HIPPIES, PRINZEN UND ANDERE KÜNSTLER. Klaus Hübner
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу HIPPIES, PRINZEN UND ANDERE KÜNSTLER - Klaus Hübner страница 15

СКАЧАТЬ mächtig gebrodelt.

      Die neue Generation, das waren damals die Beatniks und bald darauf die Hippies. 1970 lobte die Frankfurter Allgemeine Zeitung das erste Buch eines damals Zwanzigjährigen namens Tiny Stricker: Trip Generation. Der Autor hatte 1968 Abitur gemacht und war nach München gegangen – und dieses München engte ihn ein. Heini, so nannten sie ihn damals, Heini musste weg, unbedingt. Trip Generation schildert seine Erlebnisse »on the road« – 1969 ging's, wie damals nicht unüblich, über Istanbul und Teheran nach Karachi. Und weiter. Weil die Asiaten »Heini« schwer aussprechen konnten, sagten sie »Tiny« zu ihm. Im heutigen Bangladesh, genauer gesagt im Hafen von Chittagong, war dann Schluss mit der von unterschiedlichsten Menschen, Sprachen und Landschaften, von Spiritualität, Literatur, Musik und natürlich auch Drogen durchzogenen Globalbewusstseinserweiterung. Burma blieb für Ausländer gesperrt, die Kohle war alle, und überhaupt … Tiny musste Geld verdienen für die Heimreise. Neben dem Jobben hatte er Zeit für Notizen und Geschichten. Dann Kalkutta, Benares, Kabul – und zurück nach Europa

      Daheim im Schwabenland gab es einen Jugendfreund, Benno Käsmayr. Der wollte Szenebücher verlegen und machte in Augsburg den MaroVerlag auf. Zu dessen ersten Büchern gehörte Trip Generation. Als »Neuausgabe« firmiert dieses Buch heute als Band 1 der »Werkausgabe Tiny Stricker«. Ja, die gibt es. Auch die Romane Soultime und Ein Mercedes für Täbris gehören dazu, die beide im Jahr 1968 spielen. Und sie wächst immer noch: Der zehnte Band, Unterwegs nach Essaouira, erschien im September 2017.1

      Essaouira ist dort nicht nur ein weltbekannter Szenetreff in Marokko, sondern auch ein Glitzerwort für die Hippiezeit generell, für Haschischwolken und Räucherstäbchen, für die Klangteppiche von Greatful Dead und anderen Bands, für Love and Peace an den schönsten Stränden zwischen Tanger, Ibiza und Utting. Fürs ständige Unterwegssein jedenfalls, für das intensive Lebensgefühl einer ruhelosen und freiheitssüchtigen Generation. In Unterwegs nach Essaouira kommt Oberbayern mehrfach vor, zum Beispiel die schmale Dachwohnung in München-Neuhausen. »Sie lag an einer schnurgeraden, in Richtung Westen verlaufenden Straße, und weil das Haus die Nummer 77 trug und die rote Sonne effektvoll am Ende der Straße untergehen konnte, nannten sie es ›77 Sunset Strip‹ nach der gleichnamigen US-Serie.« Nebenbei wird Siloah gegründet, eine Hippieband, die zwei schöne LPs macht und sich dann wieder auflöst – die CDs oder Vinyl-LPs mit zeittypischen Songtiteln wie Krishna’s golden dope shop oder Aluminium Wind kann man noch heute erwerben, und in den USA erlebt Siloah gerade ein überraschendes Revival. Relativ unbeschwerte, von einem neugierigen Aufeinanderzugehen geprägte Zeiten lässt Tiny Stricker auferstehen, auch wenn sich das Ende der goldenen Hippiezeit schon bemerkbar macht – etwa beim alten Kumpel Willie, der plötzlich in West-Berlin studiert: »Er bediente sich jetzt einer stark akademischen Sprache, die schon nach kurzer Zeit einsetzte und die er mit großer Geläufigkeit anwandte. Er abstrahierte sofort, benutzte Ausdrücke wie ›das Nicht-So-Sein‹ oder ›dies als reale Kategorie‹, vor allem bei den gesellschaftlichen Themen, um die es bei ihm meistens ging.«

      Auch wenn Heinrich Stricker heute die Hippiezeit als »tollen Traum« bezeichnet, »leider war er ökonomisch kein bisschen durchdacht« – sein Erzähler wertet oder kommentiert nicht, sondern schildert, was war. Kritische Fragen wie zum Beispiel die, was die meist grenzenlos hedonistischen und oft total verpeilten Hippies eigentlich Brauchbares hinterlassen haben außer ein paar Songs und Gedichten, interessieren den Schreibenden nicht. Damals, vor fast fünfzig Jahren, war vieles sicherlich vollkommen sinnfrei. Aber müssen Fantasien Sinn haben? Oder sind sie selber schon der Sinn? »Abends wurden Reefer gereicht und Pläne entwickelt, die sie aber am nächsten Tag teilweise vergessen hatten oder die sich in der glanzlosen Wirklichkeit als undurchführbar erwiesen. Vielleicht fanden sie es überhaupt schwer, ihre schönen Fantasien der billigen Wirklichkeit zu opfern.«

      Heinrich Stricker verbrachte den größten Teil seines erfolgreichen Berufslebens beim Goethe-Institut. Er arbeitete in Manchester, Thessaloniki und Sarajevo, nach dem Bosnienkrieg. Und in München. Nur wenige Berufskollegen aber wussten, dass Heinrich all die Jahrzehnte hindurch Tiny geblieben war. Er ist es immer noch. Man sieht’s ihm nicht an. Kein Hippie, nirgends. Ein unscheinbarer älterer Herr. Scheinbar.

      Tiny Stricker: Unterwegs nach Essaouira (= Werkausgabe Band 10). Murnau 2017: Verlag p.machinery Michael Haitel. 110 S.

      Anmerkung

      1 Anm. d. Verlegers: Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches ist die »Werkausgabe Tiny Stricker« längst noch nicht vollständig und vor allem nicht in der Reihenfolge der chronologisch angelegten Bandnummerierung erschienen. Informationen zu den erschienenen Büchern finden sich unter www.pmachinery.de/unsere-bucher/ausser-der-reihe-werkausgabe-tiny-stricker.

      

      Diesseits der Grenze. Tiny Stricker schreibt weiter

      Eben noch on the road, jetzt Referendar am Gymnasium. Gerade noch Chittagong, nun Bayreuth. »Der Beginn der Referendarzeit war wie ein seltsames Déjà-vu, wie das Einrücken bei der Bundeswehr oder etwas ähnlich Schreckliches (schon nach drei Tagen erhielten wir einen Erste-Hilfe-Kurs, als ob wir ihn dringend nötig hätten). Es war dieses Gefühl, wieder in die Schule zurückzukehren, der man vor nicht allzu langer Zeit entronnen war, jetzt aber auf der Gegenseite, als ihr Apologet.« So beginnt Grenzland, der jüngste Band der Stricker-Werkausgabe. Anders als Trip Generation oder Unterwegs nach Essaouira spielt er ausschließlich in Bayern, und zwar in den 1970er-Jahren. Zu einer Zeit also, in der der »Eiserne Vorhang« noch nicht aufgegangen und Bayern – viel deutlicher als heute – Grenzland war. Nicht nur geografisch.

      Die Schatten des Dritten Reichs verdüstern noch immer das Gerede und Gehabe der Leute, nicht nur in der Schule. Schön könnte es sein beim Tagträumen im Hofgarten, ohne quälende Lehrproben und ohne fixe Vorstellungen davon, wie – nach Ansicht der Ausbilder – Schule abzulaufen hat. Doch das Paradies ist weit weg. Der Kalte Krieg ist spürbar, besonders im grenznahen Hof mit seinen merkwürdigen Bars und dem tief eingeschnittenen Tal der Saale, »die wie der Lethefluss nach ›Drüben‹ führte«. Tristesse überall: »Es regnete Bindfäden. Das hatte die Monotonie von Gebetsschnüren. Die äußere Welt schien dahinter zu entschwinden. Einmal, wie nach langer Zeit, blickte ich aus dem Schulfenster und sah, wie ein Vogel sich auf einen feinen, geschmeidigen Zweig setzte, dass die Tropfen in alle Richtungen spritzten, und sich dann von dem zitternden Zweig emporschwang und vom Wind getrieben herrlich davonflog.«

      Gegenwelten? Ja, die allerdings etwas konturlos bleibende Freundin, ein Urlaub im Süden, Glücksmomente im Englischen Garten, die geplante Tunis-Reise. Sogar Wagners Venusberg-Musik oder nächtliche Eskapaden in der Bayreuther Eremitage. »Die Zeit ausschalten und in die reine Anschauung versinken, durch Seitenblicke die gewohnten Bahnen verlassen« – in der Referendariatszeit gelingt das nur sehr, sehr selten. Erfülltes Leben sieht anders aus.

      Tiny Stricker: Grenzland (= Werkausgabe Band 8). Murnau 2018: Verlag p.machinery Michael Haitel. 84 S.

      

      Rückblicke. Alternative Literatur – was war das denn?

      Spätestens seit Mitte der 1960er-Jahre wurde es unruhig in der zuvor recht konformen, allmählich richtig wohlhabenden und insgesamt ein bisschen langweiligen bundesrepublikanischen Gesellschaft. Politische Turbulenzen, Demos, Happenings und ziviler Ungehorsam, Ausprobieren neuer Lebensformen in Kommunen und Wohngemeinschaften, bizarre Modekapriolen, Beat-, Rock- und Popmusik – und überall diese Langhaarigen, die schon wegen ihres Aussehens jeden braven Bürger provozieren mussten. Plötzlich gab es eine »alternative« Presse – und eine »alternative« Literatur. СКАЧАТЬ