Antisemitismus. Achim Bühl
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СКАЧАТЬ an Staat und Gesellschaft sein.« (Dühring 1892: 136/137)

      Dühring ist als einer der maßgeblichen Propheten des dt. Nationalsozialismus zu bezeichnen, insofern bei ihm der Rassenantisemitismus ganz und gar im Vordergrund steht und selbst die jüdische Religion als solche nur noch als Ausdruck von Rasseeigenschaften erscheint.

      Gleichfalls zu den Propheten der Nazis zu zählen ist der Theologe und Orientalist Paul de Lagarde (1827–1891). Lagarde propagierte ein völkisches Christentum, welches von allen jüdischen Elementen zu reinigen sei, so etwa in seiner im Jahr 1873 erschienenen politischen Schrift Über das Verhältnis des dt. Staates zu Theologie, Kirche und Religion. Wie bei so manchem Judenfeind, radikalisierte sich auch der Antisemitismus des Kulturphilosophen Lagarde, der im Jahr 1881 zum Schluss gelangte »wer Beschneidung, Speisegesetze, jüdischen Monotheismus und Aehnliches als eine Forderung der Religion ansieht, gehört nach Palästina, aber nicht in den deutschen Staat.« Die Juden bildeten für Lagarde das Haupthindernis auf dem Weg zur »inneren Reichseinheit«. Zwar war die völlige Assimilation der Juden auch vor Lagarde das Ziel antisemitischer Autoren, doch der Berliner Gymnasiallehrer verband diese Sichtweise mit der Forderung nach einer unerbittlichen Aussiedelung der Juden, falls diese nicht »vom Judenthume geheilt werden« könnten. Bereits in einem Vortrag aus dem Jahr 1853 heißt es:

      »Bleiben die Juden in Mitteleuropa, so müssen sie ihr Judenthum (auch ihre Religion) so aufgeben, dass sie als Juden gar nicht mehr erkennbar sind. Aber um Gottes willen, ganz herein mit ihnen, oder ganz hinaus.« (Lagarde 1903: 35)

      Die fortschreitende Radikalisierung Lagardes wird am Tatbestand deutlich, dass dieser in den kommenden drei Jahrzehnten die Position der Rassentheoretiker übernahm und nunmehr von den Juden als »fremder Rasse« sprach. So heißt es in der Schrift Die Stellung der Religionsgesellschaften im Staate von 1881, die sich der Begrifflichkeit des „Semiten“ bedient und verdeutlicht, warum Lagarde als Prophet des dt. Nationalsozialismus zu betrachten ist:

      »Die Alliance Israeélite ist nichts als eine dem Freimaurerthume ähnliche internationale Weltherrschaft, auf semitischem Gebiete dasselbe was der Jesuitenorden auf katholischem ist: ihr bloßes Dasein erhärtet, daß die in Deutschland, Frankreich, England wohnenden Juden nicht Deutsche, Franzosen, Engländer, sondern Juden sind. […] Jeder fremde Körper in einem lebendigen anderen erzeugt Unbehagen, Krankheit oder sogar Eiterung und Tod. […] Die Juden sind als Juden in jedem europäischen Staate Fremde, und als Fremde nichts anderes als Träger der Verwesung.« (Lagarde 1903: 255/256)

      In Lagardes Spätschriften wird bereits der Vernichtungsantisemitismus des dt. Nationalsozialismus sichtbar, insofern die Juden hier stets aufs Neue mit Termini wie »Krankheit«, »Eiterung«, »Fieber«, »Bazillen«, »Trichinen« sowie »Ungeziefer« konnotiert werden:

      »Ich habe längst […] Haarsträubendes über die Wucherjuden […] gehört. […] Es handelt sich übrigens nicht allein um den Geld- und Kreditwucher, sondern auch um den Viehwucher, den Grundstückswucher, den Warenwucher. Die Praktiken der Wucherer sind überall dieselben […]. Erkunde oder beobachte man doch, wieviel Prozent dieser Wucherer Juden sind! […] Es gehört ein Herz von der Härte einer Krokodilhaut dazu, um mit den armen, ausgesogenen Deutschen nicht Mitleid zu empfinden, und – was dasselbe ist – um die Juden nicht zu hassen, um diejenigen nicht zu hassen und zu verachten, die – aus Humanität! – diesen Juden das Wort reden, oder die zu feige sind, dies wuchernde Ungeziefer zu zertreten. Mit Trichinen und Bazillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bazillen werden auch nicht erzogen, sie werden so rasch und so gründlich wie möglich vernichtet.« (Lagarde 1924: 209)

      Neben überkommenen Motiven des Judenhasses treten hier im Kontext dehumanisierender Pathologisierung der Juden (»Trichinen«, »Bazillen«) die Tötungsfantasien des Autors offen zu Tage. Der manichäistische Antagonismus zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gut und Böse, zwischen Ordnung und Chaos wird bei Lagarde durch die endgültige Trennung per Vernichtung der Juden gelöst. Binäre Konstrukte, die einen strikten Antagonismus zugrunde legen, gibt es zwar auch bei anderen Spielarten des Rassismus, der Manichäismus besitzt indes in seiner Heilserwartung eine weltweite Dimension, insofern er eine „globale Welterlösung“ propagiert. Dergestalt betrachtet offenbart das Wannsee-Protokoll den manichäistischen Charakter der ideologischen Seite des Antisemitismus, insofern es den spätimperialistischen Weltherrschaftsanspruch des dt. Nationalsozialismus enthüllt, der den finalen Kampf gegen die Finsternis global dimensioniert und einfach alle Juden zu töten beabsichtigt. Das Gerede vom „Weltjudentum“, das die „arische Rasse“ auf dem Weg zur „jüdischen Weltherrschaft“ vernichten wolle, stellt dergestalt betrachtet lediglich eine inversive Projektion der manichäistischen Seite des Antisemitismus auf das Opfer dar.

       1.5Die Dreyfus-Affäre in Frankreich

      Es war das Jahr 1886 als der frz. Journalist Édouard Drumont sein Werk La France Juive veröffentlichte. Bereits nach wenigen Wochen wurden über 100 000 Stück verkauft. Noch im selben Jahr erschien eine dt. Ausgabe mit dem Titel Das verjudete Frankreich. Drumonts eklektizistische Mischung aus christlichem und anthropologischbiologistischem Antisemitismus prägte maßgeblich den frz. wie den dt. antisemitischen Diskurs. Kaum ein anderes judenfeindliches Werk erreichte über 200 Auflagen, wie dies für La France Juive im Jahr 1945 galt. Der rassenbiologische Manichäismus Drumonts wird deutlich, wenn es gleich zu Beginn heißt:

      »Vom Anbeginn der Geschichte waren die Arier im Kampf mit den Semiten. Troja war eine ganz semitische Stadt, der Zweikampf der beiden Menschenrassen hat im trojanischen Krieg einen eigentümlichen Widerhall gefunden. Dieser Zwist hat sich durch alle Jahrhunderte fortgesetzt, fast immer haben die Semiten ihn begonnen, um dann darin zu unterliegen. Der Semiten höchster Wunsch, sozusagen ihre fixe Idee, war und bleibt die Rasse der Arier zu Sklaven und zu Leibeigenen zu machen. Sie haben versucht diesen Zweck durch Kriege zu erreichen, [es ist] mit Schärfe und Klarheit nachgewiesen, wie charakteristisch für dieses Volk dies stete gewaltsame Drängen ist, durch das sie bestrebt waren, die Weltherrschaft zu erreichen.« (Drumont 1886: 4/5)

      „Arier“ und „Semiten“ sind durch ihre biologisch immanenten Charakteristika für Drumont zum steten Kampf gegeneinander bestimmt. Zwar ist das Werk noch vom christlich geprägten „Gottesmord-Vorwurf“ geprägt, doch dieser erfährt beim katholischen Monarchisten eine weitgehend säkulare Wendung. Drumont imaginierte den Juden als politischen Attentäter, der u. a. für den Tod Karls des Großen die Verantwortung trägt. Der Jude verkörperte für ihn das politische Gegenteil der herbeigesehnten Wiedereinführung der Monarchie. Der Jude ist der Demokrat, der „Revoluzzer“, der Unruhestifter mit gesellschaftlich zersetzender Wirkung. Sein zweibändiges Werk La France Juive verwandelte den Antisemitismus endgültig von einem Ressentiment in eine Ideologie, in ein Welterklärungsmodell, das mit dem Anspruch auftrat, den historischen Prozess, politische Ereignisse wie wirtschaftliche Krisen kausal zu deuten. Neben dem manichäistischen Konstrukt besteht der in Deutschland stark rezipierte ideologische Kerngehalt Drumonts in der Verschwörungstheorie, die Juden in Zusammenarbeit mit Freimaurern und Jakobinern bezichtigt, die politische Herrschaft über Frankreich anzustreben, hierfür bereits vielfältige Netzwerke gebildet wie die Presse und die frz. Öffentlichkeit unter ihre Kontrolle gebracht zu haben. Die im dt. Nationalsozialismus ausgeprägte antisemitische Pathologisierung findet sich auch bei Drumont, der »Gelbsucht« wie »Anämie« als von Juden eingeschleppte Krankheiten bezeichnet. Die „Semiten“ verfolgten den Plan, den „arischen Körper“ medizinisch zu schwächen, um auf diese Weise ihre Herrschaftsziele zu erreichen.

      Seine schriftstellerische Tätigkeit verband Drumont mit seiner Rolle als politischer Agitator. Er trat maßgeblich bei der Dreyfus-Affäre auf der Seite der Antidreyfusards in Erscheinung, die er mit diversen Ausgaben seiner im Jahr 1892 gegründeten antisemitischen Zeitung La Libre Parole tatkräftig unterstützte. Zu einer der bekanntesten Karikaturen auf der Titelseite der Zeitung СКАЧАТЬ