Klienten kennenlernen – Diagnosen dynamisch utilisieren. Krzysztof Klajs
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СКАЧАТЬ oder Krankenkassen, die genau auf diesen nosologischen Klassifizierungen basieren. Werden beispielsweise bestimmte Verhaltensweisen eines Kindes als Schulphobie diagnostiziert, kann das zur Folge haben, dass sonderpädagogische Förderung, Hausunterricht oder eine medikamentöse Therapie empfohlen wird. Die gleichen Verhaltensweisen des Kindes aber, dargestellt als Reaktion auf Ängste bei der Mutter sowie deren individueller Dynamik, die in einem bestimmten Moment im Familienlebenszyklus verstärkt auftritt, führen zu Überlegungen bezüglich einer Einzeltherapie der Mutter oder einer Familientherapie.

      Jay Haley (Yapko 2007) beschreibt einen weiteren demotivierenden Aspekt der psychiatrischen Diagnose. Manche Diagnosen lassen annehmen, dass eine Heilung des Klienten schwierig oder gar unmöglich sei. Diagnosen wie etwa Borderline-Persönlichkeit, Schizophrenie oder Autismusspektrumsstörung führen dazu, dass viele Therapeuten mehr die Krankheit sehen (die in diesem Fall nicht Wirklichkeit, sondern nur ein theoretisches Konstrukt – eine Zusammenstellung von Ideen ist) als die reale Person. Normalerweise ist es möglich, einem Menschen dabei zu helfen, zumindest einige Verhaltensweisen zu ändern, besonders, wenn systembedingte zwischenmenschliche Beziehungen berücksichtigt werden. Jemanden dagegen von einer Krankheit zu heilen, die als nicht therapierbar gilt, ist bedeutend schwieriger. Solch eine Diagnose erschwert das Wahrnehmen der Person und erzeugt beim Therapeuten oft ein Gefühl von Machtlosigkeit.

      Verhaltensweisen in Kategorien einzuordnen, die als Symptome bezeichnet werden und diese dann höheren Kategorien zuzuordnen, die man psychische Störungen nennt, führt zuweilen dazu, dass sich der Therapeut und oft auch der Klient erst einmal beruhigt fühlt. Der Klient ist überzeugt, dass der Therapeut, der ja schließlich eine Diagnose gestellt hat, auch entsprechende Behandlungsmethoden anwenden wird. Hierdurch scheint die Wirklichkeit verständlicher, die Illusion, man könne die Welt durch ihre Strukturierung besser verstehen, erleichtert die Arbeit.

      Das Stellen einer Diagnose kann als Prozess gesehen werden, in dem der Therapeut den Klienten kennenlernt. Er macht sich mit der Person, die er untersucht, vertraut. Betrachtet man den Diagnoseprozess als Weg zum Kennenlernen einer Person, so wird klar, dass es nicht nur darum geht, beim Klienten Symptome und Beschwerden zu erkennen. Vielmehr geht es darum, dass eine Basis geschaffen wird, um sowohl den Klienten zu verstehen als auch das, was durch seine Symptome zum Ausdruck kommt.

      Der Therapeut trägt aktiv Informationen über den Klienten zusammen und entscheidet dabei, welche er für wichtig erachtet. Dieser Prozess ruft wiederum eine Reaktion bei der untersuchten Person hervor, so wie immer, wenn Interesse an einer anderen Person gezeigt wird. Der Klient, den der Therapeut untersucht, ist kein passives Objekt des Interesses, sondern gestaltet aktiv den Inhalt der Informationen, die er über sich selbst liefert. Einige Informationen gibt er preis und baut sie aus, andere wiederum werden zurückgehalten oder nur begrenzt preisgegeben. Dieser Prozess ist ein komplexer beidseitiger (oder im Fall einer Familiendiagnose ein vielseitiger) Austausch. Mit der Zeit üben beide Seiten zunehmend Einfluss aufeinander aus.

      Wichtig ist auch die Frage, was im Endeffekt vom Therapeuten diagnostiziert wird: Gesundheit oder Krankheit. Im ersten Fall konzentriert sich der Therapeut mehr auf die Beschreibung der Ressourcen, der Stärken sowie auf Lösungen, die früher beim Klienten gut funktioniert haben. Im zweiten Fall richtet er seine Aufmerksamkeit vor allem auf den Bereich der Beschwerden, des Unvermögens und der Einschränkungen des Klienten.

       1.2Die Diagnose in der Psychotherapie

      Stellt der Therapeut im Rahmen einer Psychotherapie eine Diagnose, so sollte er sich von anderen Funktionen der Diagnose (z. B. von statistischen oder mit dem Erhalt von Leistungen im sozialen oder medizinischen Bereich zusammenhängenden Funktionen), mit denen der Diagnoseprozess und die Auswirkungen dieses Prozesses verknüpft sind, befreien. Wichtig ist es dagegen, die spezifischen diagnostischen Aspekte, die in der Psychotherapie von Bedeutung sind, zu stärken.

      Die Arbeiten von Milton H. Erickson lassen ein pragmatisches Konzept bezüglich der Diagnostik erkennen. Die Probleme des Klienten werden auf eine Weise definiert und beschrieben, die eine praktische Lösung dieser Probleme ermöglicht (Reichport-Haley a. Carlson 2010).

      Die Diagnose, mit der wir es für gewöhnlich in der Psychologie und vor allem in der Psychiatrie zu tun haben, unterliegt hinsichtlich des psychotherapeutischen Prozesses drei wesentlichen Einschränkungen:

      •Sie konzentriert sich auf Defizite des Klienten (sie beschreibt Krankheit und nicht Gesundheit, Symptome und nicht Ressourcen).

      •Sie konzentriert sich übermäßig auf die Vergangenheit.

      •Sie bezieht sich auf den Einzelnen und ignoriert das soziale System.

      Die Diagnose im traditionellen Sinne konzentriert sich also auf die Psychopathologie. Sie bezieht sich auf die Symptome, deren Genese und Gegebenheiten. Das Wissen um Symptomatik und Defizite ist jedoch nicht ausreichend, um eine Psychotherapie zu beginnen. Der Therapeut benötigt breitere Kenntnisse, die sowohl die Defizite als auch die Chancen und Möglichkeiten des Klienten, sein Entwicklungspotenzial und seine Perspektiven einbeziehen.

      Der zweite Punkt benennt die Konzentration der Diagnose auf die Vergangenheit. Ein auf die Vergangenheit bezogenes Narrativ ergibt nur dann einen Sinn, wenn das Erzählte auch Entwicklungsmöglichkeiten und Potenzial des Einzelnen (und des Systems) aufzeigt. Auf diese Weise wird deutlich, welche Strategien erfolgversprechend sind und welche der Klient besser meiden sollte, da sie sich in der Vergangenheit als nicht wirksam herausgestellt haben.

      Erickson meint

      »… in der Therapie geht es vor allem darum, dass die Menschen lernen, adäquat zur Wirklichkeit, in der sie leben, zu funktionieren. Die Rahmenbedingungen der Wirklichkeit werden durch simple Tätigkeiten bestimmt, die sowohl die Gegenwart berücksichtigen, als auch die Zukunft, die erwartet wird. Diese Tätigkeiten beziehen sich auf den Alltag und sind mit dem Leben verbunden, wie zum Beispiel die Nahrungsaufnahme« (Haley 1985, p. 8).

      Nutzt der Therapeut einen Teil seiner Arbeit dazu, die Vergangenheit des Klienten zu untersuchen, so richtet sich seine Aufmerksamkeit – und damit auch die Aufmerksamkeit des Klienten – auf Vergangenes. In den seltensten Fällen beginnen Klienten eine Therapie, um zu verstehen, welche Vorfälle und vergangenen Ereignisse ihr Leiden verursacht haben. Solche Anforderungen werden dagegen im Verlauf von Lehrtherapien oft vonseiten des Therapeuten gestellt. Personen, die sich für von einer Krankheit betroffen halten mit einer bestimmten Diagnose zur psychotherapeutischen Behandlung überwiesen werden, erwarten eine Verbesserung ihres Befindens, möchten gesund werden und, nachdem sie die Therapie abgeschlossen haben, ein besseres Leben führen.

      Die meisten Ausbildungssysteme und Zertifizierungscurricula verlangen eine Therapie des Therapeuten selbst. Dies gründet in der Annahme, dass das Kennenlernen der eigenen Person, der eigenen Einschränkungen und des eigenen Potenzials eine notwendige Erfahrung und die stetige Selbstreflexion in diesem Beruf unverzichtbar sind. Um diese Aktivitäten von einer Therapie zu unterscheiden, die ein Klient beginnt, werden hierfür Begriffe wie Lehrtherapie oder Selbsterfahrung verwendet. Therapeuten hegen zwar zu Beginn ihres Berufslebens oft eine innere Abneigung gegen diese Anforderungen, geben ihnen aber formal dennoch nach. Sie haben diesbezüglich auch keine Wahl. Eine mögliche Strategie, sich dem Druck dieser von außen auferlegten Anforderungen zu widersetzen, besteht in der Flucht in Vergangenheitsbezüge. СКАЧАТЬ