Antisemitismus. Achim Bühl
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СКАЧАТЬ letztere als eine ernste Gefahr »für unser Volkstum« bezeichnet. Während die »Arier« schwer körperlich arbeiteten, eigneten sich die »Semiten« die Früchte ihrer dienstbaren Arbeit an und wohnten in den »stolzesten Palästen« der Großstädte. Der Sozialneid wird verkoppelt mit dystopischen Szenarien, die mit den Worten »Überwuchern des jüdischen Elementes« sowie »massenhaftes Eindringen semitischer Elemente in allen Stellungen« beschrieben werden. Das »semitische Element« erobere systematisch alle Positionen, die mit Macht und Herrschaft verbunden seien. Dem müsse auf der Stelle Einhalt geboten werden. Um der »Gefahr im Verzuge« zu begegnen, lauten die Forderungen der Petition:

      »1.dass die Einwanderung ausländischer Juden, wenn nicht gänzlich verhindert, so doch wenigstens eingeschränkt werde;

      2.dass die Juden von allen obrigkeitlichen (autoritativen) Stellungen ausgeschlossen werden und dass ihre Verwendung im Justizdienste – namentlich als Einzelrichter – eine angemessene Beschränkung erfahre;

      3.dass der christliche Charakter der Volksschule, auch wenn dieselbe von jüdischen Schülern besucht wird, streng bewahrt bleibe und in derselben nur christliche Lehrer zugelassen werden, dass in allen übrigen Schulen aber jüdische Lehrer nur in besonders motivierten Ausnahmefällen Anstellung erlangen;

      4.dass die Wiederaufnahme der amtlichen Statistik über die jüdische Bevölkerung angeordnet werde.« (Reichsbote Nr. 269, 16. November 1880)

      Am 20. und 22. November 1880 wurde die Antisemitenpetition im Preußischen Abgeordnetenhaus debattiert. Der Antrag stammte von den Linksliberalen, von denen Rudolf Virchow (1821–1902) eine diesbezügliche Grundsatzrede hielt, in der er die Kampagne mit den Worten tadelte:

      »Wir, meine Herren, wir glauben allerdings, dass für uns der Augenblick eingetreten ist, hindernd einzutreten, wenn unmittelbar an die Regierung gegangen wird, wenn eine Bewegung im Lande inszeniert wird, welche darauf ausgeht, nicht nur die schwer erworbenen Grundlagen unserer Verfassung zu alterieren, sondern auch Gesetze, welche schon vor derselben bestanden. […] Es handelt sich gar nicht mehr bloß um die Rechte, welche durch die Verfassung erworben sind, es handelt sich gegenwärtig auch schon darum, dass man Rechte in Frage stellt, welche durch die Gesetzgebung des Jahres 1812 für die Juden gewonnen worden sind. Ich habe das Gesetz vom 11. März 1812 vor mir, in welchem die Juden für Einländer und preußische Staatsbürger erklärt werden und in welchem genau festgestellt worden ist, was ihnen zusteht; das steht schon in § 8, dass sie ›akademische Lehr-, Schul- und Gemeindeämter, zu welchen sie sich geschickt gemacht haben, verwalten können‹, und im § 9 ›inwiefern die Juden zu anderen öffentlichen Verwaltungs- und Staatsämtern zugelassen werden können, behalten wir uns vor, gesetzlich zu bestimmen.‹ Das war ein bestimmtes Versprechen, und wenn noch eine so lange Zeit vergangen ist, von 1812 bis 1848, ehe das Wort eingelöst hat, so müssen Sie doch nicht sagen, dass das ein besonderes Entgegenkommen gewesen ist, und dass nun die Juden in Folge dieses Entgegenkommens nach mehr als zwei Menschenaltern in tiefste Bescheidenheit sich zurückziehen sollten. […] Wie kann man jetzt dahin kommen, den Juden vorzuhalten: euch sind im Jahre 1848 Rechte gegeben worden, ihr solltet euch wohl hüten, diese Rechte voll anzuwenden?« (Protokoll der Sitzung des Preußischen Landtags vom 20. November 1880. Sonderdruck: Die Judenfrage vor dem preußischen Landtage, Berlin 1880, S. 26/27)

      Virchows Agieren im Abgeordnetenhaus brachte die Antisemiten auf den Plan, die ihn in ihren Flugblättern nunmehr als »Jude Virchow« bezeichneten, was fälschlicherweise auch in einem medizinhistorischen Werk aus dem Jahr 1931 übernommen wurde. Zu den Befürwortern der antisemitischen Petition gehörte auch der Kulturwissenschaftler Jacob Burckhardt (1818–1897), in dessen Briefen an seinen Freund Friedrich Adolf Philipp Karl von Preen es heißt:

      »Dem Semiten würde ich gegenwärtig große Klugheit und Mäßigung anraten und glaube selbst dann nicht mehr, dass die gegenwärtige Agitation wieder einschlafen werde. […] Dass aber diejenigen neun Zehntel der deutschen Presse, welche von Juden produziert werden, laut über unser Referendum schimpften, ist sehr begreiflich, denn wenn es im Deutschen Reich zu einem solchen Referendum über Weiterexistenz der Juden käme, so garantiere ich dafür, dass eine noch viel größere Stimmenquote als die unsrige […] für Austreibung der Juden stimmen würde.« (Burckhardt 1934: 89/90)

      Bereits unmittelbar vor der Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus war in der Berliner Presse die von 75 Personen gezeichnete Notablen-Erklärung erschienen, welche von der Wiederbelebung eines alten Wahns sprach, der die gesellschaftlichen Verhältnisse vergifte. Die Notablen-Erklärung endete mit einem Aufruf zur Gegenwehr der Zivilgesellschaft:

      »Noch ist es Zeit, der Verwirrung entgegen zu treten und nationale Schmach abzuwenden; noch kann die künstlich angefachte Leidenschaft der Menge gebrochen werden durch den Widerstand besonnener Männer. […] Vertheidiget in öffentlicher Erklärung und ruhiger Belehrung den Boden unseres gemeinsamen Lebens: Achtung jedes Bekenntnisses, gleiches Recht, gleiche Sonne im Wettkampf, gleiche Anerkennung tüchtigen Strebens für Christen und Juden.« (Rickert 1890: 20)

      Erstunterzeichner der Notablen-Erklärung waren u. a. der Historiker Johann Gustav Droysen (1808–1884), der Pathologe Rudolf Virchow und der Althistoriker Theodor Mommsen (1817–1903). Mommsen hatte Treitschke bereits zuvor in einer Akademierede kritisiert ohne ihn namentlich zu erwähnen. Nach Veröffentlichung der Notablen-Erklärung wurde die Debatte „Mommsen contra Treitschke“ zunächst in Gestalt diverser Leserbriefe in Berliner Zeitungen geführt, bevor Mommsen im Dezember 1880 mit seinem Aufsatz Auch ein Wort über unser Judentum unmittelbar eingriff. Treitschke, der seine Stellung als Universitätsprofessor dafür missbrauchte, Studenten zum Unterschreiben der Antisemitenpetition zu bewegen, dementierte auf Nachfrage Mommsens diese unterzeichnet zu haben, was zur „Treitschke-Dulon-Affäre“ führte, da der Leipziger Jurastudent und Organisator des Komitees zur Verbreitung der Petition unter der Studentenschaft Paul Dulon dies als Falschaussage bezeichnete.

       1.4Die „Rassenlehre“ und der Manichäismus

      Versteht man den Antisemitismus als Form des Rassismus, so erübrigt sich damit nicht die Antwortsuche nach dem Wesen seiner Spezifik. Die Besonderheit der Judenfeindschaft liegt im mörderischen Agieren des Antisemiten, was im 11. Jh. bereits die Kreuzzugsbewegung offenbarte. Fragen ließe sich diesbezüglich, ob der Kern der antisemitischen Ideologie vom ideologischen Gehalt anderer Spielarten des Rassismus abweicht, inwieweit der spezifische Gehalt der antisemitischen Ideologie mit dazu beitrug, dass es immer wieder zu gewalttätigen Exzessen im Verlauf der Historie kam, die auf singuläre Weise in der Shoah kulminierten. Zwar ist die Substanz der antisemitischen Ideologie qualitativen Änderungsprozessen unterworfen, essentielle Grundzüge blieben indes über Jahrhunderte hinweg unverändert. Dieser konstante Charakter der antisemitischen Ideologie lässt sich als Manichäismus bezeichnen und verleiht dieser den Charakter einer Weltanschauung.

      Unter Manichäismus zu verstehen ist nicht einfach nur ein dualistisches System von „Licht-“ und „Schattengestalt“, insofern der konstruierte Antagonismus zwischen Wir-Gruppe und Fremdgruppe allen Rassismen zu eigen ist, sondern ein binäres System, welches sich dadurch auszeichnet, dass sich die Prinzipien des Lichts („Arier“) und der Finsternis („Semiten“) in einem permanenten Kampf miteinander befinden.

      »Das Menschengeschlecht aber teilte sich bald in zwei gegensätzliche Parteien, weil die einen die Sakramente des Teufels, die anderen aber die Sakramente Christi annahmen. Es bildeten sich zwei Familien, Christi Familie und die Familie des Teufels.« (Hugo von St. Viktor: De sacramentis, Sp. 312B, zitiert nach Althoff 1998: 207)

      Dieser immerwährende Kampf wird erst in einer heilsgeschichtlich als Erlösung der Menschheit wie des einzelnen Individuums gedachten Endzeit überwunden. Die Vernichtung der Essenz des „Fremden“ – sei diese religiös, kulturell, ethnisch oder physisch СКАЧАТЬ