Название: Antisemitismus
Автор: Achim Bühl
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная прикладная и научно-популярная литература
Серия: marixwissen
isbn: 9783843806459
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Schönerer beeinflusste Hitler in der Wiener Zeit in erheblichem Maße, sodass die cineastische Huldigung des Führers der Deutschnationalen sowie der späteren Gallionsfigur der Alldeutschen Vereinigung die des Wiener Bürgermeisters im „Lueger-Film“ noch übertrifft.
Von 1848 bis zu seinem Tod im Jahr 1916 herrschte in Österreich-Ungarn Franz Joseph I. (1830–1916). Alles andere als frei von Antisemitismus, war dem Kaiser gleichwohl der „Radau-Antisemitismus“ eines Lueger zuwider, sodass er dessen Ernennung zum Wiener Bürgermeister mehrfach verhinderte. In der komplexen Konstellation der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie setzten die Gegner der Liberalen – der Bismarck’schen Wende von 1878/79 vergleichbar – auf den Antisemitismus, den sie erfolgreich als politische Waffe im Kontext der Nationalitätenprobleme in der Doppelmonarchie benutzten.
In Prag entfachte August Rohling (1839–1931), der an der dortigen Universität eine Professur für Theologie bekleidete, seine Hetze gegen den jüdischen Talmud, wobei er sich maßgeblich auf das Werk Das enthüllte Judentum von Eisenmenger stützte. Stets aufs Neue betonte Rohling, »die von Eisenmenger aus klassischen jüdischen Schriftstellern gelieferten Auszüge« seien mit einer Treue geliefert und übersetzt, »die jede Probe aushält.« In seinem im Jahr 1871 erschienenen Werk Der Talmudjude behauptete Rohling, der Talmud lege allen Juden auf, Nichtjuden zu schädigen und wenn möglich diese gar zu töten. Das Gesetz »Du sollst nicht stehlen«, so der Prager Kanonikus, bezöge sich einzig und allein auf das jüdische Eigentum, das Besitztum der Christen gelte den Juden hingegen als verlassenes Gut, »als der Sand im Meer«, dessen erster Besitzergreifer der wahre Eigentümer sei. Rohlings Behauptung, die jüdische Religion gestatte es dem Juden, den Christen nach Herzenslust zu bestehlen, geht mit antijüdischer Kriminalisierung Hand in Hand, wenn es heißt: »Unter 12 Diebstählen oder Betrügereien, welche zu Leipzig abgeurtheilt wurden, waren 11 von Juden begangen.« Das Volk Gottes, so Rohling, sei eine »parasitische Pflanze«, die auf den anderen Völkern und ihrem Boden schmarotzend gedeihe. Der Prager Professor für katholische Theologie stellte gleichfalls die Behauptung auf, das Gebot »Du sollst nicht töten« bezöge sich nur auf Juden. Der Talmud, so Rohling, lehre den Juden, dass es rechtens sei, den Nichtjuden umzubringen. Derjenige Jude, der das Blut eines Nichtjuden vergösse, bringe aus der Sicht des Talmuds Gott ein Opfer dar; so heißt es in der Schrift Der Talmudjude hetzerisch:
»Es ist Recht, sagt der Talmud, den Minaeer d. i. Ketzer mit den Händen umzubringen. Wer das Blut der Gottlosen (d. h. der Nichtjuden) vergießt, sagten die Rabbiner, bringt Gott ein Opfer dar. […] Das Gebot, du sollst nicht tödten […] bedeutet, daß man keinen Menschen von Israel tödte: - Gojim […] und Ketzer sind aber keine Israeliten. Wer aber eine Seele aus Israel umbringt, sagt der Talmud, dem wird es angerechnet, als ob er die ganze Welt umgebracht hätte; und wer eine israel. Seele erhält, als wenn er die ganze Welt erhalten hätte.« (Rohling 1872: 41)
Im Jahr 1882 trat Rohling in einem ungarischen Ritualmordprozess als Gutachter auf. Der vermeintliche Ritualmord von Tiszaeszlár folgte weitgehend dem klassischen mittelalterlichen Muster. Das Verschwinden eines vierzehnjährigen Bauernmädchens am 1. April 1882 wurde den Juden angelastet. Antisemitische Abgeordnete verbreiteten die Beschuldigung, das Kind sei anlässlich des jüdischen Pessachfestes geopfert worden. Am 19. Juni 1883 schrieb Rohling an den Abgeordneten Geza Onody in Tiszaeszlár:
»Nachdem ich in meinen ›Antworten an die Rabbiner‹ gesagt habe, daß ich im Talmud, soweit wir denselben im Druck kennen, keinen Beweis für den rituellen Mord der Juden gefunden habe, so discutiren die Juden darüber, daß derartiges in ihrer Litteratur überhaupt nicht vorkomme. Ich erachte es für meine Pflicht, jetzt, wo ein solcher Fall gerade vor Gericht verhandelt wird, Euer Hochwohlgeboren zu verständigen, daß ich nach Verfassung meiner obigen Schrift in den Besitz eines durch die Jerusalemer Unternehmung des Moses Montefiore noch im Jahre 1868 hinausgegebenen solchen hebräischen Werkes gelangt bin, auf dessen Seite 156a geschrieben ist, daß das Vergießen des Blutes einer nicht jüdischen Jungfrau für die Juden eine überaus heilige Handlung, daß das so vergossene Blut dem Himmel sehr angenehm und den Juden Gottes Erbarmen verschaffe. Dies ist ein kurzer Auszug der ganzen Stelle, welche ich wortgetreu binnen kurzem der Oeffentlichkeit übergeben werde. Auf die Wahrheit des Obigen bin ich, wenn es nothwendig ist, bereit, hier vor Gericht auch einen Eid zu leisten.« (Kopp 1886: 16)
Eisenmenger blieb für Rohling der große Lehrmeister und so folgte er ihm bedingungslos auch bei dessen mörderischen Anklagen und abscheulichsten Behauptungen, indem er betonte, es sei deshalb so schwer Belege für den „jüdischen Ritualmord“ zu erbringen, da es sich um eine von den Rabbinern mündlich tradierte Geheimlehre handele.
Obwohl die Leiche des Bauernmädchens kurze Zeit darauf im Fluss gefunden und Tod durch Ertrinken diagnostiziert wurde, ließ sich die emotionale Erregung der Volksmassen nicht eindämmen, zumal die Akteure der Kampagne an ihrer Version festhielten, die auf die Vertreibung der örtlichen Juden zielte. Als sämtliche jüdischen Angeklagten im August 1883 freigesprochen wurden, entwickelte sich die „Affäre von Tiszaeszlár“ zu einer „Affäre Rohling“. Der Prager Kanonikus war während des Prozesses von einem Rabbiner der Falschaussage bezüglich des Talmuds sowie des Meineids bezichtigt worden, was Rohling dazu verleitete, Anzeige zu erstatten. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung zeigte es sich, dass Rohling das Hebräische nicht beherrschte und außerstande war, den Talmud im Original zu lesen. Rohling verlor daraufhin seine Lehrerlaubnis für katholische Theologie. Seine Bewunderer hielt dies jedoch nicht davon ab, ihm die Treue zu halten. Die „Affäre von Tiszaeszlár“ illustriert, dass der Antisemitismus massenhysterischen Charakter annahm und die Antisemiten sich mitnichten von rationalen Argumenten überzeugen ließen. In Österreich-Ungarn schreckte das Bündnis aus Klerikalen und Konservativen nicht einmal davor zurück, die mittelalterliche Ritualmordlegende zu revitalisieren und zum Gegenstand offizieller Prozesse zu machen. Die antisemitischen Parlamentsabgeordneten, die hinter der Kampagne steckten, wussten sehr wohl, was sie taten, insofern sie die Affäre zur Stärkung ihrer Parlamentsposition zu nutzen gedachten. Nicht nur in der Doppelmonarchie war der Antisemitismus zu einem Instrument geworden, um die Wählergunst zu gewinnen. Der politische Antisemitismus erwies sich zunehmend als gefährliche Spielart im Kontext parlamentarischer Systeme.
1.8Pogrome im zaristischen Russland
Unter den von Franz Kafka (1883–1924) verfassten und von ihm zur Verbrennung vorgesehenen Schriften befand sich auch seine Erzählung Odessaer Ritualmordprozess gegen Beilis. Anklänge dieser verbrannten Schrift finden sich noch in Kafkas unvollendeter Erzählung Der Process, wenn beispielsweise der Angeklagte starr danieder liegt und sein Körper von Nadeln zerstochen wird. Es handelt sich hierbei um die inversive Projektion eines Bildes des 13-jährigen Jungen Andrei Juschtschinski, der auf einem antisemitischen Flugblatt abgebildet mit geschlossenen Augen im Totenhaus liegt und an dessen Schläfenseite feine Einstiche erkennbar sind. Bei der „Beilis-Affäre“ handelte es sich um einen Ritualmordprozess des Jahres 1911. Anlass bildete die Ermordung eines Kiewer Jungen, den man nachdem er vermisst wurde schließlich in einer Höhle fand und dessen Körper zahllose Stichwunden aufwies. Teile der russischen Rechten und Konservativen beabsichtigten den Fall zu nutzen, um gegen die geplante Abschaffung judenfeindlicher Gesetze wie der „Maigesetze“ sowie des sogenannten „Ansiedlungsrayons“ zu opponieren. Bei den „Maigesetzen“ handelte es sich um ein ganzes Bündel antijüdischer Maßnahmen, die 1882 nach dem Attentat auf Alexander II. (1818–1881) erlassen wurden und welche die Freizügigkeit der Juden einschränkten. Die antisemitische Stimmung im damaligen Russland belegt der Tatbestand, dass die Ermordung des Zaren, für welche die Untergrundorganisation Narodnaja Wolja die Verantwortung trug, in verschwörungstheoretischer СКАЧАТЬ