Antisemitismus. Achim Bühl
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СКАЧАТЬ solchen vaterlandslosen Gesellen wie Verräter wollte Drumont im frz. Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus (1859–1935) ausgemacht haben, den am 22. Dezember 1894 ein Kriegsgericht in Paris des Landesverrats für schuldig befand. Der in Karikaturen als »Verräter« titulierte sowie als drachenförmiges Ungeheuer mit medusenförmigem Kopf dargestellte Dreyfus wurde bezichtigt, geheime Informationen über die frz. Artillerie dem dt. Militär ausgeliefert oder die Tat zumindest geplant zu haben. Im Januar 1895 wurde Dreyfus nach militärischer Degradierung auf die berüchtigte Teufelsinsel verbannt. Obwohl bereits im Sommer 1896 die Haltlosigkeit der Anschuldigungen zutage trat, hielten die Antidreyfusards an der Verurteilung des jüdischen Offiziers fest, was zunehmend zur innenpolitischen Spaltung Frankreichs führte. Hintergrund der Blockadepolitik des von den Dreyfusards angestrebten Revisionsverfahrens bildete die Angst vor einer Blamage der Generalität und der frz. Regierung ebenso wie die in Frankreich erstarkte Judenfeindschaft. Der Antisemitismus hatte durch Drumont kräftig Aufwind erhalten, sodass sich im Jahr 1898 die antisemitische und rechtsextreme Gruppierung „Action française“ bildete, die Dreyfus als Heuchler im Sinne der Verschwörungstheorien Drumonts betrachtete. In Frankreich war das „Fin de Siècle“ von einer antisemitischen Stimmung geprägt, welche die bürgerliche Gleichstellung der Juden rückgängig zu machen gedachte. Für die monarchistisch-nationalistische Gruppierung „Action française“ bildeten die Juden typische Vertreter der verhassten Französischen Revolution, die als Verschwörung von Juden, Freimaurern und ausländischen Mächten betrachtet wurde.

      Hintergrund der Dreyfus-Affäre bildeten nicht zuletzt die ökonomischen Krisenprozesse in den 1880er-Jahren in Frankreich. Dem Pariser Börsenkrach von 1882 folgte der Zusammenbruch der „Bank Union Générale“, den Émile Zola zum Gegenstand seines im Jahr 1890 erschienenen Romans Das Geld machte. Der Bankrott der katholischen Bank bedeutete vor allem den Ruin kleinerer Sparer. Obwohl für das Missmanagement der Bank allein der Gründer sowie die Leiter der Bank die Schuld trugen, machte die katholische Presse den Bankier Rothschild verantwortlich und sprach vom »jüdischen Kapital«, welches sich gegen das »katholische Kapital« verschworen habe. Im Jahr 1889 musste die zur Finanzierung des Panamakanals gegründete „Compagnie de Panama“ Konkurs anmelden. Obwohl sich die unvermeidliche Pleite bereits deutlich abzeichnete, beteiligte sich die frz. Politik an einem dubiosen Rettungsversuch mittels einer Lotterie und verschwieg der Öffentlichkeit das drohende Ausmaß der Verluste für die Aktionäre. Große Teile der Bevölkerung verloren ihr Vertrauen in Wirtschaft und Politik, sodass Verschwörungstheorien um sich griffen.

      Drumont bediente mit seinem Werk La France juive die wachsende Aufnahmebereitschaft für einfache Erklärungsansätze und nutzte die zahlreichen Neuauflagen seines Buchs sowie seine Zeitung La Libre Parole, um seine Verschwörungstheorien zu erweitern, indem er jeweils das aktuelle Tagesgeschehen einarbeitete. Stets blieben für Drumont die Drahtzieher des Übels „die Juden“, die aus seiner Sichtweise in trauter Eintracht mit den Freimaurern sowie den Protagonisten der Französischen Revolution agieren. Sein Werk beabsichtige zu zeigen, so der frz. Journalist im Vorwort von La France juive, »welche Rolle bei der Zerstörung Frankreichs die Aufpfropfung eines fremden Körpers in den bis dahin gesunden Organismus spielte«. Drumonts diesbezügliche Methode bestand wie bei Glagau darin, jüdische Personen dezidiert zu markieren und so den Eindruck zu erwecken, Handel und Börse seien vom Judentum »unterwandert«. Im Fall der katholischen Bank „Union générale“ griff Drumont den Sachverhalt auf, dass es sich bei ihrem Gründer um einen ehemaligen Angestellten Rothschilds handelte, bei der „Compagnie de Panama“ reichte ihm bereits der Sachverhalt, dass auch jüdische Geschäftsleute im Skandal verwickelt waren. Bezüglich der Presse vermerkte er:

      »Da nun in Frankreich fast alle Zeitungen und Organe der öffentlichen Meinung in den Händen der Juden sind, oder doch indirekt von ihnen abhängen, so ist es vollständig erklärlich, daß die Bedeutung und die Tragweite dieser ungeheuren antisemitischen Bewegung, wie sie sich jetzt allerorten gestaltet, todtgeschwiegen wird.« (Drumont 1890: VIII)

      Die Dreyfus-Affäre kam Drumont insofern wie gerufen, als er sich durch den Fall des jüdischen Offiziers eine Auflagenstärkung seiner Zeitung erhoffte, die er zum Sprachrohr der Antidreyfusards machte und dergestalt mit einer neuerlichen Verschwörungstheorie aufwarten konnte. Nachdem die Juden bereits die Börse und den Handel unter ihre Kontrolle gebracht hätten, so ließ Drumont verlauten, beabsichtigten sie nunmehr das frz. Militär zu unterwandern. Der „Fall Dreyfus“ belege, dass die Juden nicht davor zurückschreckten, Frankreich an den dt. Feind auszuliefern. „Der Jude“ als „Feind im Inneren“ wurde so zugleich zum außenpolitischen Gegner konstruiert. In einer Zeit, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 bedingt durch die Gebietsverluste von Elsass und Lothringen sowie durch auferlegte Reparationen in Höhe von fünf Milliarden Franc von Hass wie tiefem Misstrauen gegenüber Deutschland geprägt war, verschmolzen „Jude“ und „Deutscher“ nahezu zu einem Synonym. Spionage und Verrat bildeten höchst aufgeladene Themen und wurden von nationalistischen Politikern und Journalisten wie Drumont antisemitisch aufgeladen.

      Zu Beginn waren es nur wenige Personen, die von der Unschuld des frz. Artillerieoffiziers überzeugt waren. Unterstützung erhielt Dreyfus anfänglich nur aus dem engsten Kreis der Familienangehörigen. Immer mehr Ungereimtheiten gelangten indes ans Licht der frz. Öffentlichkeit. Erst der am 13. Januar 1898 in der Tageszeitung L’Aurore veröffentlichte offene Brief des Schriftstellers Émile Zola (1840–1902) mit dem Titel J’Accuse …! leitete jedoch die entscheidende Wende im Fall Dreyfus ein. Zola griff in seinem Artikel die frz. Generalität wegen Vertuschung, Beweisfälschung sowie Rechtsbeugung an und sprach mit deutlichen Worten vom Antisemitismus der Generäle sowie der Journalisten der »Schmutzpresse«. Zwar führte Zolas Brief zunächst zu dessen Verurteilung wegen „Verleumdung“, doch aus dem „Fall Dreyfus“ war längst ein Kampf um die weitere politische Ausrichtung der Republik geworden, der die frz. Gesellschaft in zwei Lager spaltete. Erst bei den frz. Parlamentswahlen gelang es dem republikanischen Block, sich gegen die monarchistisch-klerikalen Kräfte durchzusetzen. Nach erfolgter Begnadigung wurde Dreyfus im Jahr 1906 endgültig freigesprochen. Die Resonanz von Drumont auch in intellektuellen Kreisen verdeutlicht ein privater Brief Jacob Burckhardts, in dem es heißt:

      »Bode erzählte mir, einer der Pariser Rothshilds habe für Tizians Amor sacro e profano 6 Millionen geboten. Auf diese Kunde habe ich wieder ein paar Bände Drumont vorgenommen.« (Burckhardt 1934: 90)

      Auch nach Beendigung der Dreyfus-Affäre, die maßgeblich zur Entwicklung einer laizistischen Verfassung in Frankreich beitrug, blieb Drumont sowohl diesseits wie jenseits des Rheins einer der meistgelesenen antisemitischen Autoren.

       1.6„Die Linke“ und „die Juden“

      Am 27. Oktober 1893 hielt August Bebel auf dem Kölner Parteitag der Sozialdemokratischen Partei ein Grundsatzreferat, welches das Verhältnis der Sozialdemokratie zum Antisemitismus klären sollte. Seit drei Jahren war das Sozialistengesetz, das zwischen 1878 und 1890 galt und sozialdemokratische bzw. sozialistische Vereine, Versammlungen und Schriften verbot, nicht mehr in Kraft. Am 15. Juni 1893 war der Reichstag gewählt worden und der vom Sozialistengesetz befreiten Sozialdemokratischen Partei war es gelungen, 23,3% der Stimmen zu erzielen, womit sie einen Stimmengewinn verbuchen konnte und nach Stimmenanteil stärkste Partei war. Zulegen konnten auch die antisemitischen Parteien, die zwar nur auf 3,7% der Stimmen kamen, was einem Plus von 2,7% entsprach, doch mit 16 Abgeordneten (SPD: 44) alles andere als unbedeutend waren, zumal der Antisemitismus keineswegs auf die Antisemitenparteien beschränkt war, so vertrat etwa auch die Deutschkonservative Partei (DKP) antisemitische Positionen. Die DKP hatte bereits bei früheren Reichstagswahlen auf antisemitische Ressentiments gesetzt und stellte im Jahr 1893 mit 72 Abgeordneten die stärkste Fraktion. Als sich gegen Ende der 1880er-Jahre im dt. Kaiserreich eine zweite Welle des Antisemitismus abzeichnete, reagierten auf diese Entwicklung liberal- und humangesinnte Personen, die 1890 den „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ gründeten.

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