleist, Heine oder Kafka, aber auch erstaunlich viele Russen und natürlich der hochverehrte Alejo Carpentier. Hans Christoph Buch beurteilt die Überlebenskünstler des 20. Jahrhunderts rigider als Hans Magnus Enzensberger, der ihnen im vergangenen Jahr 99 literarische Vignetten gewidmet hat. Kein gutes Haar lässt er zum Beispiel an Heinrich Mann, vor allem an dessen Roman Henri Quatre, der nichts als eine »Verneigung vor Stalin« sei – auch wenn es, wie er in anderem Kontext betont, »keinen zwingenden Zusammenhang zwischen der ästhetischen Qualität und der moralischen Integrität eines Autors gibt«.

      Vom Literaten Hans Christoph Buch kann man nicht sprechen, ohne seine andere große Leidenschaft zu erwähnen, das Reisen. In die Sowjetunion und die USA, nach Kanada, Mexiko, Brasilien und China gelangte er schon als junger Mann. Haiti, wohin sein Großvater um 1900 ausgewandert war, ist ihm zum Schauplatz mehrerer Bücher geworden, auch zu dem seines bekanntesten Romans Die Hochzeit von Port-au-Prince (1984). Seine Reportagen aus Kriegs- und Krisengebieten der Welt, von Liberia und Ruanda über Tschetschenien und Afghanistan bis Bosnien und Kosovo, machten den Autor lesenswerter Romane wie Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod (2013) oder Stillleben mit Totenkopf (2018) ebenso bekannt wie seine Fiction. Einen Kosmopoliten hat man ihn oft genannt. Immer wieder suchte er Politik und Ästhetik zu versöhnen, und damit hat er sich nicht nur Freunde gemacht. »Die Literaturkritik wollte mich immer anders haben, als ich bin«, betont Buch in seiner Dankrede zum Schubart-Preis der Stadt Aalen. Dieser Schubart »passt in keine Schublade«, heißt es dort weiter, und das gilt offensichtlich auch für den Redner selbst. Jedenfalls ist er ein Fighter, der sich zu positionieren weiß: »Der Identitätsdiskurs ist eine Falle … Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Wir alle haben Patchwork-Identitäten, die es uns erlauben, über politische und soziale, religiöse und kulturelle Grenzen hinweg miteinander zu kommunizieren.«

      Hans Christoph Buch ist nun auch schon fünfundsiebzig.

      Hans Christoph Buch: Tunnel über der Spree. Traumpfade der Literatur. Frankfurt am Main 2019: Frankfurter Verlagsanstalt. 256 S.

      

      Die Geburt eines Dichters. Wie der Free Jazz die Freiheit entfesselte

      Das Motto seiner im Frühjahr 1966 in Manhattan spielenden Erzählung hat der fünfundsiebzigjährige Berliner Schriftsteller Friedrich Christian Delius in Robert Musils Mann ohne Eigenschaften gefunden: »Und die Musik hielt keinen Augenblick still, die Musik kannte kein Nein.« Die Musik, das ist der Free Jazz des Albert Ayler, der durch Slug's Saloon in der unteren Lower East Side tobt. Dorthin hat sich der dreiundzwanzig Jahre junge Ich-Erzähler von zwei Freunden entführen lassen, und was er dort erlebt, ist nichts weniger als ein »Ritus der Initiation«. Der verträumte Jüngling aus dem Pfarrhaus im nordhessischen Korbach, der nach ersten – gar nicht mal erfolglosen – dichterischen Versuchen im Westberliner Studentenmilieu um Autonomie und Selbstbewusstsein ringt, wird durch die »vulkanische Gewalt der Musik« verzaubert. Wie noch nie zuvor spürt er die unwiderstehliche Kraft von Freiheit und Schönheit, die ihn zu einem politisch wachen Künstler werden lässt. »Improvisieren, frei und doch an versteckte Regeln gebunden, so war es oft auch beim Schreiben«. Slug's Saloon wird zum Geburtsort eines jungen Dichters namens F. C. Delius.

      Den biografischen Hintergrund des Ganzen – die abenteuerliche Reise der Gruppe 47, an der auch Jungpoeten wie Hans Christoph Buch, Peter Handke oder eben Delius teilnehmen durften – hat Jörg Magenau in seinem Buch Princeton 66 beleuchtet. Doch die Gruppe 47 oder die Politik der USA in jenen Jahren, ja selbst das fulminante Konzert sind dem Erzähler von Anfang an vornehmlich Anlass zu Assoziationen. »Neben dieser Vorstellung liefen auf einer zweiten Spur im Gehirn Filme ab.« In diesen Filmen geht es um Pubertätskonflikte mit dem vom Zweiten Weltkrieg nicht unbeschädigten Vater, um die beschwiegene NS-Vergangenheit angesehener Korbacher Bürger, um frühe Küsse und Liebesschmerzen und schließlich um die Entdeckung der »Heilkraft des Schaffens und Schöpfens«. Sie macht aus dem stotternden Provinzler einen von John F. Kennedys Berliner Rede angeregten, durch die Lieder von Wolf Biermann aufgerüttelten und durch die ersten Protestaktionen gegen den Vietnamkrieg politisierten Schriftsteller. Die expressive und zugleich elegante Prosa des Büchner-Preisträgers trägt. Durch den mit einem Pasolini-Diktum begründeten und dennoch abschreckend öden Buchtitel sollte sich niemand von der Lektüre abhalten lassen.

      Friedrich Christian Delius: Die Zukunft der Schönheit. СКАЧАТЬ