Название: HIPPIES, PRINZEN UND ANDERE KÜNSTLER
Автор: Klaus Hübner
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная прикладная и научно-популярная литература
isbn: 9783957658975
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Reiner Kunze, den großen Dichter vom Obernzeller Sonnenhang über der Donau, muss man niemandem vorstellen. Fünfundachtzig ist er in diesem Jahr geworden, und elf Jahre hat es gedauert, bis seinem wunderbaren Lyrikband lindennacht eine neue, schmale Gedichtsammlung gefolgt ist: die stunde mit dir selbst. Weil es darin kein einziges schwaches Gedicht gibt und eine Rezension nur zur Eloge werden könnte, greife ich höchst willkürlich nur eines heraus: Verlangt vom dichter nicht. Willkürlich? Na ja.
Ich stelle fest: In den Medien, die sich überhaupt noch mit Gedichten beschäftigen, nimmt die Tendenz zu, sich mehr den dichtenden Personen zuzuwenden als ihren lyrischen Werken. Klar, das gab es schon immer, und dagegen ist auch wenig zu sagen, solange – ja, solange die Poesie selbst dabei nicht ganz an den Rand gedrängt wird. Das aber, scheint mir, geschieht immer öfter. Ich lese die folgenden sechs Kunze-Zeilen auch als Mahnung. An alle, auch an die Dichter selbst. Vor allem aber an die Lesenden und die Schreibenden: »Verlangt vom dichter nicht, / was einzig das gedicht kann leisten / Verlangt vom dichter / das gedicht / Ist’s ohnegleichen / kann er das wasser ihm nicht reichen.«
Reiner Kunze: die stunde mit dir selbst. Gedichte. Frankfurt am Main 2018: S. Fischer Verlag. 70 S.
Reiner Kunze: lindennacht. Gedichte. Frankfurt am Main 2007: S. Fischer Verlag. 111 S.
… herbstwärts das leben hinab. erdanziehung – Neue Gedichte von Wulf Kirsten
Kürzlich wurde Wulf Kirsten fünfundachtzig Jahre alt, und es gereicht der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung durchaus nicht zur Ehre, diesem eminenten Poeten den Büchner-Preis vorenthalten zu haben. Seit einem halben Jahrhundert schreibt er Gedichte, die sich in die europäische Tradition freirhythmischer Landschaftsdichtung einfügen lassen und dennoch, sozialethisch grundiert, nicht darin aufgehen. Der Echoraum von Brockes und Herder bis Bobrowski und Huchel bleibt auch in erdanziehung präsent, schiebt sich aber nirgends in den Vordergrund. Die Schreckensgeschichte des 20. Jahrhunderts, »als die produktion von volksfeinden auf vollen touren lief, ab in den gulag«, schimmert überall durch, und die Gegenwart, unterwegs nach Absurdistan, lässt sich nicht ignorieren. Noch einmal zeigt Kirsten, was er kann: Dichtung auf der Höhe der Zeit.
Zeitkritik gerinnt zum prägnanten Sprachbild: »dunkelmanngemunkel« herrscht fast überall, »eurokrawalleristen von unergründlicher geistesbeschränktheit« machen sich breit, heftige »vertrauensschwindsucht bei sozialer schieflage« ist zu beobachten, und Kultur »degeneriert zur sättigungsbeilage«. Auch scheint eine gewisse Seinsvergessenheit um sich zu greifen: »… es fragt sich nur, wer noch wollte / und sollte das überirdische hören, wo / alle ohren verstöpselt, alle blicke / weltab gerichtet auf smartphones, / die dazu verhelfen, nicht mehr gewahr / zu werden die sie umfangende welt.« Dass der lyrische Blick öfter auf die eigene, alles andere als idyllische Kindheit fällt, darf nicht verwundern: »… allen unrat, den der krieg hinterließ / an stahlhelmen, gasmasken, feldspaten / in die steinbrüche geschaufelt / straßenrandgräber, biographien ausgelöscht … wer war denn ich, / der dies erlebt haben soll? …«. Auch treffliche Gedenkblätter enthält dieser Band, Hommagen an Lyonel Feininger, Joseph von Eichendorff oder den Erfurter Lyriker Johann Jeremias Kummer. Gedichte zum Immer-Wieder-Lesen entstanden zwischen 2011 und 2018 – bukowinisch heißt eines von denen, die man gewiss nicht mehr vergisst.
Wulf Kirsten: erdanziehung. Gedichte. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2019. 93 S.
Den Wendelstein fest im Blick. Gespräch über Rainer Malkowski
Rainer Malkowski, 1939 in Berlin geboren, zog sich im Alter von zweiunddreißig Jahren aus einem überaus erfolgreichen Berufsleben zurück und wurde ein von Kollegen, Kritikern und Lesern hochgeschätzter, mit bedeutenden Preisen geehrter Dichter. Seinem ersten Lyrikband Was für ein Morgen (1975) folgten acht weitere Gedichtbände sowie Kurzprosa, Essays, Aphorismen und Kinderbücher. Dazu kommt eine Vielzahl von Arbeiten für Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunk. Auch als Anthologist, Herausgeber und Interpret war Rainer Malkowski tätig. Bis zu seinem Tod im Jahr 2003 lebte er in Brannenburg am Inn.
Ludwig Steinherr, 1962 in München geboren und bis heute dort lebend, studierte Philosophie und promovierte über Hegel und Quine. Er ist Universitätsdozent und freier Schriftsteller. Steinherr hat mehrere Gedichtbände veröffentlicht, die zum Teil auch in andere Sprachen übersetzt wurden. Zuletzt erschienen die Lyriksammlungen Flüstergalerie (2013) und Ganz Ohr (2012).
Herr Steinherr, wie gut kannten Sie Rainer Malkowski? Sie wurden ja erst kurz vor seinem Tod Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Haben Sie ihn früher schon persönlich getroffen?
Ich kannte Rainer Malkowski seit 1985. Wir sind uns bei den verschiedensten Gelegenheiten begegnet. Einmal haben meine Frau und ich das Ehepaar Malkowski in Brannenburg besucht. Wenn Rainer Malkowski nach München kam, rief er mich manchmal an und wir trafen uns auf einen Kaffee oder Wein.
Hatte Malkowski etwas von einem zuweilen melancholischen, dann aber auch sehr tatkräftigen Existenzialisten an sich? Immerhin lautet einer seiner Aphorismen: »Fürchten Sie nichts. Es ist alles viel schlimmer.«
Schwer zu sagen. Ich habe Malkowski eigentlich weder als erklärten Existenzialisten noch als besonders melancholisch erlebt. Er hatte immer wenig übrig für Illusionen – aber er mochte auch keine negativen Übertreibungen. Der zitierte Aphorismus ist sicher kein Lebensfazit.
Malkowski spricht einmal von der Gründung eines »Clubs der Ziellosen« und schreibt in diesem Zusammenhang: »Das Tagungsprotokoll wird in den Wind gesprochen und endet immer mit dem Satz: Es wurden keine Beschlüsse gefasst.« Gehört ein guter Lyriker grundsätzlich so einem »Club der Ziellosen« an? Oder kann er, ohne dass sein Werk darunter leidet, auch ganz konkrete Ziele verfolgen, politische womöglich?
Auch hier muss ich sagen, dass mir Rainer Malkowski selbst nie ziellos schien. Dinge, die ihm wichtig waren, verfolgte er sehr zielstrebig, sonst hätte er es weder in seinem früheren Brotberuf, in der Werbung, noch als Lyriker so weit gebracht. Zum Alltag des Dichters gehört natürlich eine gewisse Ziellosigkeit, die aber doch einem Ziel dient – wie etwa das Herumstreifen des Jägers.
Malkowskis Gedichte, die oft von ganz alltäglichen Erfahrungen sprechen, scheinen einfach zu sein. Lakonisch sind sie meist, sparsam und knapp. Man hat von einer »Ästhetik der Kürze, Einfachheit und Prägnanz« gesprochen. Ist seine Lyrik wirklich einfach?
Rainer Malkowski würde hier wohl ähnlich wie in seiner Dankesrede für den Joseph-Breitbach-Preis antworten: Auch das Meer ist einfach.
»Wahrnehmung als Ereignis«, das ist ein Stichwort für Malkowskis Werk. »Unsere Lieblingsgedichte sind wahrscheinlich jene, bei denen wir am deutlichsten fühlen, dass sie uns sehend machen«, sagt er. Sehen Sie das ähnlich?
Ich empfinde da wie Malkowski – ich erwarte vom Gedicht eine Eröffnung, eine Erkenntnis, die so unmittelbar ist wie das plötzliche Sehen. Die Metapher des Sehens lag bei Malkowski natürlich nahe, weil er sein Leben lang von Erblindung bedroht war – aber ich denke, er war auch so ein Augenmensch. Das bin ich ebenfalls.
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