Antisemitismus. Achim Bühl
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СКАЧАТЬ zu verschachern. Der Übergang vom Wort zur diskriminierenden Tat ist zumal fließend, wenn Marx seinen Kontrahenten Ferdinand Lassalle als »jüdischen Nigger« bezeichnet, als »Jüdel Braun«, »Ephraim Gescheit« und »Itzig«. Die rassistische Markierung auf die Spitze treibend, schreibt Marx über Lassalle 1862 in einem Brief an Friedrich Engels:

      »Der jüdische Nigger Lassalle, der glücklicherweise Ende dieser Woche abreist, hat glücklich wieder 5000 Taler in einer falschen Spekulation verloren […] Es ist mir jetzt völlig klar, dass er, wie auch seine Kopfbildung und sein Haarwuchs beweist, von den Negern abstammt, die sich dem Zug des Moses aus Ägypten anschlossen (wenn nicht seine Mutter oder Großmutter von väterlicher Seite sich mit einem Nigger kreuzten). Nun, diese Verbindung von Judentum und Germanentum mit der negerhaften Grundsubstanz müssen ein sonderbares Produkt hervorbringen. Die Zudringlichkeit des Burschen ist auch niggerhaft.« (Marx an Engels im Jahr 1862, MEW Bd. 30, S. 257)

      Gleichwohl dürfen die Unterschiede zwischen Marx und Bruno Bauer, auf dessen 1843 erschienene Schrift Die Judenfrage sich die Marx’sche Abhandlung bezog, nicht übersehen werden. Während Bauer mit linkshegelianisch-sektiererischen Argumenten die Judenemanzipation im christlichen Staat ablehnte, schrieb Marx in einem Brief an Arnold Ruge am 13. März 1843:

      »Soeben kömmt der Vorsteher der hiesigen Israeliten zu mir und ersucht mich um eine Petition für die Juden an den Landtag, und ich will’s tun. So widerlich mir der israelitische Glaube ist, so scheint mir Bauers Ansicht doch zu abstrakt. Es gilt so viel Löcher in den christlichen Staat zu stoßen als möglich und das Vernünftige, soviel an uns, einzuschmuggeln. Das muß man wenigstens versuchen – und die Erbitterung wächst mit jeder Petition, die mit Protest abgewiesen wird.« (MEW Bd. 27, S. 418)

      Marx unterstützte also die Petition der jüdischen Gemeinde, wenngleich seine Aversion auch hier im Terminus »widerlich« zum Ausdruck kommt und seine Unterstützung weniger grundsätzlicher als vielmehr taktischer Natur ist.

      Bereits der Historiker Edmund Silberner wies darauf hin, dass der von Marx diskriminierte Lassalle seinerseits ebenso nicht mit judenfeindlichen Bemerkungen sparte und sich bei nahezu allen sozialistischen wie anarchistischen Stammvätern des 19. Jh.s erschreckende Passagen finden lassen, so u. a. bei Charles Fourier, Pierre-Joseph Proudhon, Johann Baptist von Schweizer, Beatrice Webb und Michael Bakunin.

       1.7Pangermanismus in Österreich

      Jahrelang dauerte die Debatte um die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings in Wien. Nicht zuletzt die Universität Wien wünschte eine Änderung ihrer Adresse angesichts des historisch belasteten Namens. Im Jahr 2012, drei Jahre vor der 650-Jahr-Feier der Alma Mater, war es soweit. Der Abschnitt der Ringstraße, an dem die Universität wie das Burgtheater liegen, wurde in Universitätsring umbenannt. Eine Umbenennung erfuhr ebenso die Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche auf dem Wiener Zentralfriedhof (Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus). Bestehen blieben indes der Dr.-Karl-Lueger-Platz sowie mehrere Gedenktafeln des ehemaligen österreichischen Politikers und Wiener Bürgermeisters von 1897 bis 1910.

      Der als Rechtsanwalt tätige Karl Lueger (1844–1910) entschied sich bereits früh für die Politik. Als Mitglied des Wiener Gemeinderats gab er sich den Gestus eines Kämpfers für die Interessen der „kleinen Leute“. Im Jahr 1893 etablierte sich in Österreich die von Lueger angeführte Christlichsoziale Partei, die um das Kleinbürgertum sowie um das durch die Hochindustrialisierung verunsicherte mittlere Bürgertum warb, wobei die Christlichsozialen die soziale Frage rhetorisch mit der vermeintlichen „Judenfrage“ verbanden. Antikapitalistische Rhetorik verknüpfte sich mit antisemitischer Agitation zu einem höchst populären Gemisch, das relevante Wählermassen zu mobilisieren vermochte. Der Antisemitismus stellte eine gezielte politische Strategie dar, mit der die Christlichsozialen im multikulturellen Wien der Jahrhundertwende die verschiedenen Ethnien sowie Migrantengruppen gegeneinander ausspielten sowie Sozialneid auf Kosten der Juden entfachten. In den Hetzreden Luegers erschienen die Juden in generalisierender Weise als skrupellose soziale Aufsteiger, die ihren Wohlstand auf den Rücken einfacher Handwerker erworben hätten und die in systematischer Weise gesellschaftliche Schlüsselstellungen eroberten, um die mit ehrlicher Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienende katholische Bevölkerung zu unterjochen. Das Großkapital stellte Lueger als eine „jüdische Erfindung“ dar, die das Kleinbürgertum zu Bettlern mache und das mittlere Bürgertum in den Ruin treibe.

      Bei der Nationalratswahl 1920 zeigte das Wahlplakat der Christlichsozialen Partei das Staatswappen der Ersten Republik (1919–1934), d. h. den schwarzen „Bundesadler“ mit den Emblemen Hammer und Sichel, der von einer blutroten Schlange erdrosselt wird, deren Kopf mit sogenannter „Judennase“, Schläfenlocken und Kippa sowie einer gespaltenen Zunge zum Juden konstruiert ist. Das Plakat propagiert die Losung: »Deutsche Christen – Rettet Österreich!« „Der Jude“ beherrsche das arbeitende christliche Volk, das von der Herrschaft des jüdischen Großkapitals befreit werden müsse, so die Message. Anklänge zur antisemitischen Propaganda der NSDAP der 1920er-Jahre sind alles andere als zufälliger Natur, zumal es das Wien Luegers war, das den jungen Adolf Hitler politisierte, der sich im Jahr 1910 in die endlosen Schlangen derjenigen einreihte, die dem Wiener Bürgermeister die letzte Ehre erwiesen. In Hitlers Mein Kampf heißt es wenige Jahre später: »Heute sehe ich in dem Manne mehr noch als früher den gewaltigsten Bürgermeister aller Zeiten.« Im Jahr 1926 wurde für Karl Lueger, der neben Georg von Schönerer (1842–1921) und Karl Hermann Wolf (1862–1941) den österreichischen Antisemitismus prägte, an der Wiener Ringstraße ein übergroßes Denkmal enthüllt, das im Jahr 2016 mit einer Informationstafel versehen wurde, um auf den Antisemitismus des Führers der Christlichsozialen hinzuweisen.

      Die Berliner Illustrierte Zeitung druckte am 5. März 1942 auf ihrem Cover ein Foto des Schauspielers Rudolf Förster in seiner Rolle als Dr. Karl Lueger ab und schrieb dazu: »Der Film ›Wien 1910‹ wird von dem mutigen Kampf dieses großen Mannes um die Lösung sozialer Probleme erzählen.« Zur Besetzung des 1943 erschienenen NS-Propagandafilms gehörten ebenso Lil Dagover und O. W. Fischer, den österreichischen Antisemiten Georg Ritter von Schönerer spielte Heinrich George. Die Handlung des Films setzt wenige Tage vor dem Tod Luegers ein. Die in Wien kursierende Nachricht vom bevorstehenden Ableben des Bürgermeisters kommentieren die Juden der Stadt mit klammheimlicher Freude. Der Film präsentiert Lueger als Person, die sich selbstlos wie aufopferungsvoll für das Gemeinwohl einsetzt. Lueger erscheint als Kämpfer gegen profitgierige Kapitalisten, die dem einfachen Volk durch ihre Spekulationen schaden, wie gegen die mit ihnen verbündeten Juden. Um das Ableben Luegers zu beschleunigen, schließt sich Kommerzialrat Lechner mit dem jüdischen Chefredakteur Dr. Victor Adler zusammen, der das Versprechen abgibt, einen Leitartikel zu schreiben, der Lueger „den Rest geben“ werde. Über die Schlagzeilen des folgenden Tags gerät nicht nur Lueger sich körperlich gefährdend in Rage, sondern ebenso der „gesunde Volkszorn“. Die aufgebrachte Wiener Bevölkerung verwüstet daraufhin die Redaktion der jüdischen Zeitung. Angesichts der Zerstörung schwört Adler abgrundtiefe Rache zu nehmen. Zwar huldigt der Film Lueger als dem einstigen Idol Hitlers, attackiert den Zeichen der Zeit entsprechend den Wiener Bürgermeister indes ebenso aus dem Blickwinkel eines noch radikaleren Antisemitismus, der von Georg Ritter von Schönerer verkörpert wird. Schönerer wirft Lueger vor, dem »morschen Gebilde« der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn die Treue gehalten zu haben. Lueger habe seine wahre Mission verfehlt, die Schönerer mit den prophetischen Worten »Es wird einmal ein Reich sein aller Deutschen« beschreibt. Die Zeit, so verkündet der dt. Schauspieler George, »ist reif, überreif, wer sich ihr entgegenstellt wie Vieh, der hat die Opfer zu verantworten, die unnötig fallen.« Der Antisemitismus Schönerers war dem dt. Nationalsozialismus insofern adäquater, als er sich radikaler gebärdete als der Luegers sowie mit ausgeprägten biologistisch-rassistischen Positionen einherging. So heißt es beispielsweise in einer Rede Schönerers im österreichischen Reichsrat:

      »Unser Antisemitismus richtet sich nicht gegen die Religion, sondern gegen die Rasseneigentümlichkeiten СКАЧАТЬ